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Und dann kam der 25. März...

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Die Lage war nicht mehr anders zu meistern. Die Politik der tunesischen Regierung wurde immer tumultöser, aggressiver; nutzlose Noten, Memoranden, Beschuldigungen flogen hin und her, Attentate und Sabotage nahmen zu. De Hautecloque unternahm einen letzten Versuch zur Güte. Höflich-ernst und majestätisch empfing ihn der Bei in Audienz, um seine Klagen anzuhören. Nur war er leider wieder nicht allein, sondern umringt von allen Ministern und seinem Sohn Chedly, einem engen Freund Ben Youssefs.

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Die Lage war nicht mehr anders zu meistern. Die Politik der tunesischen Regierung wurde immer tumultöser, aggressiver; nutzlose Noten, Memoranden, Beschuldigungen flogen hin und her, Attentate und Sabotage nahmen zu. De Hautecloque unternahm einen letzten Versuch zur Güte. Höflich-ernst und majestätisch empfing ihn der Bei in Audienz, um seine Klagen anzuhören. Nur war er leider wieder nicht allein, sondern umringt von allen Ministern und seinem Sohn Chedly, einem engen Freund Ben Youssefs.

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Am 25. März nun sagte Hautecloque zum Bei:

„Akzeptieren Sie eine Diskussion über den Ihnen vorgeschlagenen Reformplan. Meine Mission ist vorderhand auf diesen Plan beschränkt. Sprechen wir eingehend darüber und dann —", schloß er verbindlich lächelnd mit einer französischen Redewendung, „wird es uns möglich sein, unseren Kohl anzupflanzen." (Was besagen will, daß man dann fruchtbar Weiterarbeiten könnte.)

Ein Räuspern unter den Ratgebern, und schon runzelt der Bei in gewolltem Unverständnis die Stirne, wendet sich beifallheischend an die Minister auf arabisch:

„Was sagt er da? Er will Kohl anpflanzen? Was geht das mich an? Soll er doch seinen Kohl, seine Karotten, seine Artischoken und meinetwegen auch Gurken anbauen, wenn er willl"

Diese offensichtliche Ironie brachte das Rad ins Rollen. Hautecloque wußte nun, daß die Rettung nur eine energische Aktion bringen könne. 55 Attentate gegen Autos, 13 gegen Eisenbahnen, 82 Sabotagen an französischem Besitztum, 27 gegen Wasserleitungen, 6 gegen Transformatoren, 7 gegen Brücken, 646

zerstörte Telegraphenmaste, 12 Todesopfer unter Zivilen und 9 unter den Militärs sprechen eine beredte Sprache. Es wurde Zeit...

Der langsam dämmernde Abend war wie alle anderen. Die Arbeiter stiegen, eine Nelke hinter dem Ohr, summend aus der Medina in die Stadt hinab, Kinos und Kaffeehausterrassen waren überfüllt. Unter den Bäumen der Avenue Jules Ferry genossen Spziergänger die erste Süße des Frühlings. Außerordentlich war bloß, daß die Fenster der Residenz noch beleuchtet waren ...

Dort wachte man, die Augen unablässig auf die Uhr gerichtet. Mitternacht. Nichts regte sich. Und doch hatte um diese Minute General Garbay die Polizeigewalt übernommen. Die Regentschaft war im Ausnahmezustand. Drei Stunden später waren der Premierminister und drei seiner Minister verhaftet und 500 Kilometer weiter nach Süden geschickt worden.

Chenik, 68 Jahre alt, erschien im Pyjama und schlaftrunken vor den Offizieren, die ihn in seiner entzückenden arabischen Villa abholten und zum Wagen geleiteten. Er erging sich in zahllosen Protesten. Die übrigen Minister ließen sich ohne Widerrede verhaften. M’Zalis Verhaftung erregte Erstaunen. Er galt als frankophil und war erst vor wenigen Wochen vom Neo-Destour- Organ „Missim“ als falscher Bruder bezeichnet worden. Er ist Freimaurer. Ben Salem, der Schwiegersohn des Beis, meinte nur ruhig: „Das mußte ja schief ausgehenl" Von den drei übrigen Ministern durfte Sdallah auf Ehrenwort in seinem Haus bleiben; die beiden anderen, Ben Youssef und Badra, waren schon vorher ins Ausland gegangen und erfuhren erst durch einen Pariser Journalisten von den Ereignissen der Nacht. Mit Hilfe arabischer Diplomaten gelangten sie am folgenden Tag nach Belgien und bis nach Genf. Die Minister sind gegenwärtig in Kebil in Südtunesien untergebracht. Sie bewohnen neun Zimmer mit vier Bädern und leiden keinen Mangel. Ihnen gesellte sich einen Tag später Bourguiba zu, der schon früher in seinem „fliegenden Lager" hinter der Kabash von Tunis verhaftet worden war.

Der erste Tag des Ausnahmezustandes, der 26. März, war der ruhigste seit Beginn der Krise. Sonderberichterstatter von 20 europäischen und amerikanischen Zeitungen waren gewissermaßen ganz enttäuscht, weil es über keine Sensationen zu berichten gab.

Um zehn Uhr ersuchte man Prinz Chedly, eine Audienz beim Bei zustande zu bringen. Erschrocken und unruhig, wußte dieser nicht zu antworten. Eine Botschaft A u r i o 1 s und ein Zufall — wenn es wirklich einer war — brachten die Audienz dann bald zustande. Die beiden Überbringer der freundlichen und friedfertigen Botschaft des französischen Staatspräsidenten an den Bei von Tunis waren im Flugzeug von Paris abgeflogen. Im letzten Augenblick hatte ein schlanker, eleganter junger Mann mit blonden Haaren einen dritten Platz belegt: Prinz Sliman, der Sohn des Kronprinzen, der Sidi Laminęs Erbe antreten soll. Nach der diplOinatisAen Version ist sein Auf tauchen ein bloßer Zufall, der jedoch im Palast des Beis sofort bekannt wurde und wie ein Schock wirkte. Die königlichen Hofjuristen machten sich bereits mit den rechtlichen und historischen Gegebenheiten des Kapitels „Abdankung" vertraut. Aber es kam anders.

Am 28. März mittags stoppte ein amerikanischer Wagen mit der Trikolore vor dem Palast Hammam Lif. Der Generalresident in Zivil und die beiden Botschafter Auriols wurden vom Bei überaus höflich empfangen. Gnädig nahm er den Brief entgegen und rief befriedigt: „Ah, Vincent Auriol!“ Der Dolmetscher begann zu übersetzen:

„Mein lieber Freundl“

Enthusiastisch hob der Bei die Hände: „Ich bin gerührt von der Freundlich keit des Herrn französischen Staatspräsidenten. Auch ich bin sein Freund. Sie wissen ja, ich war schon gewissermaßen vor ihm Franzose, denn ich bin älter als er!"

Die Atmosphäre des steifen Zeremoniells lockerte sich im Handumdrehen ... Zufrieden nickte der Bei über den Absatz, der seine Souveränität garantierte. Die Reformpläne schienen ihm durchaus günstig: zwei Versammlungen, eine konsultative und rein tunesisch, die zweite finanzieller Natur und gemischt aus Tunesiern und Französen. Der delihäte Punkt: Premierminister?

„Oh, ich bin bereit, einen Nachfolger fur Chenik zu ernennen. Ich werde meinen Freund BacCouche wählen!"

Nach genau 58 Minuten war die Unterredung beendet...

Dämit hebt .sich der Vorhang vor dem vierten Akt. Noch häufen ich J5p nmw- gen und Schwierigkeiten — gerade aus den Ereignissen der letzten Tage wurde sichtbar, daß noch Nebnnherde der Unruhe existieren —, aber Frankreich gibt die Hoffnung nicht auf, daß die Beruhigung und dämit die Vollendung de Reform- und Aufbauwerke in Tunis endgültig gelingen wird. Debet wird die Haltung der westlichen Staatengemeinschaft, im Hintergründe Amerika, eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Können diese zugeben, daß im Herzen des Mittel meerraumes Von nationalistischen und kommunistischen Elementen eine latente Unruhe genährt wird, die letzten Endes den erwähnten deus ex machįna unwiderstehlich apziehen würde? fnd.

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