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„Unsterblicher Mozart“

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Unerschüttert von allen Fern- und Nahbeben, die zur Zeit die Entwicklung des Films beunruhigen, steht der Dokumentarfilm. Von Religion und Folklore, Sport und Reise, Naturwissenschaft und Heilkunde, Musik und Tanz drängen neue Inhalte und neue Formen heran. Je unfilmischer der Spielfilm gebannt wie ein Kaninchen auf neue technische und wirtschaftliche Möglichkeiten starrt, desto filmischer stabilisieren sich Wesen, Form und Aufgabe des Kulturfilms.

Die österreichische Szenenfolge aus drei Opern, „Unsterblicher Mozart", scheint sogar einen Schritt darüber hinaus, einen Schritt in Zukunftsland zu tun. Indem sie bewußt alle bisher als urfilmisch verkannten Bewegungen, Raumaufspren- gungen und optischen Koketterien abschüttelt und Opernszenen ganz einfach und mätzchenfrei in, die alte Guckkastenbühne stellt, gibt sie dem Slogan von der „Filmkonserve" einen neuen Sinn und legt neue Schichten der demokratischen Verwandtschaft von Film und Fernsehen bloß, die heute noch mannigfach bestritten werden. Daß es dazu alles nur denkbaren Glanzes der Stimmen und der Musikwiedergabe bedarf, um aus dem Mittel zum Zweck den Selbstzweck erstehen zu lassen, ist klar. Und hierin ist uns dieser abendfüllende österreichische Farbfilm nichts, aber auch schon gar nichts schuldig geblieben. Auswahl und Schnitt mögen in solchen Filmen immer diskutabel sein, der Gesamteindruck aber ist hier vollendet. Idee: Warhanek, Regie: Stöger, Dirigent der Philharmoniker: Moralt. Ueber die Stimmen (Güden, Lipp, Loose, Martinis, Zadek, Christ, Klein, Schöffler, Weber) erhebt sich immer wieder die komödiantische VetVe des Schauspielersängers Erich Kunz, ganz mozartisch, schöpferisch, österreichisch. Inmitten einer 30-Premieren-Woche (!) das große Ereignis.

.. . noch dazu bei stärkster Konkurrenz. Denn in dem russischen Film „Schwanensee" (und zwei anderen Balletten), tritt zur Musik Tschai-

kowskijs und Assafjews noch der hinreißende Rausch des Tanzes — nicht wir nämlich oder die Franzosen, sondern die Russen sind das „Volk der Tänzer” — und machen diese Filme zu einem Dokument der Filmgeschichte, das nicht viel Gleichwertiges hat.

Man muß den Österreichischen Film „Echo der Berge" noch hieher zählen. Denn alle lobenswerten Versuche, sich bei diesem Dokument der Natur und einer — übrigens gar nicht so einfachen — ‘Beziehung deS Menschen (Jägers) zu ihr der herkömmlichen Spielhandlungsunsitten zu entstricken, blieben doch nur Versuche, Halbheiten, Rücksichten und Zugeständnisse. Aufs ganze gingen die Schöpfer des Films (Idee: Franz Mayr-Melnhof, Regie: Alfons Stummer, Kamera: Walter Tuch) bei ihrem Streifzug durch die Natur, und siehe da, nicht nur die Wüste, auch der heimische Wald lebt. Das Liebesspiel der Auer- und Birkhähne geriet erregender, flackernder als das neckische Spiel der Zweibeiner, die humoristischen Pfifferarü der Erdhöhlen gaben sich witziger als das beste Dreh- und „Schmäh"-Buch, die Stoßfahrt des Adlers auf den Fuchs bot Trieb und „Leidenschaft" an der Wurzel, und die kluge Einfachformel des Grundmotivs (Jäger = Heger) überzeugte mehr als die wahrhaftig „schreckliche Vereinfachung" der Nebenhandlung: Hie frische Luft — dort Wotruba (!). Dies kann ein Hinweis sein. Wir sind auf dem Feld des weltweiten Wettbewerbes im Abschnitt Walt Disneys eher konkurrenzfähig als in der Zone der Garbos und Gables. Dieses Echo dieses schönen österreichischen Jagdfilms „Echo der Berge” kann nicht überhört werden. —

Doch darf hier nicht eigentlich von einer Katastrophe des Spielfilms gesprochen werden, denn noch stecken wir richtig in einer Zeitenwende, in der sich Hochflüge der alten mit dunkel erahnten Aufbrüchen der neuen Epoche begegnen. Welcher Nation bei dem Lustspielrennen dieser Woche der Preis gebührt, ist schwer zu entscheiden. Denn Kopf an Kopf liefern sich der amerikanische Film „S a b r i n a" und die italienische Dorfkomödie „Brot, Liebe und Phantasie" ein wahrhaft atemraubendes Rennen. Hier die füllige, menschliche Atmosphäre des italienischen Dorfes, dort das duftige Aroma eines weltoffenen modernen Sozialmärchens; hier die rassige Romanin Lollobrigida, dort die witzige, spritzige Angloamerikanerin Audrey Hepburn. In dieser erdrük- kenden Konkurrenz muß das deutsche Lustspiel „M änner im gefährlichen Alter" trotz des pfeilschnellen, spitzen Dialogs unterliegen. Es landet trotzdem auf Platz, während zwei weitere deutsche, „Die sieben Kleider der Katrin" und „Das sündige Dorf" im abgeschlagenen Feld bleiben.

Ein. nicht sehr glücklicher amerikanischer Gesellschaftsfilm, „Ein Herz aus Gol d", leitet zum üblichen Thriller über. „B e r I i n - E x p r e ß" hat noch vage Konturen, nämlich des „Dritten Mannes"; „Vom Täter fehlt jede. Spur" keine mehr; „Der unheimliche Untermieter" schließlich, eine scheußliche Jack-The Ripper-Geschichte, gehört zum Aufgabenkreis der kommenden Selbstkontrolle: über eine Import sperre in dieser Richtung müßten sich brennende Moralisten und eiskalte Rechner einigen können.

Von der Oeffentlichkeit aus vielerlei Gründen nicht mit der gebührenden Aufmerksamkeit beachtet, rollte am Rande eines Kongresses und am Rande der überstark besetzten Normalfilmwoche ein Stück Weltgeschichte ab: Die Woche (vermeiden wir angesichts der Hekatomben von Opfern den Ausdruck „Festwoche") der Resistance- Filme. 18 Filme aus Italien, Frankreich, Ostdeutschland, Sowjetunion, Dänemark, Norwegen. Polen, Tschechoslowakei, Rumänien und Bulgarien. Einige davon noch aus einer Zeit, da Regisseur und Darsteller persönliches Eigentum verklopften, um filmen zu können, da ein paar hundert Kilometer weit weg noch die Waffen sprachen, während hier schon Herz und Verstand das Wort hatten; die meisten Filme aus einer Zeit, da sie noch die aktuelle Beziehung zur jüngsten. Vergangenheit hatten — und nicht die fatale Aktualität zum Heute und Morgen

Vereinfachen wir nicht. Die Idee des Widerstandes birgt für den Menschen überhaupt, für den Christen ganz besonders, eine abgrundtiefe, unfaßbar harte Problematik, die letztlich wahrscheinlich nur im Gewissen des einzelnen zu lösen ist. Sie hat in der schwierigen Problematik des Tyrannenmordes ihre schärfste Ausprägung erfahren — ringsum aber türmen sich Millionen qualvoller Entscheidungen, Siege und Niederlagen. Wäre es so einfach, daß dem klar erkennbaren Bösen schlechtweg das klar erkannte Gute ent- gegenzustellen gewesen wäre — aber so einfach war es eben nicht!

Das Verständnis, ja die Achtung vor der Resistance ist eine echte, tiefe österreichische Wesenheit. Es kann nicht anders sein bei einem Volke, in dessen Geschichte so verschiedenartige Partisanen und Positionen (Teil, Hofer, Princip!) eine schicksalhafte Rolle spielten.

So neigen wir uns auch mit Achtung und Ehrfurcht vor diesen Filmen und den Schicksalen, die sie uns, zum Teil tiefergreifend, vorstellen; wir anerkennen den moralischen und künstlerischen Gewinn, den diese Filme eine ganze Strecke lang der Filmentwicklung gebracht haben, und billigen nicht, wenn sie durch krasse Effekte oder den ewigen Schrei nach Rache und Vergeltung im Kreise wieder zum Verderben führten.

In diesem Sinne reichen wir dem französischen Vetcörs-Film „D as Schweigendes Met- r e s" als dem vornehmsten, gedankenreichsten und versöhnlichsten die Krone — und hätten die gleiche Ehre gerne dem leider nicht vorgeführten österreichisch-jugoslawischen Film „Die letzte Brücke" erwiesen, von dessen Titel und Gesinnung uns der lichteste Weg vom Gestern ins Morgen zu führen scheint.

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