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Und zum Schluß: Romane

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Schrei aus dem Abgrund. Von Georges Duhamel. Deutsch von Elisabeth J u h a s z. Verlag Herold, Wien 1953. 271 Seiten. Preis 45 S.

Der zweite Weltkrieg hat mehr noch als sein Vorgänger einen bestimmten Typus Mensch an die Oberfläche geschwemmt, den man in Friedenstagen in seinem ganzen seelischen Schmutz kaum so „rein“ erkennt. Das sind die Bestien, die Hyänen, die auch sonst gerne „über Leichen gehen“. Und da die Schlachtfelder des Krieges — die Front und die zivile Etappe — mehr Leichen als sonst produzieren, ist diese Zeit so recht die Hoch-Zeit dieser Kreaturen. Duhamel projiziert seinen Industrietitanen in die Jahre der deutschen Besetzung Frankreichs, und der Leser weiß im Augenblick: dieser Mann wird nicht gegen den Strom, sondern mit ihm schwimmen, er wird mit seinem Schlamm und seinen Blasen Geschäfte machen, heute mit Schlafpulvern, morgen vielleicht mit Sprengstoffen; er wird aber auch todsicher und genau eine Minute vor Zwölf die Glorie des Partisanen überstülpen und ohne schwere Träume wieder mit den alten Herren, für den alten eigenen alten Schweinehund produzieren: Pyramidon ist nicht blauweißrot und nicht schwarzweißrot, es ist fleckenlos weiß wie das Hemd des Erzeugers. Doch ist da eine Stimme, die nicht schweigt und nicht ruhen läßt: „Wie lange schon schaust Du von mir nicht weg, gönnst mir nicht Ruh...“ (Joh. VII, 17—19). Hier wächst Duhamels große menschliche Aussage über die Reportage und Kolportage der Zeit hinaus und entdeckt das Sinnvolle und Trost-volle des Geschehens. Er schließt nicht mit einer unglaubwürdigen Konversion des harten Sünders, aber selbst durch die ausgekochte Seele des Sterbenden geht eine peinigende Erinnerung, ein dunkler Ruf: „Herr..'. Herr... So rufe ich den, der mich hören und erlösen kann. Den Tod, vielleicht? Das Nichts, vielleicht?“ — Vielleicht noch IHN selbst, der allein ihn hören und erlösen kann.

Ferne Häuser. Erzählungen. Von Irene F o r-b e s - M o s s e. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1953. 289 Seiten. Preis 12.50 DM.

Irene Forbes-Mosse (1864 bis 1946), die Enkelin Achim von Arnims und der Bettina, Verfasserin ausgezeichneter Prosawerke, ist leider nicht so bekannt, wie sie es eigentlich verdient. Um so erfreulicher ist es, daß der Verlag nun sechs Erzählungen aus ihrem Nachlaß veröffentlicht. Ina Seidel schrieb ein schönes, verständnisvolles Vorwort. Die Dichterin wurzelt geistig in der gesellschaftlichen Kultur einer schon versunkenen Zeit; echte Noblesse, tiefes Verständnis für alles Menschliche, überlegener Humor und eine Sensibilität, die auch ganz feine seelische Vorgänge aufspürt, sind ihr eigen. Die äußere Handlung dieser Erzählungen, denen ein strenger Aufbau fehlt, ist gering; nicht was geschieht, sondern wie es dargestellt wird, ist hier wichtig. Ihre besondere Eigenart liegt in der starken Betonung des Subjektiven, in der liebevollen Zeichnung des Details, in der Feinheit der psychologischen Nuancierung und in der stimmungs-dichten Charakterisierung von Menschen und Landschaften. Es ist viel Scharm in diesen Erzählungen, und der eigentümliche Reiz des Stils läßt uns auch manche Längen in Kauf nehmen. Am schönsten ist die Geschichte „Ferne Häuser“, die Schilderung eines stillen Frauenlebens zwischen Wirklichkeit und Phantasie. So vermittelt uns der Band die Begegnung mit einer ungemein anziehenden dichterischen Individualität.

Sie ist meine Tochter. Von Mary Westmacott (Agatha Chris tie). Paul Zsolnay-Verlag, Wien. 340 Seiten. Preis 55 S.

Mit der Wahl eines Pseudonyms für dieses Buch hat die Autorin offenbar andeuten wollen, daß es sich hier nicht um eine „echte Agatha Christie“ handelt, also nicht um eine Kriminalgeschichte jenes charakteristischen Genres, der seiner Schöpferin eine so zahlreiche Gemeinde treuer Leser gewonnen hat. Was hier vorliegt, ist ein moderner Frauenroman. Eine noch jugendliche Witwe, Ann Prentice, entsagt dem geliebten Mann, knapp vor der schon anberaumten Hochzeit, aus Angst vor einem Bruch mit ihrem einzigen Kind, der sehr eigenwilligen Sarah, die sich der Wiedervermählung ihrer Mutter aus purem Egoismus widersetzt. Das Opfer erweist sich als vergeblich: es führt zu schweren Komplikationen, die aber schließlich doch eine Lösung finden. Das Thema ist kaum als besonders originell zu bezeichnen, Agatha Christie weiß aber alle auftretenden Figuren so plastisch zu gestalten und ihr Erleben mit soviel psychologischem Verständnis und Humor zu schildern, daß auch den Liebhabern ihrer „echten“ Bücher dieses ..unechte“ keine Enttäuschung bereiten wird.letzten doch noch vom Willen der einzelnen abhängig sind, können sich diese gegen die Organisationsgesetzlichkeit wehren.

Die erste Phase in der Abwehr gegen die Gewalt der Massenorganisationen ist das schwindende Interesse der Organisierten und ihre „Organisationsmüdigkeit“. Weil die Or ganisierten kein Mitgestaltungsrecht und meist nicht einmal mehr ein echtes Mitspracherecht haben, bleiben die zu Organisierenden und von ihnen vor allem die Jugendlichen den Organisationen fern. Hier liegt wohl der Grund, warum gerade die Großorganisationen an „Jugendnot“ leiden.

Die zweite Phase der Abwehr ist der Rückzug der Menschen in kleine und unverbindliche Zirkel. Dort können sie ohne Hemmung durch die Organisationsmaschine ihre gemeinschaftlichen Angelegenheiten wieder nach persönlichem Geschmack und nach der Kraft der wirkenden Persönlichkeiten gestalten.

Für die Organisationspolitik aller Massenorganisationen bedeutet dies, daß sie ihr Schwergewicht wieder in die kleinen Kreise und Ortsgruppen zurückgeben müssen. Dort kann sich auf der horizontalen Ebene wieder ein echtes Solidaritätsempfinden mit dem Willen zur Selbstverwaltung entwickeln. Dies heißt aber, die Organisationen müssen mehr als bisher dem Prinzip der Subsidiarität Rechnung tragen. Dies gilt für alle politischen, sozialen, wirtschaftlichen und selbst für die kulturellen Organisationen. Dadurch kann der allseits hypertrophe Bürokratismus wieder seine Grenzen finden. Der organisierte Mensch vermag auf diesem Wege wieder von den Klammern der Massenorganisationen befreit zu werden.

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