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Und was bleibt ist der Mensdi

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Der Autor nennt dieses wesentldch politisdie Buch einen Roman. Zufcreffendier ware wohl, es als eine in Romanform gekleidete Ge- schiditsbetrachtung zu definieren — eine Be- trachtung des deutschen, vor allem, und des abendlandischen Schick sals, wie es der zwedte Weltkrieg gestaltet hat. Seine groBte Starke ldegt in der Darstellung kriegerisdien Ge- sdiehens. In den Sienen, die solches schildern, Luftkampfe etwa oder die rat lose Flucht der Bevolkerung vor den sowjetischen Panzer- gesdiwadem, zeigt Ziesel ein bedeutendes dramatisdies Talent und eine Gabe fiir plasti- sche Gestaltung, wie sde nicht allzu haufig ist. In den zahlreidien Portratskizzen hingegen, die er uns vorstellt, kommt diese Gabe weniger zum Ausdruds. Der erste Held des Buches, der amerikanische Fliegeroffizier, den die Reue iiber den AbschuB eines ritterlidien Gegners fast hysterisdi werden la&t; der Ab- gesdiossene, Leutnant Reineder .aus Wien" oder aus dem Siiden (so wird seine oster- reidiische Nationalist sorgsam umsdirieben), der ein Tagebudi gefuhrt hat, dessen Gedanken einem ehemaligen (und offenbar dllegalen) HJ-Jungen bestimmt nicht in den Sion kommen konnten; der ostpreuBisdie Forster, den ein Bauth- und ein LungensdiuB nicht verhindern, noch rasdi eine philosophi- scfae Vorlesung iiber Deutschtum und andere abstrakte Themen zu halten — sde und alle anderen wichtigen Figuren wirken irgendwie unnatiirlich, man konnte fast sagen als Auto- maten, zu dem Zweck hingestellt, um des Autors personlddie Auffassungen und An- siditen moglichst wirkungsvoll zu inter- pretieren.

Durch diese Medien vertrdtt der Autor, wie sdion im Budititel angedeutet, den Primat der Mensdildchkeit. Das grauenhafte Erbe dieses wahnsinnigsten aller Krieg , mit seinem un- vorstellbaren MaB von Leid und Not und tief- grfindigem HaB, kann nur vom Herzen aus iiberwunden werden; die Volker des Westens miissen lernen, ednander zu verstehen, sidi briiderlich nahe zu kommen, sonst sind sie alle, und md.t ihnen die europaische Kultur, dem Untergang geweiht. Das ist eine Auf- forderung, der jeder Leser vollinhaltlidi bei- pflichten wdrd. Aber leider ist Ziesels Appell zur Verstandigung stark verklausuliert. Man kann den Geist der Versohnung und Freund- schaft zwischen den Volkern nicht damit pro- pagieren, daB man den anderen ein langes Scfauldregister vorhalt, von den selbst be- gangenen Siinden aber nichts horen und nddits wdssen will.

Abgesehen davon, daB all das, was die Akteure dieses Buches in ihren bitteren An- klagen gegen die Politik der Westmachte, und namentlich der Vereinigten Staaten, vor, wahrend und nadi dem Krieg vorzubringen haben, x-mal gesagt worden ist, fehlt hier auch das geringste Zeidien der Einsicht, daB die Deutschen vielleidit nicht ganz und gar un- schulddg waren am Entstehen der so sdiarf verurteilten .Verbrechen" der AUiierten. Waren es etwa die Englander oder Franzosen oder Aaierikaner, deren Stimmzettel einen Hitler zur Madit braditen? Gab es unter den Besten des deutschen Volkes nicht etwa Manner genug, die, lange vor dem .Umbrudi" von 1933, eindringlich vor den furchtbaren Folgen warnten, dde eine .nationale Er- hebung" soldier Art nadi ziehen muBte? Wer hat denn, von den vorhergegangenen Gewalt- akten gegen Osterreich und die Tschedio- slowakei ganz zu schweigen, am 1. September 1939 Polen iiberfallen und damit mutwillig den Krieg vom Zaun gebrochen? Wer war es, der, viele Monate bevor die erste Bombe auf deutschem Boden fiel, den Bombenregen auf Warsdiau, Rotterdam, London, Coventry niederprasseln IdeB und damdt den Vernidi- tungsfeldzug audi gegen di Heimstatten Wehrlos-er eroffnete?

Solchen und vielen anderen grundlegenden, ihm unbequemen Fragen geht Ziesel in weitem Bogen aus dem Wege. Er hat ein ganz anderes Anliegen, und iiber die wesentldche Zielsetznng seines Buches konnen ein paar hoflddi-bedauemde Verheugungen vor den gemartcrten Juden ebensowenig hinweg- tauschen wie ein linkischse Kompliment an die Adresse der Demokiatie, verbunden mit dem nodi immer obligaten Seitenhieb auf .die Junker . Versohnung mdt Deutschlands Feinden von gesbem? Verstandigung und Zu- sammenarbedt auf iibernationaler Basis? Be- reitschaft zu gesamteuropaisdiem Fiihlen und Handeln? GewiB, sehr gerne; aber nur unter bes.timmten Voraussetzungen. Zuerst miissen .die anderen" ihre Schuld gegeniiber den Deutschen bekennen und Wiedergutmachung ledsten; und dazu gehort vor allem die An- erkennung eines deutschen Fiihrungsanspruchs und sonstiger deutsdinationaleir Aspirationen. Wie weit diese auf territorialem Gebiete gehen, dariiber driidct sich der Autor nicht naher aus, aber er laBt die Vermutung of fen, daB, seiner Ansidit nach, selbst die Wieder- herstellung der Grenzen des verflossenen .GroBdeutsdien Reiches" kaum genugen wiirde, um dde Forderungen der Gerechtigkeit zu erfullen ...

Ziesel verfiigt uber edne bedeutende schrift- stelleriscbe Begabung. Man bedauert, daB er sde hier in den Dienst einer Tendenz gestelK hat, dde den wahren Interessen Deutsdilands nuir zum Schaden gereddien kann.

Jnngfraulldikelt. Novelle. Von Werner Bergengruen. Verlag der Arche, Zurich 1951. 62 Seiten.

Das Motiv dieser Novelle ist eigenartig. Eine Patrizierstochter aus Reval hat einen jungen Mann, der ihr zu nahe treten wollte, mit seinem Dolch getotet. Das irdisdie Gericht spricht sie zwar frei, nicht aber die Stimme ihres Gewissens, und so tritt sie in ein Kloster ein. Sie fiihlt, daB sie Suhne leisten muB, ohne allerdings sdion zu wissen, auf weldie Weise. Als wahrend eines harten Winters Feinde in das Land einbrecben und die jiingeren Nonnen das Kloster verlassen, da man Gewalttaten befiirditet, bleibt sie freiwillig zuriick, um durch diese Preisgabe ihrer selbst, die Schuld von einst zu siihnen. Aber im entscheidenden Augenblick erkennt sie klar das Gesetz ihres Schicksals, das ihr eine andere Suhne als das Opfer Ihrer Keusdiheit auferlegt. — Die Novelle ist aus- gezeidinet, mit eindringlicher Knappheit und starker innerer Spannung erzahlt, ein Beispiel fur die Kunst des Autors, seelische Inhalte, auch soldie, die kaum in das Be- wuBtsein dringen, zu verdeutlidien. Jene „methaphysische Pointe": die fur Bergengruen diarakteristisch ist, leuchtet auch hier auf. Nur wenige Novellisten erreidien eine solche Konzentration des Erzahlens.

Dr. Theo T r u tn m o r

Kin Piag Meh. Aus dem Chinesisdien uber- tragen von Franz Kuhn. Erschienen im Insel- Verlag, Wiesbaden. 919 Seiten.

Als Verfasser dieser .abenteuerlidien Ge- sdiichte von Hsi Men und seinen sechs Frauen' wird von der Fachwissensdiaft Wang Tschi Tsdiong (1526—1598) angesehen, ein hoher Hofbeamter, der es bis zum Justiz- minister brachte. Die Erzahlung — eine Art Sdiliisselroman, in dem eine alte Familienfehde literarisdi ausgetragen wird — spielt aber wesentlich fruher, und zwar zu Beginn des

12. Jahrhunderts, zur Zeit des prachtlieben- den Hui Tsung, vor dem Hintergrund des Kaisersturzes und des Einfalls der .goldenen Horde". Die Form der Erzahlung ist die der Hauschronik, die .Moral"—obwohl nicht nur der Lebemann Hsi Men, sondern auch seine Liebliogsfrau Goldlotos ein trauriges Ende nehmen — von dier Art, wie sde in dem chine- sischen Sprichwort formuliert ist: .Willst du leben und dich freuen, darfst du anderer Tod nicht scheuen", die Art der Darstellung ist zuweilen kraB realistisch, so daB es geboten ersdieint, fiir jugendliche Leser eine War- nungstafel aufzustellen. Die Leistung des Ubersetzers, der in zwei Jahren uber eine Million Sdiriftzeichen ubertragen hat, ver- dient alles Lob. Sein Deutsch ist frisdi, leben- dig und gegenstandlich. Da Franz Kuhn leider keine Redienschaft darflber gibt, in welchem Umfang er .gewisse Kiirzungen und Straffun- gen" vorgenommen hat, kann ein verbind- lidies Urteil fiber die Komposition des chine- sisdien Originals nicht abgegeben werden. Die vom Insel-Verlag nach einem chinesischen Druck von 1695 veranstaltete Ausgabe (Dunn- drudc in flexiblem Leinen) kann als muster- giiltig bezeidinet werden.

Prof. Dr. H A. Fiechtner

Ein Phantom? Das unheimliche Erlebnis eines Arztes. Von Rudolf Th. Amort. Tyrolia-Verlag, Innsbruck, Wien, Munchen. 78 Seiten.

Der Verfasser bemiiht sich, ein .unheim- lidies Erlebnis' eines jungen Arzte6 zu sdiil- dem — genauer gesagt, zu konstruieren —, der in Bnsterer Nacht zum Naditdienst in sein Spital zuriidckehrt, im Nebel die Orien- tierung verliert, stiirzt und 6ich eine Ver- letzung an der Hand zuzieht. Im Spital findet er alles dunkel und leer; der Chef und alle Assistenten 6ind der Einladung eine6 be- riihmten auslandisdien Chirargen zu einem geselligen Beisammensein gefolgt; im Vor- bereitung6raum neben dem Operations6aal findet er auf einem .Wagen' die zugedeckte Leidie eines unbekannten verstorbenen Aus- lander6; er fSngt an zu fiebem, zu delirieren, wird am nadisten Morgen in die psychiatri- sdie Klinik transleriert, die er nadi einigen Wodien, um Jahrzehnte gealtert, als gebro- diener Mann verlaBt. Der Verfasser, der 6ich bemiiht, das Grauen zu 6childem, warnt den Leser am Anfange, weiterzulesen, wenn er nicht sehr starke Nerven hat. Darin hat der Verfasser redit: Man braucht gute Nerven, um so viel Unsinn zu vertragen — sofem man es nicht vorzieht, sidi dariiber zu amu- sieren, wie 6idi der Autor den Spitalsdienst bei Nacht vorstellt.

Univ.-Prof. DDDr. A. Niedermeyer

Ohne mkhl Ohne uns? Redit und Grenzen des Pazifismas. Vori Werner S c h o 1 g e n. Verlag Anton Pustet, Graz - Salzburg - Wien

1951. 202 Seiten.

Das Buch des Bonner Moralisten ist eine erfrischende Ausnahme in der Literatur fiber den Frieden. Oberlegen werden zunachst jene .Inlellektuellen abgelehnt, welche nur .gesinnungsethisch , ideologisch, durch eine stubenverhockte Entrfistungsmoral, den Krieg zu entwurzeln glauben. Sie wollen die Tat- sadie nicht wahrhaben, meint der Verfasser, daB Geist und GeseJlschaft in ein soziologisches und psychologisches Beziehungsgeflecht hin- eingenommen sind. So wird auch rauf- lustige Jugend nicht durch Sittensprfiche allein in die Ordnung geffigt, sondern durch soziologisdi und psychologisch ausgewahlte Kampfspiele und ahnliches. Ebenso verhalt es sich In der groBen Politik. Nur wer um die Triebmedianismen des Lebens weiB, um die Vielsdiichtigkeit des Menschen, um das sfiBe Gift der Gefahr und der Macht fiber Menschen, um den GenuB des Abenteuers und des drohenden Todes, ist im Sinne des Ver- fassers fahig, als editer .Verantwortungs- ethiker den Frieden zu erbringen. Denn er weiB um die Milieubedingungen dieses Zieles und gewahrt zum Beispiel soldatischen Naturen, die Legion zahlen, entsprediende den bisher veroffentliditen Werken genannt. Die Verfas6erin selb6t bezeidinet es wieder, wie ihre anderen groBen Werke fiber das Johannesevangelium und die Apokalypse, als Betraditungen. Es ist 6omit nicht bloB eine Auslegung und Erhelking des Texte% sondern dariiber hinaus wieder wie ihr Werk iiber den Ephe6erbrief (Kinder des Lichtes) eine neue Art der Sdirrfttheologie, die im dreifal- tigen Leben Gottes mfindet. Wieder zeigt 6ie auf, wie jedes Wort der Schrift Fiille des ewigen Lebens in sidi tragt. Es ist eine ganz sublime Geistigkeit, die mehr von dem ganz geoffneten Glaubigen als vom Exegeten aul- gefangen werden wird. Das Buch i6t wahrhaf- tig ein .Dienst der Freude", ein Zeugnis fur das Wort, das starker ist als sie selbst, schar- fer als ein zweisdineidiges Schwert, Freude und Kraft. Gilt hier nicht .Das Vortrefflidie 6ollte durchaus nicht bekrittelt noch bespro- chen, sondern genossen und andaditig im stillen bedacht werden' (Goe.the)?

Dr. P. Virgil Redlich O. S.B., Seckau

Seelenleben und Seelenfiihrung. Von Dok-

tor med. Friedrich E. Freiherr v. G a g e r n. 1. Band: Seltetbesinnung und Wandlung,

150 Sedten; 2. Band: GKidcliche Ehe, 136 Seiten; 3. Band: Harmonie von Seele und Leib, 75 Seiten. Verlag Josef Knedit, Frankfurt am Main, 1951.

Die auf sechs Bande geplante Schriftenredhe hat nach den Worten des Verfaseers keine wissensdiaftlidie Aufgabe, 6ondem eine solche der Seelenfiihruing. Es geht ihm darum, den Einzelmenschen anzusprechen und angesidits der 6eelisdien Verwirrung unserer Zeit 60 etwas wie einen KompaB in die Hand zu geben, nach dem eine Neuordnung in Er- ziehung und Selbsterziehung gewonnen werden konnte. Diese Worte werden Seite um Seite bestatigt. Immer spurt man den er- fahrenen Moinchener P6ychotherapeuten und Meddziner, der aus profundem Wissen und tieifer Glaubigkeit schopft. Der 1. Band bringt die Entstehung, Verhiitung und Behebung seelischer Fehlhaltungen, dex 2. Band eine 6ehr konkrete Unterwei6ung in der Ehe, der 3. Band handelt fiber die Gesdilechtsemehung des Kindes. Theodor Blieweis

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