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Unrecht um das Wohnrecht

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Wohlbekannt ist die Geschichte vom Fall Konstantinopels 1453. Die tausendjährige Feste des oströmischen Reiches wird von den Türken belagert. Schon schlägt der Feind Breschen, schickt sich an, in die heißumworbene Stadt einzubrechen — mitnichten aber lassen die Parteien in der aufs äußerste bedrohten Weltstadt von ihren inneren Zwisten. Bis zur letzten Minute streiten politische Cliquen um ihre Sonderinteressen, kämpfen Mönche und Synoden um die Geschlechtsbestimmung der Engel, während die Kriegsmacht des Halbmonds vor den Toren steht.

In Österreich streitet man in der weltpolitischen Hitze dieses Frühsommeis wohl nicht um das Geschlecht der Engel, aber fast wäre man versucht zu sagen, daß das innerpolitische Ringen nicht weniger kurzsichtig und eigensinnig ist, als in den Tagen vor dem Fall des zweiten Roms, dessen Bedeutung so groß war, daß sich um seine Nachfolge heute noch Moskau, das „dritte Rom“, bewirbt. — Der Querelen sind viele. Der Belastungen übergenug. Verursacht werden sie diesmal nicht so sehr durch die offiziell „Belasteten“, als vielmehr durch die Belastung der Verantwortlichen durch eine Vergangenheit, aus deren Ressentiments allzu viele Politiker sich nicht zu lösen vermögen.

Wir Österreicher müssen uns gestehen: nach einem fünfjährigen anstrengenden Ringen um unsere äußere Befreiung, das unser aller Kräfte einfordert, sind wir noch weit entfernt von der inneren Befreiung, von jenem wahren inneren Freisein, das offenen Blicks die Aufgaben der Gegenwart und Zukunft sieht.

Es tut not, ein offenes Wort mit unseren sozialistischen Schicksalspartnern zu reden. Der Mißverständnisse, Hemmungen und Reibungen sind in letzter Zeit zu viele geworden, als daß ein überschweigen sich nicht schädlich für alle auswirken müßte. Neben der grundsätzlichen Absprache der beiden Regierungsparteien, Arbeit und Verantwortung für die östereichische Demokratie gemeinsam zu tragen, steht das große Bemühen, im Sinne einer Sammlung aller für Staat und Gesellschaft nutzbaren Kräfte, Christen und Sozialisten weltanschaulich und menschlich einander näherzubringen. Ein Bemühen, das vielschichtig ist und sich von Grenzbeghungen einzelner, von Aussprachen kleiner Gruppen bis zu grundsätzlichen Stellungnahmen führender Katholiken einerseits und führender Sozialisten andererseits erstreckt.

über die Notwendigkeit dieser inneren Begegnung, herrscht, so glauben wir, allgemeines Einvernehmen. Um so erstaunlicher, ja bestürzender die Tatsache: immer wieder scheint es Sprechern unseres demokratischen Sozialismus erlaubt zu sein, Parforce-Jagden in die Vergangenheit zu unternehmen und, sehr summarisch, Pauschalurteile

über tatsächliche oder angebliche Schuld österreichischer Katholiken zu fällen. Das Gericht, oft sehr von parteiengen Klappstühlen aus vollzogen, ist hiebei oft noch nicht das Schlimmste. Schlimmer und gefährlicher ist das Aufreißen alter Wunden, die demagogische Demonstration: „Seht unsere Wunden, seht unsere Leiden.“ Sind der Gräber, ist des Hasses nicht genug? Weiß man wirklich nicht, wohin solche Einzelaktionen, Reden, Leitartikel führen müssen, wenn sie zum täglichen System werden? Sollen die Grabhügel von gestern noch überwölbt werden durch ein gespenstisches Grabmal der Demokratie?

Wir Christen brauchen heute wieder kein besonders feines Gehör zu haben, es klingt uns gell und deutlich genug in die Ohren — neben Spezialgerichten über einzelne Personen, tönt e i n Vorwurf uns entgegen: „Was ihr treibt, ist schon wieder nichts als politischer Katholizismus.“ Das Schlagwort preußischer Junker, liberaler Großkapitalisten, dies Scheltwort, das für Bismarck und seine Kulturkampfträger nach eigenem Eingeständnis mehr wert war als Divisionen, es feiert allenthalben hier und heute fröhliche Urstände.

Sprechen wir offen. Zwei Dinge sind dann zu unterscheiden. Wie alle geistigen und religiösen Ideen und Bewegungen in der Geschichte, sind Christentum und Glaube immer wieder als Ideologie herrschender Stände, politischer Parteien verwendet worden, zur Sicherung gruppenegoistischer Interessen und Positionen. Für den weltaufgeschlossenen ernsten Christen kann hier und heute kein Zweifel mehr bestehen: Wiederholungen ist absolut zu widerstehen. Die Früchte des Zorns“, die solche Abirrungen gebaren, sind unübersehbare Zeichen der Warnung.

Bedeutet dies aber nun: Der Christ hat keine Politik zu treiben, hat im öffentlichen Leben zu schweigen, seine und seiner Glaubensbrüder, überhaupt die christlichen Interessen beiseit zu lassen, obwohl sie ihm durch seine Lebensgrundsätze nahegelegt werden? Christ sein verpflichtet zum konkreten, gesellschaftlichen und politischen Einsatz in der Demokratie, die rechtliche und materielle Grundlage der Freiheit, der persönlichen Existenz des Staatsbürgers und Christenmenschen zu sichern. Hier begegnen wir offenem Mißverstehen oder übelwollen bei unseren sozialistischen Partnern. Sie können oder wollen es nicht verstehen, warum die Kirche trotz zahlreicher Verurteilungen des Kapitalismus so an klaren Eigentumsrechten festhält, weil ohne grundsätzliche Anerkennung des Eigentumsrechtes der Einzelmensch, faktisch und praktisch entmachtet und wehrlos, dem Apparat der Staatsmaschinerie und der materiellen Mädite überantwortet wäre, ein Kuli, verkürzt in seiner menschlichen Freiheit und Würde. — Von diesem Unverständnis war nur ein Schritt zu dem Widerstreit, der auf das Ende der parlamentarischen Session einen tiefen Schatten warf und - eine, befriedigende Förderung der so notwendigen und unaufschiebbaren Wohnbauforderung scheitern ließ.

Zwei Begehren rangen in den letzten Wochen in den beiden großen gegnerischen Parteilagern um Geltung. Von Seiten der größeren-der beiden Koalitionsparteien wurde eine Novellierung des Wohnhauswiederaufbaugesetzes erstrebt, welche die früheren Mieter zerstörter . Häuser anregen und unterstützen sollte, durch die Erwerbung des Wohnungseigentums, also durch die Mobilisierung ihrer Spargelder und ihres ' Kredits - den Wiederaufbau und die Beschaffung von neuem Wohnraum zu fördern. Der sozialistische Partner hingegen will die Rechte des Altmieters in einem kriegszerstörten Hause gewahrt sehen, auch wenn dessen Wiederaufbau noch in der Ferne liegt, und verheißt dem Altmieter Hilfe durch gemeinnützige Wohnbau- und Siedlungs-gesellschaften. Anstatt das Problem durch eine Koordinierung des Rechts der Altmieter und jenes der Ansprüche auf Wohnungseigentum zu lösen, versteiften sich die Debatten in Gegensätzen, als ob es um dogmatische Positionen ginge. Wenn von sozialistischer Seite das Argument gebraucht wird,' auch bei dem Verlangen nach dem Wohnungseigentum gehe es der andern Partei nur um eine versteckte Form der Mietzinserhöhung, so ist es nicht mehr wunderlich, wenn sich der Eindruck festsetzte, daß die Gegensätze nur deshalb so unüberbrückbar waren, weil • man die Monopolisierung des Wohnungsbaues in der Großstadt anstrebt, die parteipolitische Kasernierung, die ebensowenig wie einen privaten Hauseigentümer einen privaten Wohnungseigentümer verträgt. Es ist nicht ohne Pikanterie,' daß ein solches Abzielen sogar die Praxis des Sowjetstaats und die in ihm geltenden Haus- und Wohnungseigentumsrechte überschießt.

Will man Lebensfragen unseres Volkes, wie die der Erlösung aus den Ruinen und allem Unheil der würgenden Wohnüngsnot, auf dem dürren Felde von Theorien ausfechten, mit denen niemals eine ausreichende Wohnraumbeschaflung erreicht werden kann, dann .müßte es allerdings schlimm um uns alle bestellt sein.

Nein, das ist nicht der Weg, der weitergegangen werden kann. Das erste Anrecht des Altmieters und das Anrecht des andern, der sich anstrengt, mit seinen eigenen Kräften sich eine ihm dann eigentümlich gehörende Wohnung zu bauen, können bei gutem Willen des Gesetzgebers auf einen Nenner gebracht werden. Es sei nicht vergessen, daß heute nicht nur die Anrechte der Alt-mieter zu honorieren sind, sondern auch die natürlichen Anrechte der tausende neugegründeter junger Familien, die eigerten Wohnraum zu begehren das Recht haben, ohne Altmieter sein zu können. Der Wohnbau kann also heute in keiner Weise als Parteianliegeh reserviert gesehen werden.

Unser Land steht in der Krisis einer schweren inneren Auseinandersetzung. Dürfen wir über den Weltlauf klagen, solange wir selbst nicht alles getan haben, ihn im Innern zu meistern in wahrhaft demokratischer Zusammenarbeit an der Lösung unserer Existenzfragen?

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