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Unerfüllte Hoffnung

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Felix Hartlaub: Das Gesamtwerk. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main. 474 Seiten.

Nachdem ei das von Freunden angebotene Asyl abgelehnt hatte, machte sich Felix Hartlaub, ein 3 2jähriger Obergefreiter, auf den Weg zur Spandauer Kaserne in Berlin. Es war April 1945, und er kam dort nie an. Damit liegt über ihm seither jener Schwebezustand zwischen Sein und Nichtsein, den die Sprache nur passivisch durch Partizipien wie „verschollen“ und „vermißt“ auszudrücken vermag. Später konnte man Auszüge aus seinem Tagebuch lesen. Nun liegt das Gesamtwerk Hartlaubs vor, dieses, wie Holthusen es formulierte, „vielleicht stärksten Prosatalents der jüngeren deutschen Generation“

Der Titel mag irreführen. Es ist wohl das von der literarisch tätigen Schwester edierte Gesamtschaffen, das sich auf 474 Seiten findet, inhaltlich und geistig bleibt es ein Fragment. Das Photo zeigt einen ernsten, etwas verschatteten Typ mit klugen Augen, das Gesicht männlich verhalten und wissend. Ein Bild von fast unheimlicher Symbolkraft: die in der deutschen Nacht schweigsam gewordene Jugend.

Seine Interessen lagen immer auf einer anderen Ebene als auf der des Exerzierplatzes. Nach umhegten Kinderjahren hörte er in Heidelberg und in Berlin Geschichte und beschloß das Studium mit einer etwas ausgefallenen Dissertation: „Don Juan d'Austria und die Schlacht bei Lepanto.“ Dann griff der Krieg nach ihm. 1942 bis 1945 arbeitete er an den Akten des Kriegstagebuches im Hauptquartier Hitlers. (Wer aufschlußreiche Einzelheiten darüber erhofft, wird enttäuscht sein.)

Die moderne Psychologie würde Hartlaub zu den hochbegabten Schizothymen zählen. Sein streng objektives Denken mit den kurzen, stoßartigen Assoziationen, die Abneigung gegen persönliche Aeuße-rungen machen ihn zum trefflichen, nie in der Situation aufgehenden Beobachter. Zeitlebens hatte er sich „leidenschaftlich eine Tarnkappe gewünscht, die sein sichtbares Dasein auslöschen, ihn aber zum unbestechlichen Zeugen der Ereignisse machen sollte“. Vielsagend ist eine Schülererzählung des damals geradezu beängstigend produktiven Vierzehnjährigen. Gewiß, das Denken, das sich hier kundtut, ist von einem recht kurzschlüssigen Empirismus bestimmt, neben präzisen Ausdrücken findet sich oft ein unbeholfener. Aber in dem negativen Helden zeigen sich unverhohlen eigene Wesenszüge: Passivität, Getriebenweiden, Abseitsstehen. Durch das ganze Werk zient sich, so scheint es fast, die im „letzten Akt“ sich unverbrüchlich vollziehende Thematik: das eigene lautlos-spurlose Verschwinden. So könnte man mit Hofmannsthal sagen, solche Menschen trügen ihr Schicksal in sich, es widerfahre ihnen, was ihnen „widerfahren muß“. Und vielleicht ahnte er selbst das eigene Ende, das er näherkommen sah, dem er sich aber nicht entziehen wollte.

Neben literarischen Skizzen und frühen Dichtungen sind wohl die Tagebuchseiten der beste Teil des Buches. Glänzend geschrieben, in trockenem Stakkalostil die studentische „Zimmersuche“ — die menschliche Ursituation — und „Semesterbeginn“ im Berlin des Dritten Reiches. Im grauen Rock wird er zum kritischen Schilderer des Soldatseins. Das gedrängt-realistische Kriegstagebuch gehört, wie es im Vorwort heißt, „zu den wertvollsten Hinterlassenschaften einer Generation, die unter der Diktatur verstummen mußte und im Krieg zugrunde ging“. Man kann zustimmen. Von kaum einem deutschen Schriftsteller wieder erreicht sind die strichartigen Schilderungen aus dem besetzten Frankreich: In einem Vorortezug, eine Nachtwache, ein Mittag am Montmartres das sommerliche St. Cloud.

Wenn diese Begabung hätte ausreifen können, was wäre wohl geschehen? Niemand kann es sagen. Aber eines ist gewiß. Nach der Bekanntschaft mit Felix

Hartlaubs Gesamtwerk muß man seinen frühen Tod nur doppelt bedauern.

Dr. Fritz E g g e r

Hans Lcifhelm: Sämtliche Gedichte. Verlag Otto Müller, Salzburg.

Das westfälische Mutterland, die steirische Wahlheimat, das italienische Sehnsuchtsreich — das war der dreifach gesegnete Boden, auf dem Hans Leif-helms Künstlerschaft wuchs und wurde. So muß man ihn einen Westfalen nennen, darf ihn als Steirer preisen und in ihm einen deutschen Italiker verehren. In den drei so verschiedenen Landschaften, denen sein Herz gehörte, war es allemal die Natur in ihrem offenkundigen wie in ihrem geheimnisvollen Walten, die ihn in den Bann schlug, der da heißt: dichten, dichten müssen. Jetzt erst, da der gesamte poetische Ertrag seines früh vollendeten Lehens vorliegt, können wir so recht ermessen, daß ein echter Dichter, dem es auch zuzeiten an Anerkennung nicht fehlte, unter uns geweilt hat und daß wir doch — sagen wir es rund heraus — an ihm vorbeigegangen sind. Hätte er sonst unter drückenden Sorgen dahinsiechen, hätte er in tiefer Armut sterben müssen? Für ihn gilt das Goethe-Wort: „Ein deutscher Schriftsteller, ein deutscher Märtyrer“, für uns aber Goethes Klage: „Niemand versteht zur rechten Zeit.“ Und wenn auch in allen neueren Anthologien einzelne seiner Gedichte einen Ehrenplatz einnehmen, so kann doch erst Vertiefung in diesen schönen Sammelband, der auch bisher Ungedrucktes und viele Uebersetzun-gen umfaßt, volles Verständnis erschließen für so edle Rhythmik und für so hohe Kunst, den heute so mißachteten Reim zwanglos und voll aufblühen zu lassen.

Wie beginnt doch das Gedicht, das Leifhelm uns als sein allererstes verraten hat: „Ich geh in einen Winterwald hinein, Der Winterwald muß voller Wunder sein.“ Wahrhaftig, voller Wunder war ihm allezeit die Natur, wo immer sie ihn umflüsterte und umrauschte, ihm Bilder wies oder ihr Schweigen darbot. Gott hat ihn lieb gehabt, auch wir müssen ihn lieben.

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