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...und nächstes Jahr nach Indien

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UNTER EINEM VERHÄNGNISVOLLEN ZIRKELSCHLUSS leidet der indische Ausländertourismus, gerade weil der Fremdenverkehr dieses Landes noch nicht entwickelt ist, vermag er sich nur unter sehr großen Schwierigkeiten zu entwickeln. Der westliche Reisende will absolute Sicherheit und keine Risiken, sucht modernen Komfort und keine Abenteuer. Aber fast nirgends in Indien werden diese Wünsche erfüllt. Kein einziges indisches Hotel darf beanspruchen, nach europäischen Begriffen erstklassig geführt zu sein. Die ausländischen Manager wurden vorzeitig durch Einheimische ersetzt. Wegen der Unzu-verlässigkeit der Hotelangestellten bleibt dem Gast selten Ärger erspart. Es ist auch auf keinen Fall ratsam, Wasser zu trinken.

Viele kleinere Städte weisen nur indische Unterkünfte (sog. Indian style hotels) auf. Gelegentlich gibt es hier nicht einmal Fließwasser, geschweige denn Bettwäsche oder Handtücher.

Es ist unrichtig, die indische Küche als schlecht zu bezeichnen, obwohl sich der Europäer nur in seltenen Fällen für sie begeistern kann. Die Speisen sind stark gewürzt und auf die Dauer kaum erträglich. Auf Reisen empfiehlt es sich, von Schalenfrüchten — Bananen und Orangen — zu leben. Wer abmagern will, dem fällt es in Indien am leichtesten!

Der moderne Tourist nimmt sich vor, ganz bestimmte Dinge zu sehen und sie möglichst schnell zu sehen. Immer mehr Reisende fliegen nach Indien und verkehren im Lande nur „by air“. 1960 waren es über 60 Prozent, hingegen kamen per Schiff 30 Prozent und auf dem Landwege nur 73 52 Personen. Die Fahrt über die Türkei, Persien, Afghanistan und Pakistan ist noch immer etwas abenteuerlich und — wenn überhaupt — nur zu bestimmten Jahreszeiten durchführbar.

DER RUHM, DAS ENDE DER WELT ZU SEIN, die Selbständigkeit des Randstaates Nepal, die zwar nur zum Schein besteht, die Nähe zur mysteriösen tibetanisch-chinesischen Grenze und das ausgezeichnete Klima locken jedes Jahr Zehntausende nach dem Weinen Himalayaland. Obwohl Nepal fast nichts unternimmt, um Reisende aus aller Welt nach Kat-mandu, seiner Hauptstadt, zu locken.

Es gibt einen kritischen Punkt, den ein Land überschreiten muß, damit sein Fremdenverkehr aufkommen kann. Indien hat diesen kritischen Punkt noch lange nicht erreicht. 1960 kamen nur 123.095 Ausländer, nicht einmal die Hälfte (61.570) „zum Vergnügen“, die meisten „geschäftlich“ (16.137), „auf der Durchreise“ (12.932), „zum Studium“ (3040) oder . „aus anderen Gründen“ (29.129). Im| folgenden Jahr waren es insgesamt rund 140.000, was eine Zunahme des Fremdenverkehrs von 7,2 Prozent bedeutet. Im Verhältnis zum fast zehnmal kleineren Italien, welches letztes Jahr die Zwanzigmillionengrenze überschritt, handelt es sich um eine verschwindend kleine Zahl. Die Ausländer bringen als Besucher nur 42 Millionen Rupien (rund 150 Millionen Schilling) ins Land, was bei weitem nicht ausreicht, um dem Tourismus einen erheblichen Auftrieb zu geben.

Der indische Fremdenverkehr muß sehr viel mehr entwickelt sein, damit er sich von sich aus entwickeln kann. Die Regierung Nehru hat dies eingesehen und läßt ihm erhebliche Geldmittel zukommen, die auf eine lange Sicht hin dafür sorgen sollen, daß das Land dem Konkurrenzkampf um die Gunst des modernen Reisenden bestehen kann.

'AN DER JANPATH ROAD IN NEW DELHI, unweit des Imperial Hotels, befindet sich unter anderem das „Department of Tourismus of the Ministry of Transport and Communi-cation“. Es steht unter der rührigen Leitung von Mr.“ S. N. Chib, dem Generaldirektor dieser Abteilung des Ministeriums für Transport und Massenkommunikationswesen. Mister Chib ist ein Mann in den besten Jahren, gewandt im Auftreten und elegant in. der äußeren Erscheinung.

Ich meine, einen Vertreter des westlichen Managertypus vor mir zu haben, als ich mich zu einer Unterhaltung einfinde. Seine Antworten sind präzise, kein Wort zu viel, keines zu wenig. Sein Kalender ist gefüllt mit einer Unzahl von Verabredungen. Er hat für mich genau 30 Minuten Zeit. Mr. Chib ist viel auf Reisen, mehr in Europa als in Indien, wie er mir versicherte. Er bemüht sich sehr darum, ausländische Kreise für den Bau von Hotels in Indien zu interessieren.

Das offizielle Indien scheut keine Mühe, um den Fremdenverkehr zu fördern. Jedes einzelne Ministerium — also nicht nur das Ministerium für Transport und Kommunikationswesen — kann noch Geld für den Tourismus ausgeben. Die einschlägigen Gesetze scheinen zwar großzügig zu sein: der Anteil des fremden Kapitals darf 49 Prozent nicht überschreiten. Die Einflußnahme der Ausländer ist zeitlich befristet. Ausländische Techniker dürfen zur Erstellung der Gebäude gestellt werden, nicht aber das kaufmännische Personal — oder nur auf Abruf hin. Indien will keinen neokolonialistischen Tourismus.

Mr. Chib gibt mir aber zu bedenken, daß indische „laws“ keine Gesetze im englischen oder kontinentaleuropäischen Sinne sind. „Gesetze stellen nichts als Regeln dar, es sind keine Allgemeinheiten, im Grunde genommen kommt es immer auf die konkreten Offerte an. Alles ist ein Sonderfall. Seit zwei Jahren können Hotels von ausländischen Bauherrn gebaut werden, die eine fremde Kapitalbeteiligung von 60 und mehr Prozenten aufweisen. 50 Prozent der Saläre dürfen nach Hause transferiert werden. Dank der billigen Arbeitskräfte kostet die Erstellung eines Gebäudes in Indien sehr viel weniger als in Europa. Mit 20 Millionen Rupien (nicht einmal 70 Millionen Schilling) kann ein Luxushotel mit 250 Zimmern und 400 Betten errichtet werden. Davon bleiben dem indischen Staat 13 Millionen, und besteht lediglich aus einem Einsatzkapital von wenigstens einem Drittel, also in diesem Fall von ungefähr 7 Millionen Rupien. Im ganzen stellt die Indische Union jährlich 400 Millionen Rupien (rund 1400 Mill. S) für solche Vorfinanzierungen bereit. Die Hoffnung, weitere Gelder aufzutreiben, steht derzeit auf schwachen Füßen.

„HABEN DENN SCHON AUSLÄNDISCHE KAPITALGEBER angebissen?“ möchte ich jetzt wissen. Mr. Chib wird nachdenklich. Schließlieh antwortet er: „Die Europäer, vor allem die Schweizer, sind zurückhaltend. Von den Amerikanern kann mehr erwartet werden. Aller Anfang ist schwer. Wenn erst einmal die ersten zehn beieinander sind, finden sich leicht hundert oder mehr.“ Mister Chib möchte den kritischen Punkt, an dem der indische Tourismus sich befindet, möglichst bald überschritten sehen. Er arbeitet von früh bis spät abends, um dieses Lebensziel zu erreichen. Nichts soll unversucht gelassen werden. Sechs Millionen werden jährlich nur für Propaganda ausgegeben. Im ganzen gibt es acht indische Fremdenverkehrsbüros, drei in Europa, nämlich in Paris, Frankfurt und London. Air India International gehört zu den führenden internationalen Fluggesellschaften. Das Flugnetz ist sehr weit gespannt, erreicht mit modernsten Maschinen Kairo, Rom, Genf, Paris, Frankfurt, London, New York, Nairobi, Tokio, Singapur, Moskau, Sidney und Dja-karta. Der Frachtdienst, der solche kostbaren „Güter“ wie Tiger, Känguruhs, Rhinozeros als Spezies an zoologische Gärten als Geschenk an Liebhaber befördert, verzeichnet eine stark zunehmende Frequenz.

Für die Bewältigung des Flugverkehrs im Landesinnern sorgen die „Indian Airlines Corporations“. Neue Linien gelangen in Betrieb, denn die bisherigen nahmen zu einseitig auf ökonomische und nicht auf touristische Interessen Rücksicht. Die berühmte Tempelstadt Khajurahe soll schon bald bis auf einige hundert Meter angeflogen werden können. Die Sitze der alten Königreiche werden durch die IAC in den Mittelpunkt des Massentourismus rücken. Jährlich werden wenigstens 20 neue Hotels gebaut.

Gegenwärtig teilt man sämtliche Hotels nach dem „star System“ ein. Das ASHOKA-Hotel in New Delhi ist ein Fünfstern-, das Imperial ein Vierstern- und das Janpath ein Dreisternhotel.

Das Propagandamaterial der indischen Fremdenverkehrsstellen darf sich sehen lassen. Die Reiseführer sind kurz und bündig gehalten, geben über das Wichtigste Auskunft und laden durch schöne, wenn auch schlecht gedruckte Bilder, zum Besuch der verschiedenen Regionen ein. Indien vermag dem Reisenden ungeheuer viel zu bieten. Die Moscheen der Mogulkönige — ein TajMahal in Agra oder ein JamaNasjid in Delhi sind zu sehr bekannt, als daß man noch für sie Reklame machen müßte. Ebenso sprechen die südindischen Tempel, die Höhlen von Ajanta und Ellora, das Ferienparadies Kaschmir und der Himalaya für sich selbst.

Neuerdings kann ein extravaganter Tigerjäger nicht nur völlig gefahrenlos einen Tiger erlegen, sondern auch am Rastplatz inmitten des Wildparks — 40 Kilometer von der nächsten Eisenbahnstation entfernt — ein eisgekühltes Erfrischungsgetränk zu sich nehmen. ..

INDIEN LIEGT AUF DER ANDEREN SEITE DER ERDKUGEL -von den Vereinigten Staaten aus gesehen. „Der moderne Fremdenverkehr lebt also von den Amerikanern“, meint Mr. Chib.. Der ehemalige Professor zeigt sich nicht zu optimistisch über die Zukunft seines Landes. „Bevor die Flugpreise nicht erheblich reduziert werden, kann der indische Tourismus nicht richtig aufkommen“, und berichtet weiter: „In der ersten Jahreshälfte von 1961 sollen 39 Prozent mehr Amerikaner den Pazifik überquert haben als im Vorjahr, während die Atlantikroute eine Abnahme um 7 Prozent verzeichnet hat. - > Es handelt sich aber um relative Zahlen. Absolut gesehen verschluckt Europa immer noch — und für sehr lange Zeit — den .Löwenanteil*. Wir wissen ganz genau, daß die bestehenden Hotels nicht genügen. Es fehlt an allen Ecken und Enden. Man gebe uns aber Geld und Zeit und ein bißchen mehr Vertrauen, und wir werden den modernen Fremdenverkehr an uns reißen. In Europa hat sich der internationale Tourismus im großen und ganzen aus dem nationalen Fremdenverkehr entwickelt. Das Feriennehmen ist dort schon ein alter Brauch. Wir müssen uns aber erst noch einen ,home holiday market' schaffen, und Asien entdeckt jetzt die .holiday habit', die Gewohnheit des Feriennehmens. Die Jugend will sich vergnügen. Der ,fun* wird zum Wert. Jetzt kann der Frem-' denverkehr auf einer breiten Basis aufkommen. Der Tourist ist nicht mehr der Inbegriff eines ausnütze-rischen Kolonialisten. Er wurde zu einer Respektperson. Beim Eintritt in jede größere indische Stadt, heißt ein Nehru-Bild mit entsprechendem Geleitwort den Fremden willkommen. In der Erkenntnis, daß eine freundliche Atmosphäre die wichtigste Voraussetzung für die Entwicklung des Fremdenverkehrs darstellt, wurde eine .courtesy - to - the - tourist - carrrpaign' (Höflichkeit für die Touristen-Kampagne) gestartet, die über kurz oder lang Erfolg haben wird. Uralte Vorurteile müssen abgebaut werden. Auch Rom ist nicht in einem Tag gebaut worden. Die Vorzeichen für eine gute Entwicklung des indischen Tourismus sind aber gegeben.“

EINE INDIENREISE IST EIN TEURES VERGNÜGEN. Allein die Hinreise kostet per Flugzeug mindestens 9744 Schilling und per Schiff noch immer über 6000 Schilling. Während der Jet für die Zurücklegung der 5000 Kilometer keine zehn Stunden benötigt, braucht ein Passagierdampfer wenigstens elf Tage.

„Lloyd Triestino“ setzt ab 1963 die beiden 27-Tonnen-Dampfer „Galileo-Galilei“ und „Guglielmo Marconi“ ein, welche die Fahrzeit um zwei bis drei Tage herabsetzen. Wer Zeit hat, sollte nicht verfehlen, wenigstens eine Fahrt mit dem Schiff zu unternehmen. Indien ist auf dem besten Weg, ein Ferienparadies zu werden — vorausgesetzt, man hat das nötige Kleingeld für einen echt indischen Urlaub.

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