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Navid Kermanis peinlich geschwätzige Erzählungen.

Navid Kermani ist ein angesehener Islamwissenschafter: In seinem über 500 Seiten starken Buch "Gott ist schön. Das ästhetische Erleben des Koran" (2. Auflage 2003) trägt er Bedeutendes zum Verständnis des Islam bei, indem er zeigt, dass der Koran gehört werden will. Die musikalische Rezitation des Koran ist für Muslime eine ästhetische Grunderfahrung. Kermani, 1967 in Siegen geboren, deutscher und iranischer Staatsbürger, hat in einem weiteren Buch, "Iran: Die Revolution der Kinder" (2001), die Entwicklung in der Heimat seiner Familie seit der Revolution von 1979 beschrieben. Lesern der faz sind seine anschaulichen Schilderungen iranischer Verhältnisse in guter Erinnerung. Für seine geistige Vermittlertätigkeit gebührt ihm hohe Anerkennung, die ihm in Form von Preisen auch zuteil wurde.

Jetzt legt er einen Erzählband mit elf Geschichten vor: "Du sollst". Das Lob für den Gelehrten, die Anerkennung für den Publizisten bleiben ungeschmälert, doch Inhalt und Form dieses literarischen Versuchs müssen als grotesk gescheitert bezeichnet werden. "Du sollst" ist eine Anspielung auf die zehn Gebote. Jeder Erzählung ist ein Gebot vorangestellt. Eine schöne Idee. Doch alle Gebote ausschließlich auf das Sexuelle hinzubiegen, funktioniert nicht. Navid Kermani wechselt stilistisch zwischen hohem Bibelton und Gosse. Die handelnden Personen sind in zehn Geschichten "er" und "sie". An keiner Stelle gewinnt "er" oder "sie" Konturen. Jeder der unanschaulich bis ungustiös vorgetragenen Texte bleibt - abgesehen von sexuellen Details - im luftleeren Raum, verschwommen.

Nun weiß man, dass sexuelle Hörigkeit blind macht für alles übrige; die Welt ist für einen hörigen Menschen ausgelöscht, das Individuum ist "besessen". Und kein Leser oder Kritiker darf einem Autor Vorschriften machen bezüglich des Sujets. Nur: Ob eine Obsession sprachlich "Wirklichkeit" wird, kann der Leser sehr wohl beurteilen. Ein Stilblüten-Beispiel soll genügen: "Er sprach von einer Frau und der Sekunde, in dem sich in ihrer Brustwarze die Erregung abzeichnete, er sprach davon, wie er seinen Zeigefinger auf die Brustwarze legte und auf die Sekunde wartete, die ihm verkündete, dass sein Körper sich mit dem ihren verbunden hatte."

Die elfte, die längste Geschichte ist in ihrem Sadomasochismus an peinlicher Geschwätzigkeit unüberbietbar. Ein großer alter Gelehrter (ist es der "er" der vorangehenden Geschichten?) "outet" sich gegenüber einem jungen Kollegen als Homosexueller. Aber wie. Der Junge verlangt vom Alten, bei einer öffentlichen wissenschaftlichen Veranstaltung auf "das heilige Buch" zu onanieren. Was der Alte auch prompt tut. "Wie es seine Art war, scherzte er einmal, er ziehe der Kunst den Koitus vor, er gehöre statt einer Buch- einer Bumsreligion an."

Kermanis Vermischung von Sex und religionswissenschaftlichem Jargon ist unerträglich: "Das war Gott, der ihn aus ihrer Möse zurückgepfiffen habe ..." O hätte doch ein Lektor auch Kermani zurückgepfiffen!

Du sollst

Erzählungen Von Navid Kermani

Ammann Verlag, Zürich 2005

158 Seiten, geb., e 18,40

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