... und das Glück erschrieb

Werbung
Werbung
Werbung

Durch Wolfgang Frühwalds Stifter-Lesebuch, Arnold Stadlers persönliche Liebeserklärung an Stifter und Wolfgang Matz' exzellente Stifter-Studien hat sich Klemens Renoldner gelesen.

Gedenkjahre sind Mühsal, sind wir leichtfertig übereingekommen zu behaupten. In wie vielen Varianten konnte man den Satz hören, der ungefähr so lautet: "Wenn nur dieses Mozartjahr schon vorüber wäre!" Den Gefallen wollen wir niemandem tun, noch ist Stifter unser Jahrespatron, Andersen, Schiller und Einstein hatten wir schon. Da ich befürchte, dass unsere verschwommene Sympathie für den Dichter aus dem Böhmerwald in einer Mischung aus vager Ahnung der Lebensumstände und Unkenntnis der Texte begründet liegt, bin ich keineswegs bereit, mich über dieses Stifter-Jubel-Jahr zu mokieren, im Gegenteil, ich freue mich darüber. Man studiert vielleicht diese oder jene Erzählung aufs Neue, oder man greift wieder einmal zu jener Deutung von Leben und Werk, die Wolfgang Matz in seiner Stifter-Biographie 1995 so eindrücklich vorgelegt hat.

Stifter-Lesebuch

Unter den neuen Veröffentlichungen zu Adalbert-Stifter, von denen einige wohl auch nach diesem Stifter-Jubeljahr ihre Wirkung tun werden, ist ein Lesebuch zu erwähnen, das von einem der Herausgeber der historisch-kritischen Ausgabe der Werke Stifters, Wolfgang Frühwald, zusammengestellt wurde. "Sonnenfinsternis und Schneesturm" nennt sich der Band, dessen Untertitel "Adalbert Stifter erzählt die Natur" heißt. Den Gemeinplatz, dass Stifter in seinen Erzählungen mit enormer Genauigkeit Wald und Landschaft, Licht und Farbe in beeindruckenden Naturschilderungen dargestellt hat, kann man mit Hilfe der in dieser Anthologie versammelten Texte an vielen konkreten Beispielen nachvollziehen: neben bekannten Erzählungen wie "Brigitta", "Bergkristall" und einem Ausschnitt aus "Die Mappe meines Urgroßvaters" sind hier auch einige weniger bekannte Texte versammelt.

Enorme Genauigkeit

Wer erinnert sich denn, alle Freunde der "Bunten Steine" sollen ehrlich sein, wie faszinierend in der Erzählung "Kalkstein" (1847) das Heranrollen eines Gewitters beschrieben ist: "... die völlige Nacht war hereingebrochen. Die Blitze waren schärfer, und erleuchteten trotz des Kerzenlichtes bei jedem Aufflammen die Winkel des Stübleins. Die Donner wurden ernster und dringlicher. So blieb es eine lange Weile. Endlich kam der erste Stoß des Gewitterwindes. Der Baum, welcher vor dem Hause stand, schauerte einen Augenblick leise, wie von einem kurz abgebrochenen Lüftchen getroffen, dann war es wieder stille. Über ein kleines kam das Schauern abermals, jedoch länger und tiefer. Nach einem kurzen Zeitraume geschah ein starker Stoß, alle Blätter rauschten, die Äste mochten zittern, nach der Art zu urteilen, wie wir den Schall herein vernahmen, und nun hörte das Tönen gar nicht mehr auf. Der Baum des Hauses, die Hecken um dasselbe und alle Gebüsche und Bäume der Nachbarschaft waren in einem einzigen Brausen befangen, das nur abwechselnd abnahm und schwoll. Dazwischen schallten die Donner. Sie schallten immer schneller und immer heller. Doch war das Gewitter noch nicht da. Zwischen Blitz und Donner war noch eine Zeit, und die Blitze, so hell sie waren, waren doch keine Schlangen, sondern nur ein ausgebreitetes allgemeines Aufleuchten. Endlich schlugen die ersten Tropfen an die Fenster."

Ein besonderes Schmuckstück ist Wolfgang Frühwalds Nachwort zu diesem Lesebuch, ein brillanter Essay über Stifters Verhältnis zur Natur. Wir erfahren darin nicht nur kulturhistorische Details über die Böhmerwald-Region zur Stifter-Zeit, die Bedeutung des Energie-Rohstoffes Holz vor der Entdeckung der Kohle, über den Gegensatz von Bauernwelt und Industrialisierung, den paradiesischen Mythos vom Baum, die Bilder von Wald und Baum in Philosophie, Literatur und bildender Kunst des 19. Jahrhunderts, sondern lesen auch über die Ambivalenz von wilder und kultivierter Natur, über die Dialektik von Entfremdung in der Natur und einer ästhetischen Versöhnung in und mit ihr. Entzauberung und Verklärung in der Beschreibung der Natur, Pantheismus und Erlebnis des abwesenden Gottes, naturwissenschaftlicher Fanatismus und Neuerschaffung der Natur in der Kunst - das sind nur einige der Pole, zwischen denen Frühwald mit Adalbert Stifter auf Erkundung geht. Auf mannigfaltige Weise verschränken sich kulturgeschichtlicher Exkurs mit Text-Exegese.

"Mein" Stifter

Auch der deutsche Schriftsteller Arnold Stadler hat ein Buch über den älteren Kollegen mit denselben Initialen herausgebracht. Der Autor nennt es "Mein Stifter", denn dieses Buch soll eine sehr persönliche Liebeserklärung, die Vergegenwärtigung einer früheren Lektüre-Begeisterung sein, eine Sympathiebekundung für den "stiernackigen, dickbäuchigen, rotgesichtigen" und vor allem, wie Stadler findet, furchtbar katholischen und so entsetzlich verfressenen Autor.

Stadler haben es fünf Fotografien Stifters angetan, anhand derer er seine etwas plakativen Thesen darlegt. In diesen flink hingelegten lebensgeschichtlichen Koordinaten sehen wir: Stifter, der verzweifelte "Selbstmörder in spe"; Stifter, gefangen im katholischen Dreieck von Pflicht, Schuld und Strafe; der fresssüchtige Stifter; Stifter, der Verklärer der eigenen Lebenserfahrung in den Erzählungen. Aber mit solchen Strichen wird kein plausibles Erklärmodell gezeichnet, auch wenn man sie noch so oft nachzieht.

In seinem Gefängnis

Stadler zeigt Stifter in seinem eigenen Gefängnis, aber man hat den Eindruck, er will den lieben Stifterbertl auch gar nicht mehr daraus befreien. Wir hören wieder und wieder, wie verfressen Stifter war, wie unglücklich sein Leben verlief, wie es vom phantasierten Selbstmord überschattet war, und allzu leichtfertig schließt Stadler aus seiner eigenen katholischen Biografie auf die Stifters. "Aber das ist viel zu katholisch gedacht" ertappt sich der Autor selbst, und wir erleben es Seite um Seite, dass mit Hilfe eines saloppen Assoziationsstromes, der der Jugendlektüre des "Nachsommer" folgt, nicht viel gewonnen wird. Das übrige Werk bleibt unberücksichtigt, dafür lässt sich Stadler noch zu einer wüsten Polemik gegen Thomas Bernhard und seinen Roman "Alte Meister" hinreißen.

Das kleinste Buch zum Stifter-Jahr ist zugleich sein anspruchsvollstes und bedeutendstes. Wolfgang Matz destilliert seine langjährigen Stifter-Erkundungen in zehn kleine Studien. Dem "misslichen Aspekt des Stifterschen Werkes", der Verklärung zur biedermeierlichen Idylle, sieht der Autor nüchtern ins Auge, "zu oft droht es abzugleiten in einer Sphäre engstirniger Erbaulichkeit, selbstzufriedener Bescheidenheit". Trotzdem präsentiert uns Matz Stifter als modernen Autor, weil er sich der "Gewalt des Gewordenen" unterwirft, weil seine Figuren falsche Hoffnungen aufgeben und sich den Enttäuschungen ihrer Gegenwart anpassen. Für Matz wird Stifter damit zum Autor der "rückwärtsgewandten Utopie", deren Tendenz es jedoch nicht sei, eine schreckliche Vergangenheit schön zu malen, sondern vielmehr einen vergangenen Zustand herbeizusehnen, der noch gar nicht gelebt wurde: "In diesem Bilde ist Stifters Werk zu fassen: Eingedenken eines Glückes, das nie Wirklichkeit war."

Die rettende Liebe

Das Schweigen, die rettende Liebe, die Reue, Stifters Naturgesetz, sein Bildungsbegriff, auch um diese Themen ranken sich die Thesen von Wolfgang Matz, und so untersucht er natürlich auch Stifters politische Position nach 1848, spricht dabei von "Rückzugsgefechten eines Enttäuschten, der zwar kein Revolutionär war, doch eine Umgestaltung der politischen Verhältnisse als dringende Notwendigkeit sah."

Höchst konzentriert ist der Gehalt dieses schmalen Bändchens, das den Leser Seite um Seite in Staunen versetzt. Allen aufrichtigen Verehrern Adalbert Stifters sei diese Lektüre herzlich empfohlen.

Sonnenfinsternis und Schneesturm

Adalbert Stifter erzählt die Natur

Ein Lesebuch von Wolfgang Frühwald

DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln, 2005. 196 Seiten, geb., e 20,50

Mein Stifter

Porträt eines Selbstmörders in spe und fünf Photographien

Von Arnold Stadler

DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2005. 413 Seiten, geb., e 18,40

Gewalt des Gewordenen

Zu Adalbert Stifter

Von Wolfgang Matz

Droschl-Verlag, Graz 2005

98 Seiten, brosch., e 12,-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung