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Unsere Golemtragödie

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Es ist vor allem die junge Generation, die sich durch diese Situation In Bedrängnis fühlt und beunruhigt ist. Man kann diese junge Generation verstehen, wenn sie „aus der Art“ schlägt. Denn welcher Art soll sie sich anvertrauen? Sie ist aus der Art der Vergangenheit heraus-und in den Sog der total veränderten Verhältnisse der Gegenwart hineingerissen. Und doch gibt es hier kein Generationenproblem, die alte Generation steht gleich hilflos diesem größten revolutionären Geschehen der Geschichte, diesem verhängnisvollen „Fortschritt“, diesem Fortschreiten und Wegschreiten von der Vergangenheit in die Zukunft gegenüber. Alle stehen unter der Herrschaft der nur noch technisch gesteuerten Vorgänge in Gesellschaft und Staat, wobei der Staat als Instrument dieses technischen Fortschrittes immer mehr an Macht gewinnt, die verhängnisvoll einem neuen Totalitarlsmus entgegensteuert, den wir mehr und mehr zu spüren bekommen. Diese planetarische Macht der Technik ergreift die westliche Welt so gut wie die östliche Welt, nur machen wir daraus noch keine Philosophie, wie es der Osten tut. Über die technische Beherrschung der Welt ist schon unendlich viel geschrieben worden,

sehr gescheit und aus der tatsächlichen Situation heraus oft sehr einleuchtend. Niemand hat zu Beginn des technischen Zeitalters so klar die Entwicklung zur alles beherrschenden Technik erkannt wie Karl Marx: Die Wiirtschaftsweltder Maschinenindustrie zwingt den Unternehmer, den Ingenieur und den Fabrikarbeiter zum Gehorsam gegenüber der Maschine, gegenüber der Technik, alle sind nicht mehr Herren der Technik, sondern ihre Sklaven. Neben dieser Tatsache ist der historische „Klassenkampf“ zu einer zweitrangigen Angelegenheit geworden. Hier hat Marx geirrt, als er glaubte, mit dem Klassenkampfprinzip die Herrschaft über die Maschine und die Technik zu gewinnen. Das hat auch die Arbeiterschaft von heute verstanden, die weiß, daß sie mit den Unternehmern im gleichen gefährdeten Schiff sitzt. Wenn man schon von einer Philosophie der Technik sprechen will, dann ist sie, wie Oswald Spengler in seinem einst heiß umstrittenen Werk „Der Untergang des Abendlahdes“ sagte, eine Philosophie des Schicksals. Ob wir uns rettungslos diesem Schicksal und damit einer nihilistischen Lebensstimmung unterwerfen müssen, das ist die zentrale Frage unserer Zeit

Der Mensch hat die menschliche Kontrolle über die von ihm geschaffene technische Weit verloren, er beherrscht nicht mehr die Technik, die Technik beherrscht ihn, sie ist autonom geworden. Das ist unsere moderne Golemtragödie.

Vom Sinn und Unsinn des Daseins

In diese Zielsetzung des technischen Fortschrittes auf bloße Macht und äußeren Erfolg ist auch die ganze Weltpolitik eingestellt. Mögen ganze Völker und Kontinente dem Hunger und dem Elend verfallen, es geht nicht mehr um das Wohl dieser Völker, es geht um die Macht, um den letzten Entscheidungskampf um diese Macht. Es werden Milliarden von Dollars in West und Ost eingesetzt, um die Technik in den Dienst dieser Macht zu stellen, während bei rationeller Verwendung dieser Summen weltweites Elend beseitigt werden könnte. So großartig, imponierend und in sich beglückend die Weltraumflüge gewertet werden müssen, so sind auch diese Flüge nur ein Glied in der Kette um die Eroberung der Macht. So paradox es klingen mag, diese Machteroberung durch die Amerikaner ist notwendig, um nicht in den totalen Herrschaftsbereich des östlichen Kommunismus zu geraten. Die Zwangsläufigkeit solcher Experimente ist unerbittlich, selbst wenn wesentliche Werte unserer Kultur darunter mehr und mehr bedroht werden und Gefahr laufen, überhaupt vernichtet zu werden.

Natürlich ist nicht die Technik als solche schuld an dieser Absurdität. Nichts soll gegen die Zweckmäßigkeit, Großartigkeit und selbst Schönheit der Technik gesagt sein. Aber es fehlt in unserer gegenwärtigen Zivilisationsepoche das Gleichgewicht von Seele und Technik, ohne welches der Mensch ganz einfach mit seiner ganzen Zivilisation unter die Räder seiner eigenen Gebilde gerät. Nur wenn er alle seine sittlichen Kräfte mobilisiert, wird er die von ihm geschaffene Welt unter seine Kontrolle bringen. Wir hätten es seit dem ersten Weltkrieg lernen können, wohin wjr es mit dem bloßen unglückseligen . Fortschrittsaberglauben gebracht haben. Diesen Glauben an die bloße Technik und die bloße

Industrialisierung haben heute die Entwicklungsländer übernommen, nicht um ihren Völkern zu helfen, sondern durch ihre Führer sich In den weltpolitischen Machtbereich einschalten zu können. Der weiße Koionialimus wurde ganz einfach durch den schwarzen und gelben Kolonialismus abgelöst So steuert die Weltpolitik durch das Machtziel ihrer Technik mehr und mehr einer Weltkatastrophe entgegen. Um ein Beispiel zu nehmen: Auch bei einer friedlichen Lösung des Vietnamkonfliktes können wir nur sagen: Wir sind noch einmal davongekommen! Es geht heute nicht mehr bloß um das politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche Dasein, es geht um den Sinn des Daseins überhaupt. Das sehen heute auch führende Männer der Wirtschaft ein. Dr. Walter Boveri, Ehrenpräsident des Verwaltungsrates der Brown-Boveri AG, Baden, hat in seiner Schrift „Auf der Suche nach einem Sinn des Daseins'* (Manesse-Verlag, Zürich) versucht Sinn und Aufgabe des menschlichen Daseins in unserem Zeitalter aufzuzeigen und legt klar unter religiöser Akzentuierung die Notwendigkeit der Bildung einer Elite dar, die fähig ist, das geistige Fundament der nächsten Jahrzehnte zu legen und nicht einfach der Technik zu verfallen.

Die Schicksalsfrage auf Leben und Tod hängt nicht an den Fortschritten der Technik, sondern liegt im Problem ihrer Einordnung in ein sittliches Weltbild. Aber unter der Macht der Technik ist uns dieses sittliche Weltbild, ist uns der Sinn des Daseins verlorengegangen.

Hoffnungslose Zukunft?

Für die Einordnung des technischen Zeitalters in ein sittliches Weltbild bemühen sich unsere christlichen Kirchen wie nie zuvor in einer gemeinsamen Anstrengung. Das Zweite Vatikanische Konzil weiß sich in dieser Anstrengung einig mit den Anstrengungen des Weltkirchenrates. Das Ziel ist klar gesetzt, aber die Macht des technischen Denkens ist heute so riesengroß, daß es wirklich eines starken Glaubens bedarf, um die Hoffnung zu hegen, daß es gelingen werde, die Technik in das christliche Weitbild eingliedern zu können.

Der politische Entscheidungskampf scheint heute der Kampf zwischen West und Ost, zwischen der Freiheit des Westens und der kommunistischen Diktatur des Ostens zu sein. Aber dieser Kampf wird überwölbt durch die Macht der Technik, die beide Lager beherrscht und die Widersprüche unserer Epoche im eisernen Griff hält. Beide Lager sind von dieser Macht gleicherweise be-

droht und in diese Bedrohung Ist das gesamte politische Leben aller Nationen, der kleinen und der großen, einbezogen. Und dennoch wäre es verfehlt, fatalistisch in eine scheinbar hoffnungslose Zukunft hineinzuschreiten und alle Verbindungen mit der Vergangenheit abzubrechen. Die planetarische Katastrophe, die uns bedroht, ist trotz ihrer scheinbaren Unausweichlichkeit kein naturgesetzlicher Vorgang. Es gibt keine Dämonie der Technik, sondern nur eine Dämonie des Menschen. Freilich, wenn diese Dämonie nicht überwunden wird, dann wird die Technik, losgelöst vom christlichen Weltbild, uns ganz einfach zermalmen, und die letzten Menschen können noch mit den technischen Mitteln von Radio und Femsehen diesen Untergang mit anhören und ansehen.

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