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Universitt und Wissenschaft in Amerika

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Die amerikanische Universität vermittelt nicht nur wissenschaftliche Berufsausbildung ähnlich wie bei uns, sondern ist dazu da, den intellektuellen Hunger aller Schichten einer jungen Nation zu stillen. An allen Staatsuniversitäten und an vielen großen Privatuniversitäten gibt es Tages- und Abendkurse für jedermann. Für diejenigen, die weit draußen in der Provinz, in den Prärien oder Bergen Amerikas wohnen, gibt es Korrespondenzkurse, durch die man sich in jedem erdenklichen Zweig der Wissenschaft und in jeder praktischen Fertigkeit unterrichten lassen kann. Man kommt bloß zur Ablegung der Prüfungen an die Hochschule.

Auch Kirchen, Bibliotheken, Museen, wissenschaftliche und gesellige Klubs, Ver-sicherungsgesellsiiaften, Fabriken, Warenhäuser sind unablässig bemüht, den Bildungshunger der Massen zu stillen.

In einem technischen, mechanisierten Zeitalter ist es dabei unvermeidlich, daß das Sichtbare, Meßbare überschätzt wird, daher die Liebe Amerikas zur Statistik. Der Geist wird nach den Gesetzen der Physik gemessen, seine Reaktionen werden registriert, die Maschine muß funktionieren, da es eine große Unbekannte, etwas nicht Faßbares, Irreales eben nicht gibt.

Infolge der Leidenschaft für „Tests“ wird USA. von einer beispiellosen Flut von Fragebogen überschwemmt, die so abgefaßt sind, daß man mit einem ja oder nein als Antwort vollkommen auskommt.

Wenn auch in der Erziehung die mechanisierte Form überwiegt und Quantität oft vor Qualität gestellt wird, ruht doch zutiefst am Grunde des amerikanischen Geisteslebens ein

fester Glaube an die Wissenschaft,ja Ehrfurcht vor ihr. Wenn der Amerikaner selbst in den Reklamen der Tagesblätter gerne das Wort gebraucht „science teaches us“, so drückt sich darin der naive Glaube der Massen an die Unfehlbarkeit der Wissenschaft aus und an ihre Fähigkeit, alle Geheimnisse des Lebens zu entschleiern.

Große Leistungen der Amerikaner

Von den gewaltigen Leistungen echter amerikanischer Wissenschaft weiß man aber außerhalb der Fachkreise bei uns ebensowenig, wie von diesem Bildungshunger der Massen und ihrer gläubigen Ehrfurcht vor dem Wissen. Meist hört man über amerikanische Jugend nur Schlagworte, wie „Viel Sport und wenig Wissen“, „Gelderwerb ist das Um und Auf des Lebens“, „Bildungsstätten sind nichts als notwendiges Obel zum äußeren Erfolg“ und anderes. Daß die Durchschnittsbildung eines europäischen Studenten bisher höher war, ist richtig. Doch Ist nicht auch in Europa die „allgemeine Bildung“ oft nichts anderes als Wissen um Büchertitel und Namen? Auch unsere Studenten besuchen die Hochschulen selten ans reiner Liebe und aus brennendem Interesse für die Wissenschaft, sondern um sich für ihren Broterwerb vorzubereiten. Der ideale Menschentyp, der den Gesetzen seines Innern lebt, der seinen Göttern aus Oberzeugung cHent und im geistigen Kampfe selbstlos die Vollendung sucht, der ist auch bei uns die Ausnahme.

Der amerikanischeStudentist also im Grunde dem unseren nicht so unähnlich. Doch arbeitet er sorgloser, mutiger und sieht dem Ungewissen eines Lebens auf eigene Faust, ohne die Sicherheit eines regelmäßigen, ansteigenden Gehaltes und einer Alterspension, furchtloser entgegen. Er greift zu, wo immer sich ihm etwas bietet, auch dann, wenn et nicht auf der Linie seines Berufsstudiums liegt.

Er kehrt vielleicht später wieder zu seinem Arbeitsfeld zurück, wenn sich die Verhältnisse geändert haben.

Die Erzieher Amerikas sind sich der entscheidenden Bedeutung ihrer höheren Schulen für die Zukunft der Nation durchaus bewußt. Allenthalben wurde schon vor dem großen Krieg das Problem der Befreiung des Geistes, der Auslese der Besten, der Vertiefung der Bildung zur Diskussion gestellt. Von den hervorragenden Institutionen, sowohl Colleges als Universitäten, fallen immer mehr die Fesseln des Formalismus und die kleineren werden ihnen folgen müssen, weil sie sonst nicht mithalten können. Prüfungen werden erschwert, in vielen Colleges werden neue Experimente durchgeführt, akademische Freiheit im Studium löst immer mehr den mittelschulartigen Betrieb ab. Aus allen Diskussionen,Konferenzen und Veröffentlichungen spricht der leidenschaftliche Wunsch, eine neue Form der Geistigkeit zu finden.

Je mehr der Reifeprozeß der jungen Generation Amerikas fortschreitet, um so mehr wird er der Berührung mit dem bedürfen, was Europa in vielen Jahrhunderten an geistigen Gütern geschaffen hat, was Ewigkeitswert besitzt und auch durch den furchtbarsten Krieg aller Zelten niefit . zerstört werden konnte.

Amerikanische und europäische Wissenschaft

Es besteht kein Zweifel, daß wir in Osterreich von Amerika viel lernen können, auch auf wissenschaftlichem Gebiet. Aber ebenso kann der Student von drüben gerade beim Österreicher Dinge finden, die ihm in seiner neuen, stürmischen Welt fremd sind. Ich meine die feineren, stilleren Lebenswerte, das „interesselose Interesse“ am Schönen, an allem, wj in ich selbst, ohne jede Beziehung tu praktischen Zwecken sinnvoll ist.

Es kann nicht der Sinn des Lebens sein, nur vorwärts zu wollen, Erfolg zu haben, mag sich dieser Erfolg materiell auch noch so glänzend äußern, wenn dabei nicht auch der innere Mensch wichst und reift.

Es wäre unendlich wertvoll für die amerikanische und die europäische akademische Jugend, einander näherzukommen, einander kennen, verstehen und ergänzen zu lernen. Ein solches Lernen von einander würde für beide Teile von weittragender Bedeutung sein. Doch müssen wir vorerst, beiderseits des Atlantiks, endgültig allen Hochmut beiseite lassen, einen Dünkel, der oft auf nichts anderes gegründet ist als auf Unkenntnis. Amerikaner und Europäer müssen zur Erkenntnis finden, daß sie zwar von verschiedenen Richtungen kommen, daß sie aber gleichen Zielen zugehen. Die Erkenntnis der Ebenbürtigkeit des anderen ist leider viel schwerer durchzusetzen als man meinen sollte — denn das einzige, was der Mensch mehr liebt als sich selbst, sind seine „Vorurteile“!

Internationale Verstand!-gungtarbeit auf beiden Kontinenten zu Nutzen der studierenden Jugend und aller derer, die glauben, auch vom anderen etwas lernen zu können, ist daher nicht leicht, aber notwendiger als je!

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