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Unter schwarzen Fahnen

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Nationalbolschewismus? Nicht wenige österreichische Leser werden den Kopf schütteln. Das Wort sagt hierzulande wenig. Die blutroten Plakate, auf denen um 1949 eine „Nationale Liga“ unter den „Ehemaligen“ in Österreich für einen Brückenschlag zwischen deutschem Nationalismus und russischem Kommunismus warb, waren nicht mehr als eine Episode am Rande der österreichischen Innenpolitik und ein geschichtliches Nachhutgefecht obendrein.

In Deutschland aber, vornehmlich in seinen preußischen Gebieten, war zwischen 1918 und 1933 unter deutschen Nationalisten die „Ostlösung“, das Hinwenden zu einer Arbeitsund Kampfgemeinschaft mit dem bolschewistischen Rußland eine Möglichkeit deutscher Politik, die den einen als Versuchung, den anderen als Chance erschien. Nationalisten und Kommunisten gemeinsam war die Verachtung des „faulen Westens“, der in Frankreich und in dem mit diesem identifizierten Frieden von Versailles die Zielscheibe seiner Angriffe fand. Sollten nicht die „Habenichtse“ Europas, die „proletarischen“ Völker Deutschlands und Rußlands, den „Plutokratien“ im Westen gemeinsam die Faust zeigen? Eine auf dem Asphalt der großen Städte geborene dynamische Sozialrevolutionäre Gesinnung verband sich mit Träumereien an den Kaminen preußischer Schlösser und an den Lagerfeuern mancher Gruppen der Jugendbewegung. Tauroggen war die Parole.

Man sage heute nicht, daß nur Außenseiter, Narren oder gar politisch Kriminelle solche Gedanken in jenen Jahren zu den ihren machten. Der Verfasser weiß eine stattliche Galerie von „Nationalbolsche-wisten“ zu versammeln, deren Uberlebenden heute nicht immer die Erinnerung an ihre bewegte Jugend angenehm ist. Der Bogen spannt sich von Graf Brockdorff-Rantzau, General von Seeckt, Möller van den Bruck, die Gebrüder Jünger, Ernst von Salomon, über Ernst Niekisch! „Widerstand“ und Hans Zehrers „Tat“ hinüber zu den „linken“ Gruppen in,der NSDAP (Ernst Strasser nach seinem Bruch mit der Hitler-Bewegung: „Die Sozialisten verlassen die NSDAP.“). Die schwarzen Fahnen der rebellischen Landvolkbewegung wurden zum Symbol für diese „Linken Leute von rechts“, denen schon Otto Ernst Schüddekopf 1956 eine Untersuchung gewidmet hat.

Karl O. Paetel, den Lesern der „Furche“ als Mitarbeiter aus New York seit Jahren vertraut, bringt zu seinem vorliegenden Buch Voraussetzungen mit, die für jeden Histo-riographen zum Segen oder Fluch werden können. Er war seinerzeit selbst „mit von der Partie“. Aus der Jugendbewegung hervorgegangen, zählte er zu jenen, die in halb konspirativen Zirkeln oder um zahlreiche kurzlebige Zeitschriften geschart, in der „Sozialistischen Nation“ das Ziel ihrer Wünsche sahen. Um es gleich zu sagen: Paetel entledigt sich seiner Aufgabe mit Anstand und Geschick. Mag bei der Bewertung dieser oder jener Persönlichkeit das Plus oder Minus noch von alter persönlicher Zu- oder Abneigung beeinflußt sein, so wird, was das Gesamtphänomen des „Nationalbolschewismus“ betrifft, doch das vorliegende Buch nicht zur Recht-fertigungsschrift, sondern hat den Charakter einer gewissenhaften Inventur. Der Ton ist trotz allem inneren Engagement leidenschaftslos, das Urteil abgewogen. Vor allem konnte wohl nur ein Mann, der seinerzeit selbst engagiert war, zum Chronisten eines so komplexen Phänomens wie des deutschen Nationalbolschewismus werden. Allein der Versuch, die höchst eigenwilligen und miteinander alles andere als in Harmonie lebenden Individualitäten, in denen sich diese Geistesrichtung repräsentierte, chronologisch und nach Hauptströmungen zu ordnen, um sie einer aus ganz anderen Voraussetzungen lebenden Nachwelt nahezubringen, war eine nicht geringe Leistung.

Und der Nationalbolschewismus selbst! Was war er nun: Versuchung oder Chance? Der Verfasser läßt die Antwort offen, wenn er auch die These wagt, daß, wenn Reichskanzler Schleicher wirklich aufs Ganze zu gehen entschlossen gewesen wäre, die ansonsten eher literarische Bewegung des Nationalbolschewismus eine zersetzende Wirkung auf die wegen ihrer „faschistischen Verfälschung“ national-revolutionärer Gedanken scharf befehdeten NSDAP ausgeübt und den Machtantritt Hitlers verhindern hätte können.

Was aber wäre gewesen, wenn die Nationalbolschewisten selbst zum Zug gekommen wären? Diese Frage braucht Paetel nicht zu beantworten. Er sollte dem Geschick dafür dankbar sein. Es ist offen, ob er selbst und seine Gesinnungsfreunde heute mit reinen, von Blut freien Händen vor uns stünden. Die deutschen Nationalbolschewisten waren nämlich auch alles andere als umgängliche Menschenfreunde. Im Gegenteil. Selbst wenn man das vor allem der heutigen Jugend völlig unverständliche und auch für fortgeschrittene Jahrgänge nicht immer verdauliche Pathos abzieht, so atmen ihre Manifeste und Kampfschriften — auch der frühe Jünger ist mit einer charakteristischen Leseprobe vertreten — einen bis ins Pathologische gesteigerten Haß gegen alles „Westliche“, worunter man die Demokratie, den Humanismus und das Christentum in gleicher Weise verstand. Ein überschäumender deutscher Nationalismus kam hinzu, der dadurch nicht sympathischer erscheint, wenn er die Verbrüderung von Germanen und Slawen für den von der Hitler-Bewegung später praktizierten Kult einer neuen Barbarei gegenüber „Rom“ und den sehr richtig als aus dem Christentum hervorgegangen bezeichneten Ideen von 1789 fordert. Es klingt heute beinahe wie ein Treppenwitz, wenn zu der NSDAP, zu der es ebenso wie zur KPD nicht wenige personelle Querverbindungen gab, unter anderem ihre „gegenreformatorische“ Haltung angelastet wird.

Muß man, soll man, darf man über diese wirre Jugend einer wirren Zeit den Stab brechen? Vor Pauschalurteilen sei gewarnt. Der Klarheit zuliebe und zur Verhinderung neuer Irrtümer aber wird es sich als notwendig erweisen, die schwarzen Fahnen des Nationalbolschewismus dem Museum der Geschichte zuzuweisen. Karl O. Paetel tut dies eindeutig, wenn er schreibt: „Politik gehört in Zeit und Raum. Deutsche Politik heute steht vor anderen Problemen als die staatsentfremdete junge Generation jener Jahre vor sich hatten. Es gibt in Deutschland heute keine Sozialrevolutionäre Situation. Die Idee des Sozialismus hat sich gewandelt. Der Begriff der Nation hat an Bindungskraft verloren, der Ausgang des Zweiten Weltkriegs hat den Großteil Restdeutschlands eindeutig dem Westen zugeordnet. Eine Ostwendung ist illusorisch geworden: Man hätte keine Chance mehr, Partner zu sein, allenfalls Satellit. Das haben damals die Nationalrevolutionäre nicht gewollt, das können freiheitlich gesinnte Deutsche heute nicht wollen.“

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