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Unter der Flagge Rot Weiß - Rot

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AUGUST 1959. Auf einer staubigen Straße in Dalmatien hat ein Pkw. mit österreichischem Kennzeichen Panne. Die beiden Insassen, sonnenhungrige Urlauber, sind verzweifelt. Weit und breit keine Menschenseele. Doch da naht ein Wunder in Gestalt eines alten Mannes. Die Zeichensprache bleibt unbenutzt, denn der Mann sagt: „Können deutsch mit mir reden!“ Ein herbeigeholter Mechaniker repariert den Wagen. Dann kommt die schon lange in der Luft liegende Frage, woher er Deutsch könne. Da lacht der Alte und sagt: „War Signalgast auf SMS .Radetzky1 “, greift in die Tasche, zieht

ein vergilbtes Photo heraus. Darauf ist ein junger Bursch in Marineuniform zu sehen. Auf dem Bildrand steht in matter Schrift „Pola 1909“. Die beiden sitzen schon im Wagen, da spricht der Mann noch durch das Fenster: „Wir haben sie gerne gehabt, die Herren Offiziere mit dem großen Herzen.“

Auf solchen Umwegen erfährt die Jugend von der k. u. k. Kriegsmarine, deren Flagge bis 1918 auf den Meeren wehte. Diese Marine hat kriegerischen Lorbeer errungen, aber auch im Dienste der Wissenschaft Großartiges geleistet. Den Heutigen erinnert wenig daran. Drei Dinge eigentlich: das Denkmal Tegetthoffs auf dem Praterstern, der Marinesaal im Heeresmuseum und das nur den Bücherwürmern bekannte Marineafchiv in der Stiftgasse. Vielleicht wurde einmal in der Schule beim Geschichtsunterricht die Seeschlacht bei Lissa gestreift, in der der junge Tegetthoff dem alten Persano gegenüberstand, bei deren Eröffnung sich die feindlichen Kapitäne auf den offenen Brücken, auf 30 Fuß Distanz, mit feierlichem Salut begrüßten, bevor die Kanonen zu sprechen begannen. Waren doch viele von ihnen einst Schulkameraden im Marinekollegium in Venedig gewesen und hatten sie doch dieselben venezianischen Canzone an Bord gesungen.

Die Erinnerung an die kaiserlich- königliche Seemacht verweht. Wem sagen die Namen Trapp. Lerch, Haus und Singule noch etwas? Und doch leben noch manche Seebären unter uns, die auf SMS-Schiffen die Wogen pflügten. Da lebt in Triest, bald hundert Jahre alt, der Konteradmiral Alexander von Berthold, der letzte seines Ranges, ln Graz wohnt noch, 97 Jahre alt, Linienschiffskapitän Josef Debellich, den zum Geburtstag seine „Buben“ gratulieren. Die Buben sind selbst 75 Lenze alt. Aber selbst in Wien leben noch hochverdiente Seeoffiziere, deren Namen einst Begriffe waren.

DIE FIRMA HENRY & CO. am Schottenfeld ist ein Spezialunternehmen für Elektroakustik. Ein mittlerer Betrieb. Die dort erzeugten Mikrophone, Lautsprecher und Kinoanlagen genießen erstklassigen Ruf, werden exportiert. Der Firmenchef sitzt als erster frühmorgens am Schreibtisch: Korvettenkapitän Oswald v. Heinrich. Die Marine prägt den Menschen merklich Wer um die Welt gereist ist, ein halbes Dutzend Idiome spricht, sieht weit und weiß viel. Wollte ein

Maler die allegorische Entsprechung für den Begriff Vitalität und Disziplin finden, er müßte nur die Züge Heinrichs auf die Leinwand werfen. Der 75jährige, vitale Herr hat ein abenteuerreiches Leben hinter sich. „Ich könnte Bücher schreiben“, meint er. Er spricht knapp, präzise, sachlich. Auf Kriegsschiffen war man wortkarg.

1886 kommt er in der ungarischen Tiefebene, in Temesvar, zur Welt. Der Vater ist Husarenoffizier. Als einmal ein Onkel, Admiral v. Jedina, zu Besuch kommt, ist der Lebensweg festgelegt. Die Ausbildung absolviert er mit hervorragenden Qualifikationen.

An der Marineakademie in Fiume wurde ununterbrochen gedrillt, geübt, gesiebt. Wer versagte, flog. Der künftige Seeoffizier, ob Prinz oder Bürgerssohn, hatte die gleichen Chancen. Als Beurteiler tauchen Namen auf, wie sie nur in Altösterreich möglich waren: Conte de Zamagna, Verzegnassy, Rat- kovic, Vukovic de Podkapelski. Der Mehrsprachige wird 1910 nach Ostasien abkommandiert. Das war die heißbegehrteste Dienstbestimmung in der k. u. k. Marine. Seit dem Boxeraufstand stellte Österreich-Ungarn ein Detachement in Peking, vor Tientsin liegt ein Kreuzer. Hier erlebt der junge Offizier das Abenddämmern des alten China, denn die Revolution von 1911 liegt keimhaft schon in der Luft. Er gehört zum letzten Team, das bei Hofe empfangen wird. Nach der Heimkehr folgt der Dienst auf dem Zerstörer „Uskoke“. mit ihm erlebt er die Feuertaufe in den Bocche di Cattaro. 1916 bekommt Heinrich, der Torpedist ist, das Kommando des Torpedobootes „66“ Kapitän Frohot, ein französischer Marineur, der mit unseren Torpedobooten im Kampf stand, stellt ihnen ein gutes Zeugnis aus: „Sie sind bewunderungswürdig geführt.“ Bei einer Kreuzfahrt in den Gewässern von Lissa gelingt ihm eine kühne Waffentat. In einer mondhellen Nacht stößt er auf das italienische U-Boot „Balilla“. Die Chancen stehen genau 50:50. Nach hartem Gefecht wird das Boot versenkt. Heinrich erringt sich damit die „Eiserne Krone".

Nach 1918 kommen dem Seemann die physikalischen, mathematischen und technischen Kenntnisse bei der Firmengründung zugute. Im zweiten Weltkrieg wird er aber, trotz seines Alters, erneut von der deutschen Kriegsmarine eingezogen. Er dient an verschiedenen Marinestützpunkten in Brest und Triest, schließlich in Mazedonien. Da tritt seltsamerweise Lissa noch einmal in sein Leben. Das deutsche Gruppenkommando Südost plant die Eroberung der von den Angloamerikanern besetzten Insel. Der die Adria wie seine Westentasche Kennende hat durch Zufall Einblick in den Operationsplan. Ein glattes Himmelfahrtskommando. ln einer Nacht entwirft er in größter Eile ein Elaborat, das Punkt für Punkt die Aussichtslosigkeit dieses Unternehmens aufführt. Der Admiral atmet auf, weil auch er Bedenken hatte. Tatsächlich wird der Angriff abgeblasen. 12.000 Mann blieben am Leben. Seit 1954 ist Korvettenkapitän v. Oswald Präsident des Marineverbandes. In ihm sind

heute noch die letzten 600 Seeleute vereint. Die in den Nachfolgestaaten wohnen, sind allerdings nur brieflich erreichbar. 600 Marineure, die immer weniger werden .. .

LINIENSCHIFFSLEUTNANT HERMANN VON RIGELE, mit Banfield der einzige noch lebende Theresien- ritter der Marine, genießt in Wien den wohlverdienten Lebensabend. 1956 ging er als Direktor der Unilever AG. in Pension. Unser U-Boot-As war in tausend Sätteln, in allen Ländern, allen Meeren daheim. Verfilmte man seine Salzwasserstory, würden die Zuschauer glauben, das sei erfunden. Nicht einmal eine mit Rum frottierte Galeonsfigur könnte dieses Leben erdichten. Geboren 1891 in Sarajewo. Vater: Major im Geniestab. Rigele besucht die Militärunterrealschule in Fischau, wird 1909 aus der Marineakademie Fiume ausgemustert. In der „Qua-Liste“ heißt es etwa: „Sportsmann, beliebter Kamerad, männlich, vorzüglich geeignet.“ 1910 reist der Seekadett mit dem Panzerkreuzer „Kaiser Karl VI.“ nach Südamerika. 1912 ist er Fregattenleutnant, seit 1915 U-Boot- Offizier. Aber was waren das für Kästen: schwimmende, tauchende

Särge. In Heinrich v. Bayers „Unter der k. u. k. Kriegsflagge“ heißt es lakonisch: „Eine große Gefahr bildeten auch die Gasolindämpfe der Motoren, die durch die undichten Stellen in das Bootsinnere gelangten und schwere Ohnmachtsanfälle unter der Bemannung hervorriefen." Vier Jahre steht er am Feind. Am Morgen des 7. Oktober 1918 greift eine Armada von 32 feindlichen Einheiten und ein Geschwader Flieger Hafen und Stadt Durazzo an. Trotz schärfster Abwehr schien die Vernichtung der dort befindlichen Schiffe bevorzustehen. Da greift Rigele mit „U 31“ entscheidend ein. Amerikanische U-Boot-Jäger bombardieren das Boot, aber Rigele gelingt es dennoch, den englischen Kreuzer „Weymouth“ zu torpedieren, worauf die Armada seewärts abdreht. Für diese brillante Waffentat erwarb sich Rigele den Militär-Maria-The- resien-Orden.

Vier Wochen später ist alles aus. Er fährt nun einen Schoner in der Ost- und Nordsee, 1922 bis 1924 ist er Schiffsmakler in Hamburg, macht im gleichen Jahr auf einem amerikanischen Handelsdampfer Dienst. Nach mehrmonatiger Ozeannavigation steigt er in New York auf ein Hafenboot, werkt dann drei Jahre als Mechaniker, Schlosser und Zimmermann. Wegen illegaler Einwanderung wird er 1928 ausgewiesen. Als Matrose auf einem deutschen Schiff heuert er sich über den großen Teich, bekommt dann in Hamburg einen Posten beim Schicht- Konzern, ist rasch Abteilungsleiter. 1930 arbeitet er im gleichen Wirkungskreis in Berlin. 1933 bis 1940 leitet er die Schicht-Lever AG. in Warschau. Nun glaubt er. eine gesicherte Existenz zu haben. Da iiber-

fällt Hitler Polen. Die ganze Habe verbrennt. Obwohl schon 50 Jahre alt, wird er zur Marine einberufen. Mit einem alten U-Boot (Baujahr 1914) schickt man ihn in den Atlantik. Dazwischen liegen andere seemännische Aufgaben. Das Kriegsende sieht ihn als Hafenkommandant in Triest. Schwerkrank kommt er aus der Gefangenschaft und steht wieder vis-à- vis de rien. In Altaussee verdingt er sich als Hausknecht. Aber noch 1946 beruft ihn die Unilever AG. nach Wien. Rigele akzeptiert und führt zehn Jahre lang mit Weitblick und Erfahrung dieses große Unternehmen. Nach Erreichung der Altersgrenze "Wird er 1956, hoch geehrt, in den Rühestand versetzt.

AUF DEM GRABEN UND AUF DEM KOHLMARKT kann man zufällig einen ungewöhnlich hochgewachsenen, älteren Herrn begegnen. Seine Kleidung verrät den Ausländer. Aber auf seinem argentinischen Paß steht: Wilhelm von Winterhaider.

Einem Winterhaider verdanken wir die Gemälde von der Kaiserin Elisabeth. Theodor v. Winterhaider, Admiral und Teilnehmer an der Niederwerfung des Boxeraufstandes, der übrigens ein Buch darüber geschrieben hat, ist der Vater des „Argentiniers“. Wilhelm von Winterhaider ist der lebendige Beweis dafür, daß Zeugnisse nur relativen Wert haben. In den meisten seemännischen Fächern erhielt er die Note „Genügend“, hat sich aber, als seine Stunde kam, aufs höchste bewährt.

Nach der Ausmusterung, 1916, kam der Seekadett auf das Schlachtschiff „Franz Ferdinand“ und dann auf den Kreuzer „Helgoland“. Dieser nimmt

am 15. Mai 1917 am größten Seegefecht Österreich-Ungarns, dem Kreuzerkampf in der Otranto-Straße, teil. Die österreichischen Einheiten („No- vara“, „Saida“, „Helgoland“, „Csepel“ und „Balaton“) werden von überlegenen italienisch-englisch-französischen Streitkräften angegriffen, „Helgoland" schwer eingedeckt. Muniton gerät in Brand. Die Feuersäule steigt zehn Meter in den Himmel. Seekadett von Winterhaider, obwohl schwer verwundet, wirft, die Gefahr nicht achtend, die heißen Granaten über Bord, jeden Augenblick gewärtig, mit dem Schiff in die Luft zu fliegen. Diese Tat bringt dem 19jährigen die Goldene Tajsfef- keifsmedäitle ein. Seit 1921 lebt Winterhaider in Buenos Aires, ist Generalvertreter des Thyssen-Konzerns, eine stadtbekannte Persönlichkeit. Vielen Marinekameraden, die nach 1918 oder aus den Nachfolgestaaten, dann 1945 nach Südamerika auswanderten, hat er bei der Existenzgründung geholfen. Kommt er besuchsweise nach Wien, hilft er stets in nobelster und diskreter Weise immer wieder jenen, die in Not geraten sind.

DIE K. U. K. KRIEGSMARINE WIRD, wenn der letzte Seeoffizier gestorben ist, endgültig der Vergangenheit angehören. Niemand wird mehr von ihr erzählen und niemand wird mehr die deutsch-ungarisch-italienischkroatische Lingua di Bordo sprechen, die bis 1918 unter der Flagge Rot- Weiß-Rot das Verständigungsmittel war. Aber mit solchen Männern wie diesen, die mit blankem Wappenschild und unbefleckter Ehre gedient haben, hat sich Österreich-Ungarn ein Denkmal gesetzt, dauerhafter als Erz

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