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Vor 125 Jahren wurde Bernhards Großvater geboren: Johannes Freumbichler.

In einer Zuckerkiste wurden über dreihundert vollgeschriebene Notizbücher gefunden, die sehr viel Unheil hervorrufen könnten, sollten sie einmal auszugsweise veröffentlicht werden. Denn unbequem war auch dieser Freumbichler, der von seinen Landsleuten genau das hielt, was sie sind." Mit diesen Worten gedenkt kein Geringerer als sein Enkel Thomas Bernhard in einem frühen Aufsatz in den Wiener Bücherbriefen von 1957 des heute nur mehr wenigen Menschen bekannten Salzburger Dichters Johannes Freumbichler. "Der Dichter aus Henndorf" heißt jene Hommage an Bernhards großes Vorbild aus Kinderzeit, das mehr oder weniger verschlüsselt in vielen seiner Texte als exzentrische, patriarchalische Künstlerfigur und als am Rande der Gesellschaft stehender "Geistesmensch" wiederkehrt.

Johannes Freumbichler wurde vor 125 Jahren, am 22. Oktober 1881, als viertes Kind einer in Henndorf am Wallersee ansässigen Krämerfamilie geboren. Schon als Realschüler in Salzburg entsteht sein Lebensplan, dem er später sprichwörtlich alles unterordnen wird. Schreibend will er die ganze Menschheit der "Knechtschaft und Sklaverei" entreißen, wie es jugendlich pathetisch in seinen Tagebucheintragungen und Notizen heißt. Sein älterer Bruder Rudolf möchte mit ihm "in die böhmischen Wälder" oder "nach Italien" ziehen. Mit dem Schulfreund Rudolf Kasparek und anderen gründet man die burschenschaftähnliche Verbindung "Cheruskia", eine anti-klerikale, deutsch-national gesinnte Bewegung im Geiste Georg von Schönerers.

Rast-und ruhelos

In seiner Heimat, das heißt vor allem in seiner Familie und in der engen dörflichen Gesellschaft findet der junge Johannes Freumbichler aber keinen Halt. Trotzdem betont er sein Leben lang voller Stolz, "von einem über 600-jährigen Bauerngeschlechte" abzustammen. Ebenso wenig wie sein Bruder, der 1902 Selbstmord begeht - weil er "das Unglück der Menschheit nicht mehr ertragen" könne, wie es in seinem Abschiedsbrief heißt -, möchte er das Geschäft der Eltern übernehmen. Dies nimmt bereits einen Motivkomplex in Bernhards Prosa vorweg: die Auseinandersetzung mit dem "Herkunftskomplex" und die Problematik des Erbens. Freumbichler bricht - wie später sein Enkel - die Schule ab und geht nach Deutschland, ein rast-und glückloses Leben als "freier Schriftsteller" beginnt. Es ist die Suche eines von Erfolglosigkeit und inneren Konflikten geplagten "poète maudit" nach einer neuen geistigen Heimat - vergleichbar mit der Existenz anderer vergessener Salzburger Schriftsteller wie Ferdinand Sauter oder Jakob Haringer. Mit seiner Lebensgefährtin Anna Bernhard und den Kindern Herta, Thomas Bernhards Mutter, sowie Farald (sein eigentlicher Name lautet Rudolf Pichler), verbringt Freumbichler viele Jahre am Rande der materiellen wie auch psychischen Existenz.

In den in seinem Nachlass im Thomas-Bernhard-Archiv in Gmunden neben unzähligen Briefen und Manuskripten aufbewahrten 150 Notizbüchern - es ist also nur die Hälfte der von Bernhard angeführten Zahl - findet sich Johannes Freumbichlers Lebensschicksal dargestellt. "Wer hier durchkommen will, muss sich mit einem Panzer von Rohheit umgeben", zitiert er August Strindberg - neben Schopenhauer, Nietzsche oder Tolstoi eines seiner großen Vorbilder. Obwohl er ein eifriger Zeitungsleser ist und Philosophen ebenso wie klassische und moderne Literatur studiert, wird Freumbichler zu einem die menschliche Gesellschaft mit zunehmender Misanthropie fliehenden Einzelgänger, der sich auch vom Kulturbetrieb isoliert. Zwischen 1913 und 1935 lebt er mit seiner Familie in Wien, wo er sich - von kleinen Ausnahmen abgesehen - ohne Erfolg um die Veröffentlichung seiner Erzählungen, Romane und Gedichte bemüht.

Sein erster Roman Julia Wiedeland (1911), ein Ehe-und Gesellschaftsroman nach dem Vorbild von Gustave Flauberts Madame Bovary, hatte sich als finanzielles Desaster erwiesen. Für die Veröffentlichung musste Freumbichler dem Kommissionsverlag eine Kaution bezahlen, die niemals gedeckt werden konnte. Auch der Roman Eduard Aring, 1917 in Fortsetzungen in der Deutschen Roman-Zeitung gedruckt, blieb so gut wie ohne Wirkung. Dies mochte auch daran liegen, dass der tragische Selbstmord des jungen Titelhelden, eines auf Abwege geratenen Bauernsohnes, irritierte und kaum die von jener konservativen Leserschicht erwünschte Unterhaltung bot, welche Freumbichler mit seiner zum Teil biedermeierisch-antiquierten Sprache erreichen konnte. Zum wirklich sozialkritischen Autor fehlte es ihm umgekehrt an literarischer Durchschlagskraft, Deutlichkeit und wohl auch an eigener Überzeugung. So wollte sich damals kein Verlag seiner Texte annehmen.

1922 schreibt er in ein Notizbuch: "Ich will ein Beispiel aufstellen, wie ein Mensch bei größten Widerständen sein Ziel dennoch erreicht. Ich will mich einspinnen in Wahnsinn und Glauben wie noch nie ein Mensch." Fern von der Heimat prägt Freumbichler eine unüberwindbare Sehnsucht nach seiner Kindheit.

Ein seltener Erfolg

Mit den Namen Alice und Carls Zuckmayers verbindet sich einer der wenigen Erfolge des Schriftstellers. Als dieser 1935 nach Seekirchen zieht und so für kurze Zeit in seine alte Heimat zurückkehrt, schickt Anna Bernhard dem in der "Wiesmühl" bei Henndorf lebenden Schriftstellerehepaar heimlich ein 800-seitiges Manuskript. Carl Zuckmayer ist spontan begeistert; für ihn ist diese "echte Dichtung" ein "klarer Quell", "ein wirkliches Kunstwerk". Für den Roman Philomena Ellenhub, den Alice Zuckmayer gemeinsam mit Freumbichler überarbeitet und kürzt und der 1937 bei Paul Zsolnay erscheint, erhält der 56-Jährige wenige Monate vor dem Anschluss an Hitler-Deutschland den Förderungspreis des Großen Österreichischen Staatspreises. Die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts angesiedelte Lebensgeschichte einer Magd, so Zuckmayer in seiner Rezension in der Neuen Freien Presse, "hat mit Bauerndichtung im üblichen beschränkten Sinne ebensowenig zu tun, wie etwa ein Werk von Stifter oder Hamsun." 40 Jahre später lobt der Literaturwissenschaftler Friedbert Aspetsberger die "liberalen Facetten" und die "tolerante Vielstimmigkeit" dieses Werks, das sich von der damals üblichen "Blut-und Bodenliteratur" deutlich abhebt. 1938 erscheinen die Geschichten aus dem Salzburgischen, pointiert humorvolle Kurzgeschichten, in deren Zentrum dörfliche Charakterfiguren stehen. Dieses Genre gelingt Freumbichler mit Abstand am besten; ganz im Unterschied etwa zu dem missglückten Abenteuerroman Atahuala oder Die Suche nach einem Verschollenen (1938). Inzwischen verdrängen die neuen politischen Verhältnisse den nur seinem Werk lebenden Autor.

Dass 1942 der 20 Jahre zuvor in Wien begonnene Roman Auszug und Heimkehr des Jodok Fink erscheint, ist mehr Zufall. Ein deutscher Verleger setzt sich für Freumbichler ein. Dieser lebt jetzt bei Traunstein (Oberbayern). Der Roman wird zum großen Erfolg. Bis zur kriegsbedingten Schließung des Verlags 1944 werden 26.000 Exemplare gedruckt und an Büchereien und Buchhandlungen für Frontsoldaten geschickt. In seinen Notizen äußert sich Freumbichler abfällig über das Hitler-Regime. Dass er 1943 doch noch der Reichsschrifttumskammer beitritt, erfolgt zum einen aufgrund seiner schriftstellerischen Arbeit. Zum anderen hat die Angst vor einem drohenden Kriegs-oder Arbeitseinsatz dazu beigetragen.

Der Umfang seines literarischen \0x0152uvres ist beeindruckend. Plagten den von einem außerordentlichen Sendungsbewusstsein sowie mangelndem Selbstwert erfüllten Dichter nicht gerade Depressionen und körperliche Beschwerden, war er ein ausgesprochener Vielschreiber - und das bis unmittelbar vor seinem Tod. Leser Thomas Bernhards kennen den "in die Pferdedecke" gewickelten Freumbichler, der "um drei Uhr früh in seinem Zimmer den Kampf [...] mit dem Unmöglichen, mit der totalen Aussichtslosigkeit der Schriftstellerei" aufnimmt (vgl. Thomas Bernhard: Der Keller, 1976). Noch zwischen 1946 und 1948 entstehen zahlreiche Werke, darunter der 1130 Seiten umfassende Roman Eling. Das Tal der sieben Höfe. Wie die meisten seiner in der Henndorfer Heimat angesiedelten Werke bleibt auch er unveröffentlicht. Thomas Bernhard zufolge hat den Großvater die Arbeit an diesem Riesenwerk "ins Grab geworfen". Johannes Freumbichler stirbt am 11. Februar 1949 im Salzburger Landeskrankenhaus in Folge einer ärztlichen Fehldiagnose an einer verstopften Blase und einer Nierenentzündung.

Literarisch gerächt

Zu genau jener Zeit liegt sein Enkel Thomas Bernhard todkrank im selben Spital. Der Verlust des geliebten Menschen, der ihm auch den eigenen Vater ersetzt hatte, trifft den Jugendlichen schwer. Doch schon bald erkennt er, "mein Großvater, der Dichter, war tot, jetzt durfte ich schreiben, jetzt hatte ich die Möglichkeit, selbst zu dichten" (Thomas Bernhard: Die Kälte, 1981). Bernhard, der Freumbichlers Schreibmaschine erbt, hat seinen Großvater "auf literarischem Feld gerächt", wie der Literaturwissenschaftler und Bernhard-Forscher Hans Höller einmal treffend festgestellt hat. Zeigen sich Bernhards frühe und früheste Texte - neben seiner veröffentlichten Lyrik auch zahlreiche Gedichte, Erzählungen und Fragmente aus dem unveröffentlichten Nachlass - noch dem Stil und dem Weltbild Freumbichlers verpflichtet und imitiert der Enkel dessen wortmächtige Stimme, so zeugen seine späteren Texte von einer kritisch-distanzierten Auseinandersetzung. Dennoch plante Thomas Bernhard wiederholt, die vergriffenen Werke Johannes Freumbichlers bei Suhrkamp oder Residenz neu erscheinen zu lassen. Heute wäre es denkbar, diese Idee umzusetzen, um das Werk des unbekannten Großvaters Bernhards vor dem Vergessen zu bewahren.

Der Autor arbeitet im Thomas-Bernhard-Archiv in Gmunden sowie an einem Forschungsprojekt zum Nachlass Freumbichlers.

Buchtipp:

Der Schriftsteller Johannes Freumbichler 1881-1949

Leben und Werk von Thomas Bernhards Großvater

Von Bernhard Judex. Böhlau Verlag, Wien 2006. 331 Seiten geb., e 30,70

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