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Zu Beginn von Sebastian Schinnerls Romandebüt "Pluton oder Die Reise ans Meer" sehen wir den erfolgreichen Investmentbanker Heinrich-Herbert Sauvegarder im Taxi sitzen. Zufrieden pafft er seine "Churchill"; die Ledertasche mit Handy, Taschengeld, Terminkalender, Papieren und Adressbuch hält er fest in der Hand, und der "flache, silberne Aktenkoffer auf meinem Schoß erfüllte mich mit Genugtuung". Er ist prall voll mit Banknoten, doch Sauvegarder ist nicht auf der Flucht mit der Beute aus dunklen Geschäften sondern auf dem Weg in ein exquisites "Betagtenheim". Er ist 92 Jahre alt, ungebrochen herrisch, trägt sich betont markenbewusst und spielt alle Register des erfolgsverwöhnten Machtmenschen aus. Doch was Sauvegarder von diesem Moment seiner Anreise bis zu seinem Tod in Ich-Form erzählt, glauben wir allmählich immer weniger.

Denn wer da in der "luxuriösen, hochprofessionellen Altersresidenz" ankommt, ist ein reichlich hinfälliger Greis, der an Alzheimer leidet und sich von allen möglichen imaginären Gestalten umgeben sieht: der kleine Junge, der er einmal war, weicht ihm nicht mehr von seiner Seite; ein gewisser Uhlsamer, der Vorgänger in seinem Zimmer, verpestet ihm mit seinem Verwesungsgeruch die Luft, auch wenn er sich nach und nach mit ihm zu befreunden scheint.

Auf der einen (Wunsch)Ebene setzt Sauvegarder sein luxuriöses Leben unter geänderten Bedingungen ungebrochen fort. Unentwegt trinkt er die erlesensten Weine, raucht die edelsten Zigarren und philosophiert über ihre phallische Symbolik, liest zur Erbauung und bei auftretender Unsicherheit in seiner Börsenzeitung, die er wie ein Orakel für die Bewältigung des Alltags benutzt. Auf der anderen Ebene erlebt er wie seine Mitbewohner im Altenheim ganz einfach "den Übergang vom Menschsein zum Fall", und dieser Übergang ist nicht angenehm, selbst wenn die medizinischen und therapeutischen Kommentare in ein "ledergebundenes Dossier" eingetragen werden. Seine körperliche Hinfälligkeit macht ihm schwer zu schaffen, bald bekommt er keine Ausgangserlaubnis mehr und beginnt seinen Namen zu vergessen. Der neunte Eintrag in seinem Dossier lautet: "Überforderung, zwischen realer Situation und subjektiver Scheinwelt zu unterscheiden."

Das ist wohl der Schlüsselsatz des Romans. Hartnäckig versucht Sauvegarder seinem mühseligen Alltag Bedeutsamkeit zu unterzulegen. Da gibt's im Gemeinschaftsraum das tägliche "Teacouncelling", die verschiedensten Damen bemühen sich um ihn, er plant eine Reise ans Meer und versucht sich deshalb mit dem Gärtner als Verbindungsmann zur Außenwelt "zu vernetzen". Parallel dazu gewinnen die Geister der Vergangenheit immer mehr Raum, nicht eindeutig entschlüsselbare Kindheitstraumata oder Phantasieszenarien tauchen auf und dazwischen erfolgt immer wieder eine kurzzeitige Rückkehr in den Anstaltsalltag mit "Etagengouvernante", Pflegerinnen und Ärzten. Die Sprache verwirrt sich ihm, er erlebt, seinen Gehbock vor sich herschiebend, wilde Abenteuer - und wird an verschiedenen Stellen im Haus bewusstlos aufgefunden. Gegen Ende des Buches erwacht er aus einer dieser Ohnmachten und sieht sich in einem "billigen Hotelzimmer". Das dürfte der Raum, den seine Phantasie zur erlesen ausgestatteten Suite umgestaltete, wohl von Anfang an gewesen sein.

Wie sich die Dinge in Sauvegarders Wahrnehmung verwirren, so auch für den Leser, der ja auf dessen Mitteilungen angewiesen ist. Nur gegen Ende sind vereinzelt Stimmen "von außen" zu hören. Der Autor lässt sich damit auf ein riskantes Erzählkonzept ein, das Brüche und Sprünge in der Erzählhandlung bedingt. Doch entsteht mehr und mehr der Eindruck, dass nicht alle diese Ungereimtheiten dem Bewusstsein des alten Mannes zuzuschreiben sind. Viele, auch sprachliche Holprigkeiten und Schlampereien scheinen keineswegs bewusst gesetzt. Gerade delirierendes Sprechen aber bedarf höchster erzählerischer Genauigkeit. Eine sorgfältigere Überarbeitung hätte Sebastian Schinnerls Romanerstling wohl zu einem besseren Start verhelfen können.

Pluton oder Die Reise ans Meer

Von Sebastian Schinnerl

Residenz Verlag, St. Pölten 2005

256 Seiten, geb., e 21,90

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