6599062-1953_25_06.jpg
Digital In Arbeit

Unter dem Feicentaum

Werbung
Werbung
Werbung

Ciaire Boothe-Luce, die kürzlich zur Bot-schaiterin der Vereinigten Staaten beim Qui-rinal ernannt wurde, hat sich als Journalistin, Kriegsberichterstatterin, Bühnenautorin („Frauen in New York“) und republikanische Politikerin einen Namen gemacht. Seit ihrer Konversion (1946) gab sie in zahlreichen Vorträgen und Publikationen ihrem Bekenntnis Ausdruck.

Unter einer Konversion verstehe ich das Innewerden der vollkommenen geistigen Zustimmung zum katholischen Glauben. Mit dramatischer Plötzlichkeit gleich einem blendenden Blitz kann sie einen überfallen wie den heiligen Paulus auf der Straße nach Damaskus oder beinahe unmerklich eine lange Zeit hindurch auf Gewissen und Verstand einwirken wie im Falle von Kardinal Newman. Wie der heilige Augustinus kann der Konvertit in einen scheinbar gerade erfolgreichen Kampf gegen den Glauben verwickelt sein und in eben der Stunde von ihm besiegt und in einer schmählichen Niederlage zu Boden geschleudert werden. Der Glaube kann auch erst kommen, nachdem man ihn rastlos unter falschen Aspekten überall gesucht hat. In der Verzweiflung, ihn noch zu finden, stößt man vielleicht einen letzten Schmerzensschrei der Hilflosigkeit in die Leere hinaus — und wird erhört. Er kann ganz mühelos und einfach ohne Krise kommen wie bei G. K. Chesterton. Aber ob das Licht des Glaubens langsam und kühl aufdämmert wie ein Dezembertag oder ob es die Augen überwältigt wie die majestätische Sonne eines Julimorgens — alle Konvertiten

DER KRYSTALL SEITE 2 / NUMMER 25 20. JUNI 1953 sind sich darüber einig, daß ihre Konversion das Ende eines Prozesses war, der ihr ganzes früheres Leben umfaßte. Wie dramatisch audi immer das Ereignis, das die Konversion ausgelöst hat, gewesen sein mag, in Wahrheit war es nur der Höhepunkt tausender anderer geheimer, aber ebenso dramatischer Gnadenakte und die Konvergenz all der bewußten und unbewußten Erinnerungen an sie. Sein ganzes Leben enthüllt sich dem Konvertiten als ein einzigartiges, überwältigendes Drama, das Drama seiner eigenen Rettung.

Wenn sich die Bekehrung im Rahmen glücklichen Erlebens vollzogen hat, wie es manchmal besonders bei jungen und unschuldigen Menschen vorkommt, dann erscheint dieses Glück rückblickend als ein wunderbar geheimnisvoller und herrlicher Akt der Gnade. Man könnte diese Gruppe die Palmsonntagskonvertiten nennen; sie singen ihr Hosianna vor dem sieghaften Einzug des Herrn. Die meisten Konvertiten sind jedoch Karfreitagskonvertiten; sie haben Sein Reich durch die Pforten des Schmerzes betreten. Nach ihrer Bekehrung betrachten sie ihre vergangenen Mißgeschicke und Betrübnisse, all die Not und Bedrängnis in einem gänzlich neuen Licht, sie sehen darin nicht mehr die boshaften Heimsuchungen eines blinden Schicksals. Der Schmerz ist dem Konvertiten nun ein auserwählter Herold. Bitterkeit und Empörung, die ungestüme Leidenschaft, womit er den dunklen Gast einst begrüßte, verbargen dessen gesegnetes Antlitz. Stolz, Empörung, Gier und Verzweiflung erzeugen stets diese Verfinsterung, die Verhüllung des übernatürlichen Gehaltes unseres Lebens.

Aber wenn das frühere Dasein ein großes Drama der Begegnungen seiner Seele mit dem göttlichen Hauptakteur war, so war es zugleich ein Mysterienspiel. Warum, so grübelt der Bekehrte, wurde gerade er unter den vielen Millionen ausgesucht? Und warum wählte der Herr gerade jenen Augenblick? „Woher kennst du mich? fragte Nathanael, und Jesus antwortete: „Da du unter dem Feigenbaum warst, ehe Philippus dich rief, habe Ich dich gesehen/ Bevor Philippus ihn rief, daß er kommen und den Meister sehen sollte, war er auserwählt worden. Was, so fragt sich Nathanael, habe ich unter dem Feigenbaum getan, gedacht oder gesagt, daß dieser Augenblick zum entscheidenden in Gottes Augen wurde? Dies jedoch bleibt ein Geheimnis, das der Konvertit diesseits des Himmels nicht lösen wird.

Unglücklicherweise kämpft auch der Gewandteste mit vielen Schwierigkeiten, wenn es sich darum handelt, wirksam über seine Bekehrung zu sprechen oder zu schreiben. Die größte Schwierigkeit ist heutzutage auf die Tatsache zurückzuführen, daß der gewöhnliche Nichtkatholik, erpicht darauf zu wissen, was einen dazu veranlaßt hat, den Schritt zu tun, nicht verstehen kann, was mit „Gnade“ gemeint ist. Jeder, der den wunderbar überwältigenden Akt der göttlichen Gnade — eine Bekehrung — erlebt hat, weiß, daß der Konvertit von der Gnade und nicht die Gnade vom Konvertiten entdeckt wird. Und der einzige Weg, auf dem diejenigen, die nicht wissen, was Gottes Gnade ist, zu ihr gelangen, ist eben — durch die göttliche Gnade.

Für das Gespräch des Konvertiten über seine Bekehrung gibt es nur eine Riditlinie: der Akzent muß von der übernatürlichen Ursache auf ihre natürlidien Wirkungen verschoben werden. Oftmals bleiben die zwingendsten Umstände, die die Bekehrung ausgelöst haben, im Unterbewußtsein. Der Bekehrte kennt die Gründe teilweise, aber er kennt sie nicht so, wie Gott sie kennt.

Ich möchte hier nur ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung erzählen, das zeigt, wie schwierig es ist, all das, was für die Konversion bedeutungsvoll gewesen zu sein scheint, zu enthüllen. Es handelt sich um ein Erlebnis, das ich mit etwa 16 oder 17 Jahren hatte. Ich weiß nicht mehr, wo es sich ereignet hat, nur daß es an einem Sommertag an einem amerikanischen Strand gewesen ist. Es will mir scheinen, daß es früher Morgen war und daß ich eine Weile allein im Sand gestanden sein muß, denn noch heute entsinne ich mich deutlich, daß dem Erlebnis ein Gefühl gänzlichen Alleinseins vorangegangen ist, nicht Verlassenheit, aber eine Art besonderer Einsamkeit. Ich erinnere mich, daß der Tag frisch, rein, ruhig und strahlend blau war und daß ich an der Küste stand, ohne meine Füße im Wasser zu haben. Und heute, wie damals, fällt es mir schwer, zu erklären, was geschah. Es ist das einfachste, zu sagen, daß plötzlich ETWAS WAR. Es schnitt durch meine ganze Seele hindurch, wie ein blinkendes Schwert einen Seidenschleier teilt. Und plötzlich wußte ich. Was, kann ich jetzt nicht mehr sagen. Ich erinnere mich, daß mir ein Was auch damals nicht bewußt war. Das heißt, ich wußte ja nicht mittels meiner natürlichen Fähigkeiten. Aber was immer es auch gewesen sein mag, eines wußte ich, daß es UNGEHEUER VIEL SINN ergab. Und es war endgültig. Und doch konnte dieses Wort nicht gebraucht werden, denn es besagte „Ende“, und diese Finalität hatte kein Ende. Dann strömte die Freude in mir über, oder besser: ich strömte über von Freude. Wie lange das Erlebnis dauerte, weiß ich nicht. Die Erinnerung daran beschäftigte mich mehrere Monate hindurch. Zuerst wunderte ich mich darüber, dann schwelgte ich darin. Schließlich begann sie mich zu quälen, und ich versuchte sie in irgendeine Kategorie früherer Erlebnisse einzureihen. Ich weiß, ich legte mir die Erklärung zurecht, daß an dem betreffenden Tag die Schönheit der Natur mit einer überraschenden Aufwallung intensivsten körperlichen Wohlbehagens im Einklang gewesen sein muß. Und allmählich vergaß ich das Erlebnis.

Meine Kindheit war außerordentlich un-glüddich und bitter gewesen. Und je älter ich geworden war, desto mehr hatte ich über diese Tatsache nachgegrübelt. Wahrhaftig, bis zu meiner Konversion war sie eine Quelle starker Melancholie und Bitterkeit. Eine Konversion befreit das Herz von einem großen Teil seiner Betrübnis. Ich dachte nachher selten an meine traurige Kindheit, nur stets in einem sonderbaren Augenblick — und zwar ganz am Beginn der Messe beim Staffelgebet. Da spricht der Priester die Worte: „Ich will hintreten zum Altare Gottes“, und zumeist antwortet darauf ein kleiner Ministrant mit einer schüchternen, dünnen Stimme: „Zu Gott, der mich erfreut von Jugend an.“ Eben dieser Satz hat stets ein gedämpftes Echo meiner eigenen bitteren Jugend hervorgerufen, und ich dachte: Warum hat Gott meine Jugend nicht erfreut? Warum war meiner Unschuld die Freude verwehrt? Eines Tages, etliche Monate nach meiner Konversion, blieb die Bitterkeit bei diesen Worten aus. Statt dessen strömte die Erinnerung an das erwähnte Erlebnis auf mich ein, und mein Herz wurde in den Abglanz dieser unerhörten Freude getaucht. Jetzt war es mir klar, daß diese seltsame Begebenheit, trotzdem ich sie scheinbar völlig vergessen hatte, eine bedeutende Rolle bei meiner Bekehrung gespielt hatte. Damals, vor langer Zeit, mitten in der Klarheit und Einfachheit des Ereignisses, und nun, in der weit schwächeren Erinnerung daran, wußte ich, daß jener Vorfall das realste Erlebnis meines ganzen Lebens war.

Aber wie hatte es eigentlich auf meine Konversion eingewirkt? Warum hatte ich es vergessen? Und warum hatte ich mich wieder daran erinnert? Das weiß Gott allein. Und was hat es für einen Sinn, es denen zu erzählen, die sich dafür interessieren, warum ich katholisch geworden bin?

Die Rolle eines katholischen Konvertiten, der als Apologet wirken möchte, ist keine glückliche. Er leidet unter einer dreifachen Torheit — unter seiner eigenen, weil er so lange dazu gebraucht hat, die Wahrheit zu finden, unter der Torheit seiner Freunde, die gleich widerspenstig sind, wie er es war, und unter jener Torheit, die sie seiner späten Erkenntnis beimessen.

Einem Konvertiten und Schriftsteller können viele seiner Freunde verzeihen, daß er ein Esel ist; es erscheint ihnen aber unverzeihlich, daß er es der ganzen Welt erzählt.

Vielleicht gleicht der Konvertit, der über seine Bekehrung schreibt, wirklich einem Esel: Baalams Esel. Und Baalam ist der Prototyp aller klugen und geistreichen Freunde, die wegen seiner Konversion auf ihm herumreiten.

Baalam war — wie Sie wissen — wegen seiner Weisheit hochberühmt, so berühmt, daß der König von Moab nach ihm sandte,als sein Thron von schwerer politischer Bedrängnis heimgesucht wurde. Aber Gott sprach zu Baalam: „Du darfst nicht mit ihnen gehen, du darfst dieses Volk nicht verfluchen, denn es ist gesegnet.“ Aber Baalam, der durch höchst zwingende Argumente (in Form von Geld und Gunsterweisen) von Moab bestimmt war, wollte nicht hören. So sattelte Baalam seinen Esel und zog aus zum König von Moab. Und Gott sandte einen Engel, der sich ihm mit gezücktem Schwert in den Weg stellte. Und Baalam, der zwar ein Mann von hohen Geistesgaben, sicher ein Philosoph und zweifellos mit den solidesten wissenschaftlichen und philosophischen Ideen seiner Zeit vertraut war, sah den Engel des Herrn nicht. Doch der kleine Esel sah ihn. Und der Esel wandte sich zur Seite und bog in ein Feld ein, obwohl Baalam ihn schlug und er unter ihm zusammenbrach. Und Baalam schlug ihn mit dem Stock, und hätte er ein Schwert gehabt, hätte er ihn wohl getötet. Und Gott öffnete dem kleinen Esel den Mund, und so sprach der Esel zu Baalam dem Weisen, zu Baalam dem Zornigen: „Was habe ich dir getan, daß du mich schlägst? Bin ich nicht dein Esel, auf dem du geritten bist? Habe ich jemals so an dir getan?“

Ist der Konvertit Baalams Esel? Es kann sein. Aber warum sollten die weltweisen Freunde, deren Rezepte und Allheilmittel, Kredos und Philosophien auch die Bekehrten früher beharrlich vertreten haben, die Gewandelten so schmerzlich schlagen, weil diese nicht auf dem bisherigen Weg fortschreiten wollen, weil sie es nicht wagen?

Aber die Weisen sollten auch das Ende dieser außergewöhnlichen Geschichte im Auge behalten: Schließlich war es das Gesicht des stummen kleinen Esels, das letztlich Baalam rettete, denn der Engel sagte zu Baalam, als dessen Augen sehend geworden waren: „Hätte er sich nicht abgewandt, so hätte ich dich wohl erschlagen...“

„The Road to Damascus“, Editor: John A. O'Brien, W. H. Allen, London. Uebersetzt von Dt. Inge Lehne

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung