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Unser Priestertum

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…Es ist bekannt, wie stark die qualvolle Frage nach der wahren Auffassung vom Priestertum die Denker von heute beschäftigt, sei es innerhalb der Kirche oder außerhalb ihrer Grenzen, und wie sie von Mal zu Mal bei so manchen von ihnen verneinende Kritiken, bei anderen wieder spirituelle Vertiefung, bei allen aber Diskussionen praktischer Natur hervorruft. Die Literatur hat sich darin gefallen, den Priester wieder auf die Szene zu bringen: Nicht mehr als eine konventionelle Gestalt, ein wenig komisch und nachsichtig, gewohnt, Streitereien und Sorgen zu vermeiden, und dazu ausersehen, den Einsatz zu verpassen, der ihm zukäme, d. h. kein Gefühl für die schicksalhafte Stunde und für das Drama der geistigen Auseinandersetzung zu haben. Der Priester tritt heute vielmehr als ein exotisches und geheimnisvolles Wesen auf, das eine ganz persönliche Erfahrung der Welt und der Menschen besitzt, aus Leiden und Mystizismus gewoben. Auch dieser Gestalt ist es bestimmt, keinen praktischen Erfolg zu haben, aber nicht mehr aus eigener Schuld, sondern infolge der Taubheit oder der Feindseligkeiten der profanen Welt, die den Priester umgibt.

Und zugleich mit dieser psychologischen Analyse und Darstellung betrachtet die moderne Welt, verblendet durch ihr Zweckdenken, den Priester mit sarkastischer Feindseligkeit: als Erben eines zu Ende gegangenen Mittelalters, als Verbündeten des konservativen Egoismus, als Bonzen einer überholten Liturgie, dem Leben fremd gegenüberstehend. So also sehe der Priester aus!

Der Klerus hat diese Welle perfiden literarischen Interesses für die Geheimnisse seiner Seele und der heftigen Antipathie gegen seine Anwesenheit inmitten dieses Jahrhunderts mit seinen neuen Aufgaben

Die erste, gewiß kluge Geste war, daß man zur Verteidigung schritt, und nicht so sehr zur Verteidigung der Charismen des Priestertums, die, der Welt unbekannt, Angriffen weniger ausgesetzt waren, als zu jener der sozialen und äußerlichen kanonischen Formen, die normalerweise das Leben des Priesters definieren, wie die Kleidung, die Sprache, der Stil. Manche Erzieher meinten, dies sei der wesentliche Punkt oder zumindest der bedrohteste, der daher am meisten des Schutzes und des Eifers bedürfe.

Andere wandten bewundernswerte Mühe auf, den Ausdruck des Kultes von innen her neu zu beleben, in dem der Priester sich mehr als in allen anderen Dingen seinem Wesen verhaftet fühlt: Die liturgische Bewegung gab dem müdegewordenen Gebet Sinn und Poesie zurück, der Ritus trat wieder in seinem ursprünglichen Gewand voll Strenge und Schönheit auf, die kirchliche Feier der Glaubensgeheimnisse schärfte wieder das Gefühl für die unsagbare Vereinigung von Gott und Mensch in der sakramentalen Handlung; ein Schauer geheimnisvoller Freude, von göttlicher Gegenwart und menschlicher Liebe erfüllt, überkam die frommen Gemeinschaften, die sich wieder um den Altar gesammelt hatten.

Häufig aber bestanden diese Versammlungen der Gläubigen aus auserwählten Gruppen: die Volksmenge fehlte. Das Volk schien in seiner ungeheuren Mehrheit unerbittlich abwesend. Wird es zurückkehren? Nein, es kommt nicht wieder. Man muß es suchen gehen. Es ist Sache des Priesters, den Standort zu ändern, nicht jene des Volkes. Vergeblich läßt der Priester seine Glocken läuten; niemand hört ihn an. Er muß auf die Sirenen horchen, die in den Fabriken heulen, in jenen Tempeln der modernen Technik, von der die moderne Welt lebt und in der sie atmet. Ihm kommt es zu, wieder Missionar zu werden, wenn er will, daß das Christentum wieder lebendiges Ferment der Zivilisation werde und bleibe. Und der Priester setzte sich in Bewegung. Wir müssen verstehen: Der Apostel ist ein Hirte, ein Fischer; er paßt sich allen Erfordernissen des Zieles an, das er verfolgt und das darin besteht, die Seelen wiederzugewinnen und zu Christus zu führen. Ein gewisser apostolischer Relativismus gehört von Anfang an zur Kunst der Seelsorge. Von hier ausgehend, ergriff manche Priester ein Reformismus neuer Art. Der Grundsatz ist gut, aber wie schwierig, wie gefährlich ist seine Anwendung! Wem kommt es zu, zu reformieren? Und wie soll die Reform beschaffen sein? Manche Unvorsichtige bedachten nicht diese elementaren und weiten Grenzen, die einzig von der Kirche bewahrt und vorgezeichnet werden dürfen und die dort, wo es sich um das göttliche Depositum des Glaubens und des Gesetzes Christi handelt, sogar von der Kirche nur verteidigt werden können.

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