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„UNSERE KIRCHENLIEDER SIND GUT — ODER SCHLECHT!“

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... Eine andere Möglichkeit läßt Paul Hume schon anno 1956 in der amerikanischen Zeitschrift „The Marianist“ (Cincinnati Province of the Society of Mary, Dayton 2, Ohio, und zitiert im „Catholic Digest“, Mai 1956) nicht gelten. — Das klingt irgendwie nach Schwarzweißmalerei, doch wenn man obiges Konzentrat seiner Ausführungen liest, die eigentlich für US-Verhältnisse geschrieben sind, dann stellt man auf einmal viele Parallelen fest. Aber lassen wir Hume auszugsweise selbst sprechen:

„Vor einigen Jahren gab Nelson Eddy einen Konzertabend in Washington. In meiner Rezension stellte ich fest, er habe wie immer ein Programm schöner Musik gesungen, aber einen schweren Fauxpas begangen, als er — als Zugabe — „The Rosary“ von Ethelbert Nevin sang, einen fürchterlichen Kitsch. („The Rosary“ ist eine sentimentale Liebesballade aus der Jahrhundertwende: „Die Stunden, die ich — liebes Herz — mit dir verbracht habe, sind für mich wie Perlenketten ...“)

Tags darauf läutete frühmorgens mein Telephon. Höfliche, aber energische Stimme: „Mr. Hume? Sie kennen mich nicht. Ich bin einfach ein katholischer Laie. Ich weiß nicht, welcher Religion Sie angehören, aber ich fühle mich verpflichtet, gegen diese Beleidigung eines unserer katholischen Lieder zu Ehren der heiligen Mutter zu protestieren ...“

Hume schreibt dann, wie überrascht er war, daß ein ernstzunehmender Mann einfach den Titel „The Rosary“ (Der Rosenkranz) zum Anlaß nahm, sich über die Beleidigung eines — Kirchenliedes aufzuregen. Er nahm’s seinerseits zum Anlaß, sich Gedanken über unsere Kirchenlieder im allgemeinen und jene zu Ehren der Mutter Gottes im besonderen zu machen. Und kam zu der Schlußfolgerung, daß es nicht genügt, eine Weise der Gottesmutter zu widmen, um sie zu einem „guten“ Kirchenlied zu machen ...

„Es ist kein Geheimnis, daß einige der am häufigsten gesungenen Kirchenlieder schlechte Kirchenlieder sind“, schreibt er weiter (nur in den USA?). „Und es ist außerordentlich bedauerlich, daß ausgerechnet jene ,aus der untersten Lade' Hymnen über und an Maria sind. Sicherlich ,ist es Geschmackssache1 “, gibt er zu, „hängt es davon ab, was einem gefällt“. Und dann formuliert Hume das Problem mit aller Schärfe:

„Wollte man die Existenz schlechter (Kirchen-) Musik einfach deshalb leugnen, weil man die technischen Grundsätze ihrer Komposition nicht versteht, so hieße das vergleichsweise die Kernspaltung leugnen, bloß weil man noch nie ein Atom gesehen hat...“

Sicherlich könnte man, meint Hume, jetzt großzügig sein und sägSÄ: „Was hnacht schon der Urrterschfed aus. solange sich die Leute wohl fühlen, wenn sie’s singen? Novenen, Rosenkranzandachten und Maiprozessionen sind nicht liturgische Zeremonien, und solange die Leute die Lieder nicht während der hl. Messe singen, ist alles in Ordnung!“

Mitnichten, meint Hume. Und verweist auf 1903, wo bereits Pius X. sehr offen und deutlich darlegte, wie Sakralmusik beschaffen zu sein habe. Damals legte man jenes „Motu proprio“ sofort so aus, daß es „eben nur für liturgische Musik“ zu gelten und die kompositorische Tätigkeit der gerade damals sehr aktiven Schöpfer der „leichteren Muse“ auf religiösem Gebiete keineswegs zu beeinträchtigen habe. Allerdings wurde solcher Eifer wenig später durch Verordnungen für die Kirchenprovinz von Rom merklich abgekühlt, in denen klipp und klar festgestellt wurde, besagtes „Motu proprio“ hätte selbstverständlich für jedwede in der Kirche verwendete Musik zu gelten. Nicht so in der amerikanischen „Durchschnittspfarre“, wo — um wieder mit Hume zu sprechen,

„.Mother Dear' und ,O Mary conceived without sins‘ fortfuhren, ihren Weg dahinzutänzeln ... Und erst nach 52 Jahren der Debatte wurde das letzte Wort in dieser Sache gesprochen.“

Gemeint ist die päpstliche Enzyklika über die Kirchenmusik vom 29. Dezember 1955. Auch sie wurde leider bisher noch viel zuwenig berücksichtigt. Meint Hume. Aber er hat handfeste Gründe für seine Behauptung, daß diese Enzyklika endgültig dem alten „Wenn’s nicht bei der hl. Messe gesungen wird (= gesungen werden kann), kann’s nicht gut sein!“ wieder Geltung verschafft habe.

Das Meßlied als Maßstab zu nehmen, „die Frömmigkeit zu stärken“ und „heilige Freude zu schaffen“, das sollten — Papst Pius XII. zufolge — wesentliche Charakterzüge des guten Kirchenliedes sein. Aber auch bei uns ziehen wir durchs Erdenleben, zum Tod, ein schwerer Gang, und der letzte Scheidegruß, er klingt so trüb einst und so bang. Das Ganze garniert mit verknautschten, verminderten Septimen und Akkorden, nicht zu vergessen Humes „Liebestraum- Hupfer“ („Liebestraum-leap“), womit er den allzu häufigen Gebrauch der schluchzenden Sext — auch bei uns sehr beliebt! — meint und an Hand des bekannten, zur Salonmusik abgesunkenen Stücks von Franz Liszt charakterisiert. Auch die „üppig wuchernde Chromatik“ hat es ihm angetan, diese „Friseurharmonie“, die er einem sangbaren Kirchenlied keineswegs förderlich hält. Ganz zu schweigen vom Dreiviertelrhythmus, „denn die meisten kommen, wie erinnerlich, aus der Walzerzeit“. Womit er es uns ganz schön gegeben hat.

„Das einzige Problem: obwohl sie tatsächlich Walzer sind, dürfen sie nicht wie Walzer klingen, wenn sie in der Kirche gesungen werden. Was zu den wirklich krebsfördernden Situationen im Leben eines Pfarrorganisten führt: spielt er das Lied in vernünftigem Zeitmaß, mit der optimistischen Absicht, die Versammlung mit sich zu reißen, dann wird er zur Zeitmaßangabe betont Takt zu spielen haben. Versuchen Sie aber einmal etwa „Mother dear“ mit starker Betonung der ersten Note pro Takt zu singen. Ergebnis? — Ein „Biergartenwalzer“, schaumfrisch!

(Für Zartbesaitete unter den Lesern: er schreibt wörtlich: „A beer-garden waltz with the foam fresh on it“!)

„Wenn’s aber dem Organisten nicht gelingt, durch starke Betonung den Takt zu schlagen, dann schleicht die Gemeinde mit individuellem Zeitmaß dahin. Ergebnis bekannt. Daraus folgt: wenn man schon annimmt, daß die Gemeinden (wörtlich: Congregations ...) nach diesen Liedern so verrückt sind, warum singen sie diese auch noch so schlecht?“

Sicherlich gibt es immer wieder fadenscheinige Entschuldigungen, meint Hume weiter etwa: „Macht traditionelle Kirchenlieder nicht lächerlich, die das Volk liebt und mit Gefühl singt“, bevor „moderne Kirchenmusiker uns etwas Besseres geben.“ Wobei er unausgesprochen ausspricht, daß nicht alles Moderne gut sein muß ...

Hume weist dann noch auf ein ganz ausgezeichnetes, in bestem Sinne modernes Kirchenliederbuch hin („The People’s Hymnal“, World Library of Sacred Music, Cincinnati, Ohiöj, das sowohl die „alten Meister“ nicht verachtet, als auch die’! (wirklichen) Neuen zu Wort kommen läßt.

„Und hier gibt es auch ausgezeichnete Übersetzungen und Bearbeitungen von Choralmusik wie ,Salve Regina' oder ,Ave Regina Coelorum'... Das sind die reinen, erleuchteten Melodien, einfach und beredt wie Musik nur sein kann. Sie helfen uns, auf beste Weise das Lob der Frau zu singen, die von der Sonne umkleidet ist und den Mond zu ihren Füßen hat. Sie hat sich weit bessere Lieder verdient, als sie seit einiger Zeit bekommt...“

Soweit also Hume. Seinen Worten ist, auch für unsere Verhältnisse, nicht mehr viel hinzuzufügen. Seine Zeilen sind ernst gemeint und kommen vom Herzen. Vielleicht bewirken sie in unserem Lande eine kleine Kettenreaktion zum Guten. Wir werden dann — vielleicht — weniger umfangreiche Gesangbücher haben als derzeit. Aber in ihnen wird auch etwas weniger von „Gfreut’s euch auf die Ewigkeit“-Stimmung, von allzu picksüßer Marzipanreligiosität, Schwärmerei, Seufzern, Schluchzern und Jammertalklagen, „Liebestraum- Hupfern“ und „Friseurharmonik“ zu finden sein. Dafür aber viel mehr von frohmachender Musik. Viel mehr auch von jenem Christentum, jener christlichen Freude, wie sie schon St. Paulus in einer Philippika, will sagen: in seinem Brief an die Philipper, rezeptierte:

„Freuet Euch allzeit im Herrn.

Noch einmal sage ich: freuet Euch!“

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