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Unterhaltungsromane

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DAS ZWEITE OKTOBER WUNDER. Roman von R. F. Delderfleld. P.-Zsolnay-Verlag, Hamburg-Wien. Ö10 Seiten. Preis 22 DM. — DAS LETZTE GESICHT. Roman von Hellmuth Berger. Hans-Deutsch-Verlag, Wien-Stuttgart-Basel. 320 Seiten. Preis 96 S. — DIE FRAU DES GEFANGENEN. Erzählung Ton Elisabeth Hering. Union-Verlag, Berlin, 214 Seiten. Preis 4.20 DM/Ost.

Unterhaltungsromane pflegen mehr Gewicht auf Spannung als auf literarisches Niveau zu legen. Aber sie müssen durchaus nicht mit billigen und groben Mitteln arbeiten, um den Leser in ihren Bann zu ziehen. Ein Beispiel dafür ist Delder-field, dessen Bücher in der großen englischen Erzähltradition stehen, für die zunächst Beherrschung des literarischen Handwerks unerläßliche Voraussetzung ist. Ein weiteres Charakteristikum des Autors: er gibt sich völlig unbefangen, wie er selbst einmal sagt, als „reueloser Romantiker", der Träume, Hoffnungen und Sehnsüchte als ebenso wirklich und wichtig ansieht wie reale Geschehnisse. Und er liebt den Menschen und das Schöne und Große in unserer Welt. Das heißt nun freilich nicht, daß er einem naiven Optimismus huldigt und die oft so dunkle Wirklichkeit übersieht; daß er Schwierigkeiten, die für niemanden ausbleiben, verharmlost.

In der hier erzählten Geschichte zweier Halbwüchsiger, die aus sehr verschiedenem sozialem Milieu kommen, erweisen sich schließlich nicht die Standesunterschiede als unüberwindliches Hindernis eines gemeinsamen Lebens, sondern die Unvereinbarkeit der Charaktere. Die Treue, Zuverlässigkeit und Geradheit des jungen Jan verzaubert Diana in den Augenblicken ihrer Begegnung, aber ihre schillernde Vielgleisigkeit und Zwiespältigkeit steht jeder unbedingten Bindung entgegen. Und doch nehmen diese beiden jungen Menschen, deren Entwicklung Delderfield so überzeugend und mitreißend schildert, etwas Unverlierbares voneinander mit in ihr getrenntes Leben. Was sie sind und werden, sind sie durch die gemeinsame Spanne ihrer Entwicklungsjahre, und es gibt eine gültige überpersönliche Fortsetzung ihrer Geschichte, die allen vorangegangenen Irrungen und Wirrungen tiefen Sinn verleiht.

Auch die vielen anderen Figuren des Buches stehen ganz lebendig da. Ebenso wie die köstliche Landschaft von Devon, diese Wälder, Hügel, Weiden und Felder zwischen Meer

und Moor — „Sanherib, heimliches Arkadien, Avalon, Wunschwunderinsel" der jungen Liebenden — Kulisse und tragendes Fundament ihrer gemeinsamen Jugenderlebnisse.

Ein schönes Buch, das auch bei uns viele Menschen erfreuen und bewegen wird.

Hellmuth Bergers neuen Roman „Das letzte Gesicht" wollte die Rezensentin zunächst mit Stillschweigen übergehen. Dann aber begann sie sich zu ärgern. Da blühen gleich zu Beginn die Tulpen „im späten Nachsommer". Sie lesen richtig, und es ist auch kein Versehen, denn die Tulpen blühen in eben jener Jahreszeit noch viele Male bei Herrn Berger. Oder der Arzt Dr. Hardt, ein alter Freund des Helden Gottwald, provoziert seinen Patienten, nachdem er gerade eine „akute Herzmuskelentartung" bei ihm festgestellt hat, die in wenigen Tagen zum Tod führen muß, zu einem sich über Seiten hinziehenden Bekenntnis, seine gescheiterte Ehe betreffend, mit der der Dr. Hardt selbst einiges zu tun hat. Von dem Mädchen Jolanda heißt es auf Seite 152, daß sie zum erstenmal seit dem Tod ihrer Mutter, der viele Jahre zurückliegt, weinte. („Bei seinen Worten war ein wildes Zucken durch ihren Körper gegangen, wie von einem Schmerz, der über alle Maßen war und sie zerriß. Sie hatte geweint ... zum erstenmal seit dem Tode ihrer Mutter...") Herr Berger hat anscheinend vergessen, daß er sie schon auf Seite 139 weinen ließ! Das Buch strotzt von solchen Unge-nauigkeiten und Widersprüchen. Daraus spricht eine Mißachtung des Lesers, die auch in Kolportageromanen verstimmt.

Nicht eigentlich in den Bereich der Unterhaltungsliteratur gehört Elisabeth Herings Erzählung „Die Frau des Gefangenen". Die Autorin nimmt den Prozeß und die Haft des Rechtsphilosophen Hugo Grotius zum Anlaß, sich mit aktuellen Zeitproblemen auseinanderzusetzen. Gewalt kontra Recht; die Liebesforderung des Evangeliums gegenübergestellt den Gesetzen und Methoden der

irdischen Macht; die Möglichkeit der inneren Freiheit auch des Gefangenen — das ist das eigentliche Thema des Buches. In den konfessionellen Streitigkeiten des Dreißigjährigen Krieges wird Grotius als Mahner und Prophet gezeichnet: „Ehe nicht in der Kirche Christi Einigkeit einzieht und Friede herrscht, wie kann man von den Mächtigen dieser Welt verlangen, daß sie in Eintracht miteinander leben?" sagt er einmal.

Die äußere Handlung — das eintönige Leben der Familie Grotius in der Feste Loevestein; der Kampf der Gattin zunächst um die Freiheit ihres Mannes und später um Hafterleichterungen, der Zusammenprall eines ungestümen, geraden Charakters mit den skrupellosen Macht-habern — das alles bleibt ein wenig blaß, ist Rahmen für die innere Problematik, mit der sich die Autorin redlich herumschlägt.

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