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Unser Friede

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Wer sorgsam die Leitgedanken zur Welt-gebctsoktav der Wiedervereinigung im Glauben (18. Jänner bis 25. Jänner), verfolgt und gleichzeitig nicht im taktischen, sondern im brüderlichen Gespräch mit den getrennten Brüdern sich befindet, ist doch betroffen, wie unberührt vom wirklichen Stand der Fragestellung, fast unwissend, die Aeußerungen fallen... wie wenig in unserem Raum vom Leben der evangelischen Brüder gewußt wird, obwohl wir doch bezeugen und es sicher redlich meinen: ich glaube an die Una saneta.

Das Allererste, das wir uns als Kinder eines Vaterhauses verstatten müßten, wäre ein redlicher Versuch, aus der falschen Sicherheit und den dazugehörigen Formulierungen, vor allem aus dem so schwer zu verkraftenden Tonfall herauszukommen. Es ist nicht nur für die Ohren drüben unerträglich. Es wird es langsam auch für uns. Das Wort von der alleinseligmachenden Kirche kann also nicht Methoden und Mentalitäten meinen, wie sie hm Laufe von zwei Jahrtausenden sich unter diesem Titel, vielleicht sogar legitim, eingeschlichen haben. Es meint nicht ein Ruhekissen für angeblich sanfte Gewissen. Das Wort meint die Aussage Jesu, die aber nicht dynamisch, nicht statisch zu hören ist: „Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Schafstall sind, und auch sie muß Ich führen, sie werden Meine Stimme hören, dann wird es eine Herde und ein Hirte sein.“ Die vielfach noch fallenden Formulierungen, als ob es nur am guten Willen und an der klaren Einsicht der anderen Seite fehle, damit die Einigung ; zustande komme, entspricht weder dem tatsächlichen Befund noch den unerläßlichen Voraussetzungen. So müßte zunächst am Beginn dieses gemeinsamen Betens der Christenheit das sehr einsichtige Schuldbekenntnis stehen, wie sehr wir einander einfach Hindernis am Glauben sind, wie sehr wir im Vollzug dieser Glaubensakte verdecken, statt zu offenbaren, wenn wir dabei nur an unsere religiöse Murmelsprache, an unsere oft schwer deutbaren Gebärden innerhalb unseres kultischen Dienstes denken. Das alles muß einmal rückhaltlos zugegeben und in einem echten Schuldbekenntnis auch bekannt werden. Wir machen so oft die Erfahrung, wie rasch wir ins gelockerte Gespräch kommen, sobald wir endlich einmal etwas zugeben — und sollte es den Kindern eines gemeinsamen Vaterhauses so wesenswidrig sein, sich voreinander nicht taktisch, sondern brüderlich zu verhalten?

Diese Ueberlegung führt uns gieren aufs, Näcnste, was offenbar einmal der Gegenstand gemeinsamer Sorge, gemeinsamen Rufens zum Herrn in Gebet, Fasten und Tränen werden müßte. Daß nämlich die Spaltung, der Riß in der Christenheit, zum Kreuz des Herrn gehören, also zu den echten Schmerzen der Christenheit zählt: „Selig sind die Trauernden.“ Man wird den Eindruck nicht ganz los, daß auf der einen Seite völlig unpassend der Wahrheitsbestand in der gedachten, aber nicht realisierten Fülle wie ein, kämpferisches Argument gehandhabt wird, während die andere Seite, ihrerseits begreiflich, aber doch nicht total genug konzipiert, die Ausfälle so herausstellt, die dazu gehörigen Ergänzungen breitschlägt und sich damit auf die Schmalspur versteift. So verhärten sich Fronten, statt daß die Tische einander nähergerückt werden und das Gespräch keine Unterbrechung erfährt.

Dieser Zug einer verhärtenden Abhebung gehört zu den pharisäischen Versuchungen unserer Tage. Sie geht durch alle Bezirke unseres Lebens und muß auch auf anderen Gebieten als Schuld bekannt werden. So haben wir doch wirklich voreinander zu beklagen, daß wir nicht rechtzeitig den jeweils unter die Räuber gefallenen 4. und 5. Stand gesehen und uns um ihn nicht nur theoreti-sierend gekümmert haben. Sicher, es ist vieles im Einzelfall passiert — Gott gebe und erhalte jedem Einzelgänger den dazu nötigen Mut, zwar wider das herrschende Lebensgefühl, aber für das Evangelium sich zu t lt-scheiden. Sicher haben die wechselnden Väter der Christenheit abwechselnd ihre Stimme erhoben, den Finger auf die Wunde gelegt — aber, wie Pius XI. Kanonikus Cardijn einmal erschütternd bekannte: „Niemand hat Uns gehört!“ Vielleicht fällt eine objektiv geschichtliche Schuld auf die Interpreten dieser Orientierung und auf un«, daß wir einfach als dazwischenhängende Generation uns nicht genügend daraufhin angefordert haben. Heute sind inzwischen durch andere Kräfte die Verhältnisse so geändert worden, daß der Begriff des Proletariats weitgehend auf akademische und andere-Berufsgruppen abgewandert ist. Aber wiederum höre ich die Frage: „Wo ist dann der für uns zunächst unter die Räuber geratene Stand, dem wir zwar verändert, aber nicht minder eindringlich zugewiesen sind?“ Wie erweist sich die Kirche Christi in ihren Zeugnissen, womit sie gerade auf diese Einbrüche zugeht? Wo beweist sie sich als der Anwalt jener getretenen Minderheit aus ihrem innersten Lebensgefühl heraus, das aus einem Leib, aus einem Ganzen denkt und entscheidet? Die Brüderlichkeit hätte sich hier unter Beweis zu stellen.

Eine zweite Anfrage, auf die ständig die Christenheit heute angesprochen wird, wäre die Frage nach dem eindeutigen und leidenschaftlichen Zeugnis für den Frieden. An sich gehört dieses Zeugnis zu den Urtraditlonen der alten Kirche. Sie quillt ununterbrochen aus dem Epheser- und Kolosserbrief. Sie gehört zu den aufgetragenen Aussagen, die Jesu Jünger sogar von Haus zu Haus tragen sollten: „Diesen Gruß sollt ihr sagen, Friede sei diesem Haus!“ Dieser Wanderdienst einer lauteren Aussage-wird, biMsch .allerdings In die Immer, neue. Pflicht der , Unterscheidung genommen: „Wenn ein Sohn des Friedens In diesem Hause ist, bleibt euer Frieden — wenn nicht, komme er zu euch zurück.“ Aber nirgendwo steht der Auftrag, Frieden mit Feuer und Schwert In den Häusern durchzudrücken, die jene Botschaft nicht annehmen, sondern „dann wird der. Frieden zu euch zurückkehren“. Das Gericht über die Ablehnung der Botschaft wird biblisch an den Jüngsten Tag hinausverlegt. Und zwar wird auch hier keine- eindeutige Entscheidung gefällt, sondern- es wird Vergleichsweise gesprochen: „Es wird Sodoma erträglicher gehen als jener Stadt.“

Dieser testamentarische Auftrag hat bis heute die Christenheit nicht zur Ruhe komr men lassen. Von hier aus bezieht der christliche Pazifismus überhaupt seine biblische Legitimierung. Er brach, immer neu gerufen, auch im Kriege und in Zeiten auf, wo sich die Christenheit lieber militant als passional mit den Heiden auseinandersetzte, wo ihr der Griff zum Schwerte mehr im Blut lag als der Griff ans Kreuz. Ueber die Kreuzzüge liegt aus der Rückschau her keine theologisch eindeutige Meinung vor. Beide Themen halten sich und haben ihre Heiligen, die sie vertreten haben, die sie vor allem durchgebetet und durchgelitten haben. Wir glauben heute allerdings, daß mit der fortschreitenden Aufhellung unseres Bewußtseins das Urteil über die geistige Gültigkeit der Kreuzzüge — und sei es um das geheiligte Grab und Land der Liebe — sich doch gewandelt hat, um so mehr, als die nämliche Christenheit es nicht gleichzeitig fertig bekam, für die lebenden Tempel des Heiligen Geistes — also für die Menschen und ihre primitiven Rechte — ähnlich vital geführte Kreuzzüge zu inszenieren.

Die bedrohliche Welle, die uns heute zu überspülen scheint, hat doch ihre psychologischen Wurzeln darin, daß der eine im Besitze sich befindliche Stand zwar den anderen christlich betrauert, ihm das ständig auch erzählt, ihn sogar karitativ betreut, aber nicht ein echtes Engagement für den entbehrenden Stand übernimmt. Dann fragt man sich freilich, ob es nicht viel leichter war, an der Rückgewinnung des Heiligen Landes anzusetzen als z. B. am Problem des Sklavenhandels oder am Problem der Leibeigenschaft politische Macht zu riskieren und Schwierigkeiten im eigenen Bereich zu bekommen. Wie gut, daß der heilige Franz nachweisbar als Missionär sich zwischen Troß und Truppe bewegte und mit eigenen Augen sah, wie das unten aussah, was man obert gut als Kreuzzug etikettieren konnte! Wie gut, daß er trotz allem das geistliche Anliegen des Kreuzzuges hindurch gebetet und noch hindurch gelitten hat! Daß dem heiligen Franz mittendarin ein eigener Auftrag zuwuchs, bis ins Zelt des Sultans vorzudringen, und als das damalige Herz der Welt wenigstens das Zeugnis für den Herrn der Welt abzulegen. Damit ist geschichtlich festgehalten, daß der heilige Franz den rein politischen Kreuzzug als ungenügend empfunden und seinen eigenen religiösen Auftrag ergänzend dazugegeben hat.

Heute haben kriegerische Aussagen solche dämonische Ausmaße bekommen, daß die Christenheit mit aller Eindringlichkeit um die Erhaltung des Friedens in Gerechtigkeit bedacht sein muß. Wir werden hier in unserer Glaubwürdigkeit geprüft werden. Staaten müssen sich verteidigen — das ist ihr Recht und ihre Welt. „Wären Meine Diener von dieser Welt, so würden sie — kämpfen.“ Die Kirche bezieht einen anderen Ort ihrer Aussage. Darin befindet sie sich zu jedem Staat in einer notwendigen, aber auch fruchtbaren Spannung. Die Kirche ruft das Geheimnis Christi auf, das heißt die Wirklichkeit Seines mystischen Leibes. Innerhalb dieses Geheimnisses hat jedem das Herz zu bluten, der zum Schwerte greifen muß, hat jedem Flieger, um deutlicher zu werden, der eine Bombe abwirft — befehlsgemäß natürlich — die Hand zu stocken, ehe er nach dieser Kollektiv-Mordwaffe greift. Ist es nicht ein Symbol der wirrsinnigen Sprachverwirrung des letzten Krieges, daß wir im Wort vom Ritterkreuz (das doch bekanntlich weitestgehend für Luftkämpfe verliehen wordöh ist) den Begriff vom Rittertum, die Vorstellung vom Kreuz mit dem befehlsgemäßen Mord verkoppelt haben? Dieser Zerreißprozeß durch das Herz eines jeden Christen — auch eines christlichen Offiziers — wäre die Zerreißprobe, ob das Evangelium in unseren Tagen wirklich noch lebendig ist.

Die meisten Argumente, mit denen uns heute gewissenberuhigenderweise und gutgemeint die Waffen wieder in die Hand gedrückt werden, sind Angstprodukte. Nichts dagegen gesagt — wir haben alle ohne Ausnahme Angst. Aber nicht ein Argument stellt sich vor jene andere Angst, Mütter und Kinder fremder Völker mit den neuen Mordwaffen in die auslöschende Vernichtung zu bringen. Die Angst soll also ruhig beiderseits herauskommen. Die echten Erfahrungen aus dieser Not um eine richtige Vorhölle fehlen uns nämlich im politischen Gespräch um die kommenden militärpolitischen Entscheidungen fast völlig. Die Dämonie unserer Tage ist ein Gesamtgeflecht. Für die gefal-

München, 9. Jänner 1953 (CND). Mit dem heutigen Tag stellt der Christliche Nachrichtendienst das Erscheinen seiner bisherigen Publikationen ein. Die Gründe dafür sind nicht in Schwierigkeiten wirtschaftlicher Natur zu suchen.

Bei der Gründung des Unternehmens im Winter 1945146 galt es als selbstverständliche Voraussetzung, daß nicht unbekümmert dort wieder angesetzt werden dürfe, wo man 1933 aus dem Geleise geworfen worden war. Es galt, sich nicht mit einem Wiederaufbau zu bescheiden, sondern einen Neuaufbau zu versuchen. So kam es zur Gründung eines christlichen Nachrichtendienstes. Dies war ohne Vorbild in Europa.

lenen Engel gibt es jedenfalls weder Sperrzonen noch eiserne Vorhänge. Das Reich des Satans ist überallhin ausgebreitet wie ein unzerreißbarer Vorhang, der uns den Aufblick zum gemeinsamen Himmel verdeckt. So wäre das Zeugnis versuchter Einmütigkeit und liebender Ueberstrahlung die Stelle, wo sich die Kirche Christi mit Gebet, Fasten und Liebe den Dämonen wirklich stellt. So, wie es ein Prester, der als Gefangener noch festgehalten ist, seinem heimkehrenden Mitbruder als Trostwort mitgab: „Wir werden uns hier wider diese Welt kaputtlieben.“

Hier 1 i e g t d i e A n s a t z s t e 11 e d e r Pax-Christi-Bewegung innerhalb der Kirche quer durch alle Bekenntnisse. Sie ruft „Kirche“, wenn sie um den Frieden betet, sich darum bemüht und besinnt. Sie ruft auch die Brüder an den noch — Gott sei es geklagt — getrennten Tischen in den gemeinsamen Raum der einen Kirche. So ist unser Gruß innerhalb dieser Woche unserer Brüderlichkeit vom 18. Jänner bis 25. Jänner an die Brüder rundum: ..Einer ist unser Meister — wir alle sind Brüder, und Er ist unser Frieden.“

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