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Unfrisierte Gedanken- aus Polen

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Eine neue Veröffentlichung Marek Hlaskos, dessen Novellenband „Der achte Tag der Woche“ in seiner polnischen Heimat ebenso wie im Westen viel Staub aufwirbelte, darf gewiß auf rege Anteilnahme rechnen. Der hier vorliegende Rouian, des begabten jungen Autors wurde während der Tauwetterperiode zwar in einer polnischen Zeitschrift abgedruckt, durfte in Polen aber nicht als Buch erscheinen. Das ist nicht verwunderlich bei der massiven Kritik des kommunistischen Systems, die in diesem Roman vorwiegend gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Mißständen gilt.

HIasko erzählt die Geschichte einer kleinen Gruppe von Lastwagenfahrern, die Langholz aus schwer zugänglichen Gebirgswäldern abzutransportieren haben. Mit ihren alten, längst ausgedienten Wagen ein wahres Himmelfahrtskommando, das man diesen Ausgestoßenen der Gesellschaft aufbürdet, die alle etwas auf dem Kerbholz haben, in politischer oder krimineller Hinsicht. Einer nach dem andern verunglückt dann auch tödlich, bevor die versprochenen neuen Wagen kommen. Statt dessen erscheint Zabawa, ein Funktionär der Partei, der die rebellierenden Überlebenden zum Aushalten bewegen soll. Das gelingt ihm zunächst, nicht mit seiner Tüchtigkeit oder gar mit politischen Phrasen, sondern mit Hilfe seiner Frau — dem einzigen weiblichen Wesen in dieser Einöde — und mit einem schäbigen Trick. Er nimmt den Männern beim Pokerspiel mit gezinkten Karten zuerst ihr Geld ab — also die Vorbedingung zur Flucht — und läßt sie schließlich ihre Verluste im Spiel mit Tagen und Wochen bezahlen I So fahren sie weiter das Langholz ab, spielen, fluchen, trinken und huren.

Der Gedanke an den Ausbruch bleibt lebendig, von jedem- neuen Unfall wütend bestärkt. Aber da ist der brutala Zabawa, da ist seine Frau, die alle betört, da sind die ausweglosen Umstände, die jede Initiative im Keim ersticken. So geht einer nach dem anderen „ins Paradies“. Und als schließlich die neuen Wagen kommen, kommen sie zu spät: Außer Zabawa ist nur noch einer da, der ietzt die Kraft findet, ihn zu verlassen. Aber, vorher rechnet er mit sich und dem Funktionär ab:

„Dm hast Menschen vernichtet. Deine eigene Frau hast du zugrunde gerichtet. Die Wagen, alles. Apostel, Partisan, Dewiontka ... Sie hätten doch gar nicht in die Stadt fahren können. Keiner hätte sie jemals angenommen. Sie waren alle gezeichnet. Sie wollten ein leichteres Leben haben, und als sie davon sprachen, hast du ihnen mit deiner Kanone unter der Nase herumgefummelt. Du sprachst von neuen Wagen und hast sie im Spiel betrogen...

Man kann nicht weglaufen. Nur, sie haben nicht daran gedacht... Die Stadt? In der Stadt gibt es tausende solcher wie du. Hier warst nur du, nur du allein. Das war besser. Man kann nicht davonlaufen. Niemals. Ihr habt das Leben zu einem so riesengroßen Konzentrationslager gemacht, daß man gar keinen Stacheldraht mehr braucht, keine Posten, keine Hunde und keine Karabiner. Solche wie du reichen schon, solche, die an etwas glauben, wovon sie nicht bis zum Schluß fest überzeugt sind. Und der Rest?... Der Rest vernichtet sich selbst . . .'

HIasko erzählt seine makabre Geschichte mit einer manchmal kaum erträglichen Härte und Konsequenz. Die Frage nach dem Sinn des Lebens wird angedeutet, die Antwort verliert sich immer wieder in teils brutalem, teils melancholischem Zynismus.

Während Htasko der jungen polnischen Generation - angehört, die nicht mehr in der Resistance stand — er war erst fünf Jahre alt, als Hitler das „Generalgouvernement Polen“ errichtete —, ist Stanislaw Jerzy Lee ein Vertreter jener Polen, die die Vergewaltigung ihres Landes am eigenen Leibe erfuhren, im zweiten Weltkrieg KZ-Häftling, entging Lee wie durch ein Wunder dem Tode; er wurde dann Widerstandskämpfer und nach dem Krieg Diplomat im Dienst der polnischen Volksrepublik — unter anderem wirkte er als Kulturattache in Wien. Nach einem Aufenthalt in Israel ging er nach Polen zurück, wo er seine erstaunlichen „Unfrisierten Gedanken“ schrieb.

Diese Aphorismen sind ein beglückendes Zeichen den Menschlichkeit, der Suche nach einem gültigen Dasein, das nicht an Raum und Zeit und auch nicht an ein System gebunden ist. Es gibt da bittere politische Epigramme:

„Analphabeten müssen diktieren.“ „Vielleicht werden wir irgendwann unsere Seelen volkwirtschaftlich verwerten?“

„Es gab Zeiten, da man Sklaven legal kaufen mußte.“

Aber wesentlicher noch sind die Gedanken, die eine Humanitas dokumentieren, von der wir uns etwas abschauen können:

„Wir beobachten eine interessante Erscheinung: Gestammel als Verständigungsmittel zwischen den Menschen.“

„Der Mensch wächst mit dem Preis, den er zahlt.“

„Alles sollte man dem Menschen opfern. Nur nicht den Menschen.“

Wie tröstlich, daß diese wahrlich freien Gedanken aus Polen kommen. Dort hat die kleine Schrift, als sie 1959 in Krakau erschien, Aufsehen erregt und Hoffnungen gestärkt. Auch wir sollten sie mit dem Herzen überdenken.

VISIONEN UND PROPHEZEIUNGEN. Von Karl R a h n e r. Zweite, unter Mitarbeit von P. Th. Baumann ergänzte Auflage. Verlag Herder, Freiburg. Quaestiones disputatae 4. 107 Seiten. Preis: 6.80DM

„Wisse, daß von all den Visionen und Auditioncn ..., die ich selbst gehabt habe, nur ein kleiner Teil, ein ganz kleiner Teil wahr und gut gewesen ist“, soll die große heilige Theresia gesagt haben, als sie selbst einer Nonne erschienen ist. Von wem wir dieses 60 merkwürdig anmutende Histörchen haben? Vom selber mystisch begabten heiligen Paul vom Kreuz (S. 81, Anm. 105)1 Diese Anekdote zeigt gut die Linien an, denen Rahners Untersuchung über das so kitzlige Thema folgt. Man freut sich, daß Rahner nach Kräften seinen Weg „inter 6axa et scopu-los“, zwischen der so übereifrigen Verfechtung bestimmter Privatvisionen und -Prophezeiungen und der rationalistischen Ablehnung und Leugnung all dieser Phänomene 6ucht. Rahner begründet hinreichend seine Meinung, daß in den meisten Fällen die fraglichen Privatvisionen imaginative, „einbildliche“, sein werden (S. 38), man folgt ihm gern bei seiner Ansicht, daß der eigentliche „Ort“ der primären Einwirkung Gottes auch bei den imaginativen Visionen „hinter“ dem sinnlichen Erkenntnisvermögen liege, primär auf eine Berührung und Vereinigung des Geistes im Menschen mit Gott gehe (S. 62). Manch einer ist herzlich gebeten, Worte, wie „vom Gesichtspunkt der religiösen Heilsbedeutsamkeit (ist) der Unterschied, ob die Gottgewirktheit innerhalb oder außerhalb der natürlichen Gesetze liegt, für denn religiösen Menschen unerheblich“ (S. 43) oder „Wer also in Fatima keine Anzeichen für über die Naturgesetze erhabenen Visionen zu erblicken mag, sondern alles .natürlicherweise' erklärt, würde damit noch lange nicht die Gottgewirktheit dieser Visionen leugnen“ (S. 48,Anm. 45), zu überdenken und praktisch zu beherzigen. Rahner darf für solche Bemerkungen schon deshalb Kredit verlangen, weil er klar und eindeutig in Erinnerung ruft, daß unmittelbares Eingreifen Gottes durch die in Frage stehenden Phänomene nicht nur absolut möglich ist, sondern auch von uns immer als je reale Möglichkeit anerkannt werden muß, und daß sich vor Gott verfehlt, wer sich solcher unmittelbaren Offenbarung von vornherein verschließt. Im Rezensenten ist als Bibliker (Rezensionsexemplare gehen bisweilen seltsame Wege) während der Lektüre der Wunsch wach geworden. Rahner möchte doch auch das hier Erarbeitete in seiner Anwendung auf die Visionen und Prophezeiungen der Heiligen Schrift selber aufzeigen (vgl. seinen Versuch zur Hermeneutik eschatologischer Aussagen ZkTh. 1960/2). — Sehr dankbar ist man (noch dem Ausweis des Vorwortes P. Th. Baumanns SJ.) für die vielen, so oft verschwiegenen konkreten belegenden Tatsachen.

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