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Und immer noch eins drauf gesetzt

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Ein Provinzroman kommt selten allein. Sein ständiger Begleiter oder besser sein Schatten ist ein Motiv, das sich erst allmählich in der österreichischen Literatur nach 1945 einnistete, nämlich der Fremdenverkehr. Bei manchen Autoren kann man fast eins zu hundert wetten, daß dieses Thema auch in ihrem neuesten Werk vorkommen wird.

Norbert Gstrein ist einer von ihnen. Wenn er sich dann auch noch in das Genre des Kriminalromans vorwagt, kann man schon auf einiges gespannt sein. Umso enttäuschender ist es freilich, wenn die Spannung dann ausbleibt, wie, leider, in Norbert Gstreins jüngstem Buch.

Im Mittelpunkt steht ein Hotelier in einem Tiroler Fremdenverkehrsort, der auf scheinbar mysteriöse Weise zu Tode gekommen ist. Schulkinder haben ihn eines Morgens im Februar an die Friedhofsmauer gelehnt gefunden, sein Hund wird erst im Frühjahr mit zertrümmertem Schädel am Waldrand entdeckt. Doch bis der Leser über das Ende der Hauptfigur endlich informiert wird, muß er sich durch 144 Seiten von sogenannten Berichten quälen. Ausgehend vom Begräbnis des scheinbar Ermordeten, spult Gstrein die Handlung mühsam in drei Teilen ab. Den Anfang und das Ende des Buches bestreiten die Berichte der Freunde, im Zentrum stehen die Aufzeichnungen des Hoteliers, der von allen „der Kom-merzialrat" genannt wird.

Gstrein zieht alle Register des zeitgenössischen Provinzromans: Die Struktur eines Dorfes wird bis zur Erschöpfung beschrieben, von den weiblichen Dorftratschen bis zu männlichen Alkoholexzessen, die dann doch nur harmlose Saufereien bleiben, läßt er nichts aus. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, daß immer von allem etwas zuviel da ist. Die gängigen Klischees werden unnötig überzogen, ohne Rücksicht darauf, ob das für den Fortgang der Handlung nötig ist. Gstreins Versuche, seinen Roman aufzupeppen, um jeden Preis interessant zu machen, lassen sich am Beispiel des Dorfpfarrers illustrieren: dieser ist ein Afrikaner, der sich zwar auf Zaubereien versteht und Krankheiten auspendelt, aber sonst vom Autor nicht weiter beachtet wird, der Einfall wirkt daher aufgesetzt.

Auch der Eindringling aus der Fremde darf selbstverständlich nicht fehlen. Er kommt diesmal aus der Steiermark, verdient sich sein Geld als Animator in den Bars des Dorfes und gebärdet sich als echter „Aufreißer", keine Touristin ist vor ihm sicher.

Nicht einmal vor den Töchtern des Kommerzialrats macht er halt. Da versteht es sich fast von selbst, daß er sofort mit dem Mord am Kommerzi-alrat in Zusammenhang gebracht wird.

Sogar eine spanische Filmdiva bemüht der Autor, die als jährlicher Saisongast mit fast allen Männern im Dorf ein Verhältnis hat, selbst der Kommerzialrat zählt zu ihren Eroberern. Auch da spart Gstrein nicht mit billigen Klischees, die Frau Kommer -zialrätin ist mittlerweile zur Alkoholikerin geworden, will weder Verständnis noch Zeitfür ihn aufbringen, nachdem sie gemeinsam das Dorf zu einem florierenden Fremdenverkehrsort gemacht haben. In erster Ehe war sie mit dem „Fremdenverkehrspionier und Hotelgründer" verheiratet, dessen Bronzestatue vor dem gemeinsamen Zimmer prangt.

Bis zum Überdruß reißt Gstrein immer wieder neue Motive an, die Krankheitsgeschichte seiner Hauptfigur wird immer von neuem begonnen, Anschläge auf deutsche Touristen werden erwähnt, allerlei wird behauptet, um scheinbar sofort widerlegt zu werden, letztendlich wird das Gehabte erneut bestätigt.

Ein echtes Ärgernis ist der Anspruch, in diese Provinz- und Fremdenverkehrsgeschichten auch noch einen Krimi einzubauen, dem gänzlich jede Spannung fehlt.

Gegen Ende der Lektüre wird schließlich der Verdacht immer stärker, daß vielleicht der Autor selbst nicht wußte, worauf er letztendlich hinauswollte.

BDER KOMMERZIALRAT. BERICHT Roman von Norbert Gstrein. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, 1995. 149 Seiten, geb., öS 252,-

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