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Jorge Edwards fantastische und faustische Reise durch das Höllentor: nach Chile.

Chile hat seinen eigenen 11. September. Am 11. September 1973 putschte sich General Augusto Pinochet blutig an die Macht. Der 1931 geborene Schriftsteller Jorge Edwards lebte damals als chilenischer Botschaftsrat in Paris. Sein Vorgesetzter, der sehr kranke Pablo Neruda, starb einige Tage danach. Jorge Edwards hielt sich zum Zeitpunkt des Putsches in Spanien auf und erfuhr über die Medien von der Bombardierung des Amtssitzes von Salvador Allende, der 1970 zum Staatspräsidenten von Chile gewählt wurde. Fassungslos mit Edwards vor dem Fernseher saß Mario Vargas Llosa.

In Interviews sagte Edwards später, Allendes Versäumnis bestand unter anderem darin, den Mittelstand nicht für sich gewonnen zu haben. Außerdem gingen die Unidad Popular und die Christdemokraten keine Allianz ein: die Bahn war also frei für Pinochets faschistische Kräfte, die die Demokratie für lange Zeit beendeten und eine Schreckensherrschaft einläuteten, mit deren Aufarbeitung Chile noch lange beschäftigt sein wird.

Nicht erwünscht

Vierzehn Jahre nach dem Putsch (also noch unter Pinochet) erschien in Chile Edwards Roman "El anfitrión", der nun mit dem Titel "Faustino" auf Deutsch vorliegt. Edwards Werke hatten es nicht leicht, auf Deutsch zu erscheinen, zu sehr störten sie das Blockdenken. "Persona non grata", die umstrittene kritische Abrechnung mit Castros Kuba, in dem Edwards drei Monate interimistischer Repräsentant der Regierung Salvador Allendes war, brauchte 33 Jahre, um mit Wagenbach einen Verleger in Deutschland zu finden. Der autobiografische Roman erschien drei Monate nach dem Putsch durch Pinochet, kein guter Moment, wie Edwards zugab, "um Fidel Castro zu kritisieren".

"Faustino": Titel und Name der Hauptfigur sind Programm. Edwards erzählt eine Faustgeschichte, und der Pakt mit dem Teufel sähe nicht den Verkauf der Seele vor, sondern den Tausch der eigenen Vergangenheit gegen eine neue.

Die fantastische Geschichte beginnt in Ostberlin im Asyl, in das die Partei nach dem Putsch ihre "Kämpfer" verschoben hat, eine Art Limbus, aber mit allen im System möglichen und vorgesehenen Privilegien: fünfzehn oder zwanzig Quadratmeter mehr Wohnraum als üblich und subventioniertes Telefon. Die Partei sorgt für ihre Mitstreiter, es sind eben nicht alle Tiere gleich. Dort trifft Faustino auf Apolinario Canales, jene Person, die im Folgenden Faustino per Hubschrauber nach Chile fliegt.

Dreizehn Jahre lang war Faustino nicht "daheim", die Ampeln scheinen zu funktionieren und die Mauern der Stadt sind ohne die Wahlpropaganda, wie er feststellt, deutlich sauberer. Was wenig witzig ist, wie Apolinario bemerkt, denn: "Wenn es keine Wahlen gibt, was soll es dann noch Propaganda geben …" Der Dichter Jorge, den sie besuchen, berichtet lachend "mit der Hand die Löcher in seinem Gebiss verbergend, das Land mache Fortschritte an allen Fronten: bei der Organisation der Entlassenen ebenso wie bei der Organisation der Schlagstöcke und Galgen".

Die fantastische Reise nach Chile ist nicht nur wundersam (wie etwa soll ein Hubschrauber von Ostberlin bis zu den Anden kommen), sondern vor allem ziemlich unheimlich. An Dante erinnert unter anderem die Warnung an den durch das Tor nach Chile Tretenden, alle Hoffnung fahren zu lassen. Die Reise führt also vom Limbus in die Hölle.

Das Gefühl, in Begleitung des Teufels zu reisen, verstärkt sich. Der Vorschlag zum Pakt lässt nicht lange auf sich warten: Apolinario, free lancer in Sachen Zukunft Chiles, sucht einen "Mann, der helfe, das Land aus seiner tiefen Krise zu führen". Er soll "charismatisch und mittelmäßig, magisch und grau, herausragend und nichtssagend" sein, kurz: wie Faustino. Dessen kommunistische Vergangenheit würde freilich stören, der Pakt sähe vor, dass Apolinario die Vergangenheit für sein Archiv erhält, als Gegenleistung bekäme Faustino "ad hoc" eine neue Vergangenheit. "Sie werden strenggläubiger Katholik sein, denn das mit dem Laizismus und der Freimaurerei ist inzwischen aus der Mode gekommen … Sie werden katholisch und ein Freund des Bischofs sein und ein Ohr für die Probleme der Armen, der Behinderten haben."

Unheimliche Realität

Edwards Roman "Faustino" ist eine gleichermaßen schaurige wie komische Politsatire, in bester lateinamerikanischer Tradition fantastisch und real erzählt. Edwards bemüht Weltliteratur, nicht nur aber vor allem Goethes "Faust", wobei in diesem Fall Margarita keine Unschuld vom Land, sondern Verführerin ist. Die Zeiten haben sich geändert. Auch wenn Zeitgenosse Faustino den Pakt zunächst nicht unterschreibt, ist er doch längst in seinem neuen Leben …

So unheimlich Literatur wirken kann, am unheimlichsten ist immer noch die Realität, aus der sie sich speist: "das Kapital muss sich mit allen gut stellen, mit Gott und mit dem Teufel. Und die Revolution muss, um sich zu entwickeln, auch ein paar Kompromisse eingehen … Und so kommt es, dass …"

Faustino

Roman von Jorge Edwards

Aus dem chilen. Span. von

Sabine Giersberg

Wagenbach Verlag, Berlin 2008

187 Seiten, geb, € 19,50

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