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Die junge deutsche Autorin Melanie Arns überzeugt mit ihrem zweiten Roman.

Das zweite Buch sei das schwierigste, behaupten einige Autoren - besonders, wenn das erste ein Erfolg war. Dann wird das zweite unweigerlich damit verglichen, und die Enttäuschung liegt nahe: weil das zweite zu ähnlich - oder weil es ganz anders ist. Aber es kann noch schlimmer kommen: Wenn das zweite nicht einmal wahrgenommen wird. So ist es Melanie Arns ergangen: Ihr Debüt Heul doch! erregte 2004 Aufmerksamkeit, doch zwei Jahre danach wurde Traumpaar, nackt kaum beachtet. Womit sich nun diese verspätete Rezension rechtfertigen kann.

Ja, eine Ähnlichkeit haben die beiden Romane: Wieder wird von einer Tochter aus schlechtbürgerlichem Haus erzählt, wo der Vater säuft und die Tochter missbraucht, während die Mutter die Fassadenfamilie aufrechterhält und beide - meist "Kati-Erzeuger" genannt - die Tochter mehr reglementieren als verstehen wollen. Und wieder droht Weihnachten und ist die Großmutter am Sterben. Aber in ihrem zweiten Roman erzählt Melanie Arns nicht mehr aus der Ich-Perspektive und vermeidet damit das Spiel mit autobiografischem Material und Versatzstücken, das an ihrem Erstling irritierte.

Und die Sprache, die schon dort beeindruckte, wird jetzt noch konsequenter gehandhabt: Authentischer Jugend-Jargon und internalisierte Werbesprüche sind in hitzigem Tempo aufgekocht, Innen- und Außenperspektive überblendet, und die Szenen blitzen in assonanzreichen Satzfragmenten auf, dass man glauben könnte, einen Rap zu hören. Unbefangen geht Melanie Arns mit dieser Sprache an ein Thema, das die größten Klischee- und Trivialitätsfallen bereithält. "Es spielt sich etwas ab unter Davids Bettdecke" - so beginnt eine Masturbationsszene und, das sei verraten: Unter Katis Bettdecke spielt sich noch mehr ab. Texte, in denen Frauen masturbieren, sind immer noch selten.

Das Traumpaar ist, wie der Titel sagt, nackt, aber beim Geschlechtsverkehr sind Kati und David nur einmal zu sehen, denn danach sagt Kati: "Du musst jetzt gehen, das mit uns, daraus wird nichts." Dabei hat sie mit allen Fasern ihres Körpers auf David gewartet, doch seine verständnisvolle Nähe und seine Beziehungs-Romantik hält sie aufgrund ihrer Vergangenheit nicht aus. Ja, da greift die Autorin tief in den Rührkübel der Vulgärpsychologie, und die beiden Männer - der andere wird nur als "das Schwein" vorgestellt - sind auch nicht klischeefrei dargestellt. Aber im Handumdrehen werden die Geschlechter-Klischees ironisiert.

"Das Schwein" wird Kati übrigens von ihrer Mitbewohnerin ausgespannt, David landet nach der Abweisung bei ihrer besten Freundin Vanessa. Die Haupthandlung ist schnell erzählt, aber damit ist über den Lesegenuss noch kein Wort gesagt. Der ergibt sich vor allem dort, wo die Handlung wie ein Film abgespult wird und die Personen ihre Regieanweisungen bekommen; und wo die gängigen Vorstellungen von Glück und Schönheit aufs Korn genommen werden. Schon der Titel zielt nicht so sehr auf die Nacktszenen als darauf, dass die Phantasien vom Traumpaar ziemlich nackt dastehen.

Keine Frage: Das Erzählverfahren von Melanie Arns ist kaum für die "Langstrecke" tauglich; das weiß sie und bricht ab, bevor es sich totläuft. Und in Zeiten, wo die 800-Seiten-Romane wieder so richtig in Mode gekommen sind, ist der beeindruckende Beweis, dass man auch auf 106 Seiten einen Roman erzählen kann, richtig erfrischend. Ohne Zweifel muss sich Melanie Arns aber für das dritte Buch neuen Stoff zuführen. Doch bis das erscheint, sei gesagt: Man sollte das zweite nicht überlesen. Es ist ein großartiges Sprach-Feuerwerk, das soziale und sexuelle Muster sowie gängige Körperbilder kräftig durcheinanderwirbelt.

TRAUMPAAR, NACKT

Roman. Von Melanie Arns.

Jung und Jung Verlag, Salzburg 2006, 106 Seiten, geb., € 15,50

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