funkhaus - © Wikimedia / Thomas Ledl

40 Jahre ORF-Radioreform: Unser Summer of Love

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1967 und die Folgen: Erinnerungen an die legendäre "Musicbox". Radiogeschichte als Geschichte einer längst vergangenen Zeit. Ö1-Hörern ist es seit Jahresanfang 2007 durch Retrospektiven und Wiederholungen markanter Sendungen präsent: Der Radio-Kulturkanal des ORF wird 40 Jahre alt.

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1967 und die Folgen: Erinnerungen an die legendäre "Musicbox". Radiogeschichte als Geschichte einer längst vergangenen Zeit. Ö1-Hörern ist es seit Jahresanfang 2007 durch Retrospektiven und Wiederholungen markanter Sendungen präsent: Der Radio-Kulturkanal des ORF wird 40 Jahre alt.

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Musik und Texte von "Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band" der Beatles aus dem Sommer 1967 enthielten neben feiner Ironie viel Humanität. Und genau diese Humanität, die an all den anderen spurlos vorbei ging, war uns nicht egal. Das war wohl ein entscheidendes Qualitätsmerkmal der jungen "Musicbox".

Mit diesen Sätzen zitierte eine Studentin in ihrer Seminararbeit aus einem längeren Gespräch mit mir über die Anfänge der Ö3-Sendung Musicbox. Schließlich wäre dies, so meinte sie, der wesentlichste Beitrag Österreichs zum Jahr des von der Pop- und Hippiekultur ausgerufenen Summers of Love gewesen. Die Studentin hat mir das Ergebnis liebenswürdigerweise zugeschickt. Ich fand mich korrekt zitiert, spürte aber kaum einen Hauch von dem, was uns damals in unglaublichen Schüben zu Kopf gestiegen war. Wenigstes einen Funken Bewunderung wollte ich in ihren Zeilen leuchten sehen, aber wie sollte sie. Das Jahr 1967 liegt ja fürs Leben der heute 20-Jährigen so weit zurück wie für mich, damals, der Beginn der Ersten Republik.

"Hallo Teenager!"

Als ich 1962 zum Österreichischen Rundfunk kam, hieß er noch lange nicht ORF und war in den geisttötenden Fängen des Parteiproporzes von ÖVP und SPÖ. Ich war 23 Jahre alt. Mein "Entdecker" und väterlicher Vorgesetzter Franz Gregora leitete die Abteilung "Erziehung und Familie", dazu gehörten: die Kinderstunde, der Heimatfunk, der Schulfunk, der Frauenfunk und der Kirchenfunk. Jede Sparte hatte ihren "Referenten", so hieß das. Zwei Sendereihen aber hatte sich der Abteilungsleiter selber vorbehalten: Photographiere besser! und Hallo Teenager! Wöchentlich gab es eine Viertelstunde Für die Jugend, betreut von einem älteren Ehepaar. Und einmal im Monat Die Sendung des Österreichischen Bundesjugendrings.

Hallo Teenager! war eine Diskussion geschnäuzter und gekampelter Vorzeigejugendlicher, durchsetzt mit aktueller Schlagermusik. Das Wort "Pop" war noch fremd. Mitte 1965 überraschte mich Gregora eines Tages mit den Worten: "Sie sind ein junger Mensch, Sie machen das jetzt!" Ich "machte", allerdings eine andere Sendung, aber mit Zustimmung Gregoras. An allen besseren Kiosken glänzte damals das deutsche Jugendmagazin Twen, ein bissl intellektuell und erotisch, ein bissl politisch und literarisch. Mit ganzseitigen Photos von Tuaregs in der Sahara, Slums in Chicago, kreischenden Mädchen bei einem Beatles-Konzert. Eben der Zeitgeist der mittleren 60er Jahre: erwachendes kritisches Bewusstsein, mit einem Schuss Optimismus noch aus der Wirtschaftswunderzeit. So etwas auf Radio, das schwebte mir vor. Und ich nannte die neue Sendung: Magazin für Teens und Twens. Statt einer braven Studiodiskussion gab es Statements von der Straße, freimütige Stimmen Jugendlicher zu Themen wie Demokratieverständnis, Entwicklungshilfe, Emanzipation, Konsumkritik. Anzeichen eines Paradigmenwechsels. Erster Mitstreiter dabei war Richard Goll, musikalisch vorbelastet mit Bach und Bruckner aus dem Jeunesse-Chor; er brachte plötzlich, Mai 1967, die erste Single von Jimi Hendrix ins Funkhaus: Hey Joe.

In der Kunst lernten wir Begriffe wie Environment, Happening oder Fluxus, erachteten sie aber eher als skurrile Zeiterscheinungen. Im Sommer 1967 war Otto Mühl, der einzige Vertreter des kurzlebigen Polit-Aktionismus "Zock", im Magazin für Teens und Twens eingeladen, eine Kunstaktion zu absolvieren: Er blies mit unangenehmen Geräuschen Luftballons auf.

Dann kam die Rundfunkreform Gerd Bachers und an mich der Auftrag, eine eigene Jugendredaktion aufzubauen. Dazu brauchte ich mehr Mitarbeiter. Und sie kamen. In der katholischen Jugendpresse hätte damals ein ähnlicher Paradigmenwechsel stattfinden können, nur: man hat die Mitarbeiter, die sich dazu anschickten, gefeuert, allen voran Heide Pils, die Chefredakteurin der Aspekte. Alfred Treiber, ihr Kultur- und Literaturexperte, veröffentlichte zwei Gedichte einer 20-jährigen Autorin namens Elfriede Jelinek. Also konnten die katholischen Mittelschüler in ihrem Vereinsorgan unter anderem lesen: … das blut läßt sich nicht besteigen wie die schamlippe des großen pan … hört auf alle rundfunkteilnehmer! Denn die essen den samen des wolfes … Das war zuviel.

"… of Love and Innocence"

Pils und Treiber kamen zu mir, mit ihnen begann jene immer wieder "legendär" genannte Jugendredaktion. Beide waren hervorragende Mitdenker in der Hitze unseres Summers of Love, den ich lieber of Love and Innocence nennen möchte, denn wir waren bei allem avantgardistischen und emanzipatorischen Selbstverständnis unglaublich naiv - und fern jedem ideologischen Sendungsbewusstsein.

Nach Pils und Treiber kam noch ein ganzer Schwarm aus jenem Nest katholischer Hochschularbeit, das noch warm war von den großen intellektuellen Bewegern der 50er und frühen 60er Jahre wie Karl Strobl und Otto Mauer. Wir standen auf den Schultern dieser Beweger. Und mit uns noch ein paar: der Schriftsteller und Filmemacher Uwe Bolius, der inzwischen renommierte Krimiautor Alfred Komarek, als einziger und unorthodoxer CVer Werner Vogt, etwas später dann Anton Pelinka und Wolfgang Schüssel. Zur Zeit des Sechstagekriegs lernte ich André Heller kennen, bei einem Gesprächsabend junger jüdischer und nichtjüdischer Intellektueller über den Staat Israel. Ich war von Hellers schnittiger Eloquenz beeindruckt und fragte ihn, ob er nicht im reformierten Radio mitarbeiten wolle. Er wollte und leistete mit eklektischem Musikgeschmack und metaphernreicher Moderation seinen Beitrag zum Mythos Musicbox. Vieles an Wahrnehmung war damals unserer Euphorie zum Opfer gefallen, zum Beispiel der Tod von Benno Ohnesorg in Berlin - und andere Ereignisse, deren Tragweite wir überhaupt nicht erkannt hatten. Denn der Sommer 1967 war angefüllt mit tagelangen Sitzungen. Den neuen Generalintendanten Gerd Bacher konnte jeder, der sich nicht vor ihm fürchtete, als den unglaublichsten Motivator erleben. Allein die federnde Dynamik seines "Guten Morgen!", wenn man mit ihm zufällig im Funkhausaufzug zusammentraf, bewirkte schon einen beflügelnden Adrenalinausstoß.

Täglich um drei nach drei

Am 28. Juli 1967 gaben wir, die Jugendredaktion, uns selber eine "Verfassung", die Gerd Bacher mit dem Satz quittierte: "Danke für Ihr Grundsatzpapier, ich weiß eh, was ich an Ihnen habe." Alfred Treiber hat ihren Wortlaut, der mir längst entfallen war, in seiner jüngst erschienenen detailreichen Ö1-Chronik zitiert. Nicht ohne Rührung lese ich ihn heute: "Die Sendungen werden von jungen Menschen gemacht und müssen daher zwangsläufig anders sein … erwünschter Nebeneffekt, dass Erwachsene Nutzen daraus ziehen … nichts darf auf Jugendthemen beschränkt sein … junge schöpferische Kräfte sollen eigengestalterisch und spontan an den Sendungen beteiligt sein …"

Die Musicbox, täglich um drei nach drei in Ö3, war die uns überantwortete Musiksendung. "Da sollen die Jungen das Wildeste vom Wilden spielen", höre und sehe ich noch heute den Programmdirektor Alfred Hartner in meine Richtung sagen. Es war unsere Sendung. Und wurde zu einem Identifikations- und Sozialisationsfaktor von Mittelschülern, Studenten und jungen Intellektuellen. Neben der Musicbox gab es noch die Sendungen der Jugendredaktion auf Ö1, fünfmal, später dreimal pro Woche. Bis 1969. Sehr bald fanden deren Wortbeiträge auch eine Musicbox-Umsetzung, hatten wir doch in Ö3 an die 400.000 Zuhörer, in Ö1 vielleicht ein Zehntel.

Am 1. Oktober startete das neue Programm. Ein Treppenwitz der Geschichte: der erste Moderator der Musicbox war das Aushängeschild von Radio Luxemburg: Frank Elstner. Charme und Routine waren ihm nicht abzusprechen. Aber sein Abschiedsbrief kam sehr bald: "Wer so ordentlich ausschaut wie ich, passt nicht mehr in eure Sendung." Wir haben nicht versucht, ihn zum Bleiben zu überreden.

Im Jahr 1968 kam dann zum Blühen, was 1967 gesät worden war. Frank war weg und André Heller gerade noch da, da stieß einer zu uns, der das Erscheinungsbild der Musicbox für mindestens 20 Jahre prägen sollte: der blutjunge und unglaublich begabte Wolfgang Kos. Er hatte als erster von uns die Bedeutung der Popmusik als reflexionswürdige Alltagskultur erkannt.

Die Musicbox des Jahres 1968 wurde zunehmend "politischer" und provokanter. Die Proteste gegen die Sendung häuften sich und fanden ihre Höhepunkte an zwei Donnerstagen, dem Literatur-Tag in der Musicbox. Am 1. Februar las Wolfgang Hübsch Allan Ginsbergs Gedicht Amerika, deutsch natürlich, ich weiß nicht mehr, wer es übersetzt hatte, aber ich weiß noch, dass die Zeile go fuck yourself with your atom bomb auf Deutsch lautete: Amerika, steck dir deine Atombomben in den Arsch! Was folgte, war ein "Proteststurm gegen ordinäre Entgleisung von Ö3", wie im Wiener Montag vom 5. 2. 1968 zu lesen war: "Wenn die Leute von der Jugendredaktion sich darauf ausreden, es habe sich ja bloß um ein Zitat gehandelt, so ist ihnen zu erwidern, dass man als Rundfunk eben auch bei der Auswahl der Zitate auf den guten Geschmack zu achten hat."

Skandal! Ginsberg & Jandl

Zweiter Skandal im Mai 1968 (während in Paris die Pflastersteine flogen): Eine Stunde lang liest Ernst Jandl, motiviert von Alfred Treiber, in der Musicbox live aus seinen Gedichten zur Musik von den Beatles. Eines der Gedichte, das besonderen Anstoß erregte, war Heldenplatz (und den weibern ward so pfingstig ums heil zumahn: wenn ein knie-ender sie hirschelte). Die Chronisten sprechen vom größten Hörerproteststurm der Radiogeschichte. Gezählt wurden 800 Anrufe, dann sollen die Telefonleitungen zusammengebrochen sein.

Die Musicbox war bald auch der einzige österreichweite Umschlagplatz für Informationen aus einer alternativen Jugendkultur. Selbst 30, 40 Jahre später höre ich noch immer, wie wichtig das damals für Initiatoren und Veranstalter war.

Was bei "uns" immer mitschwang, war die ganze Verachtung für die damals schon stark kommerzorientierte Ö3-Philosophie. Die Folgen: Feindschaft des Werbesenders Ö3 mit dem Störenfried Musicbox bis zu ihrem Tod, der allerdings erstaunlich spät eintrat, nämlich fast 30 Jahre nach ihrer Gründung. Meine Studentin vom Februar 2007 analysierte das Ende so:

Für die übrigen Ö3 Mitarbeiter war die Box ja immer ein rotes Tuch … aber die Sendung, die am deutlichsten den öffentlich-rechtlichen Programmauftrag ernst nahm und erfüllte … Als die Zeit kam, in der Ö3 anfangen musste, aufgrund der aufkommenden Privatsender um … Hörer zu kämpfen, … fiel es nicht sehr schwer, sich von der legendären "wilden" Sendung zu trennen, … um mit der Konkurrenz mithalten zu können.

Genau. So simpel, wie es sich hier liest, war es. Und so simpel entstehen Mythen.

Der Autor leitete bis 1989 die Abteilung "Gesellschaft, Jugend, Familie" und bis 1999 die Abteilung Religion im ORF-Hörfunk.

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