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Unvermeidlicher „High Noon der Weltgeschichte“?

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Klais Firlei, Professor für Arbkits- und so/.ialrecht an der universität salzburg INI) sozialdemokratischer LaNDTAGSABGE- ordnf:ter: Huntingtons Ausgangsthese ist unwissenschaftlich und gefährlich. Es gibt keine naturhaft vorgegebenen, sich schließlich mit unerbittlicher Konsequenz entladenden Konfliktpotentiale zwischen den „Kulturkreisen“.

Ganz im Gegenteil: Die großen Weltkulturen sind ein Hoffnungspotential. Bei allen Unterschieden einigt sie die Suche nach Antworten auf die wesentlichen Fragen von Leben, Gesellschaft und Kosmos. Ihre Antworten entsprechen einem ganzheitlichen, nicht eindimensionalen Menschenbild. Das wirkt grundsätzlich konfliktmindernd. Die wirklichen Konflikte, deren Eskalation in den kommenden Jahrzehnten leider zu befürchten ist, liegen ganz woanders. Es handelt sich um soziale Konflikte, Umweltkonflikte, Verteilungskonflikte (um Rohstoffe, Wasser, Kapital), Migrationskonflikte, Handelskriege.

Nicht die kulturellen Unterschiede . sind das wahre Problem der Weltbevölkerung, sondern nationale wie internationale politische Strukturen und „Eliten“, die nicht dazu in der Lage sind, die bestehenden und die sich abzeichnenden schwerwiegenden Verletzungen menschlicher Bedürfnisse zu verhindern, geschweige denn, die unermeßlichen Reichtümer der Welt zu bewahren und zu entwickeln.

Die objektive, reale Konfliktlinie verläuft zwischen zwei großen politischen Konzeptionen. Die eine nimmt die Lebensinteressen der Menschen ernst. Die andere dient der Aufrechterhaltung eines Systems der Bereicherung und der Machterhaltung.

Derzeit scheint es aber, daß dieser Hauptkonflikt der Gegenwart nicht in Form einer Bewegung für eine friedliche Umwandlung des globalen politischökonomischen Systems aufbricht. Und hier lauert nun die Möglichkeit einer Bestätigung der Prognosen von Huntington. Wenn die Kräfte der Konservierung der Macht- und Gier-Gesellschaft obsiegen und daher die wirklichen Konflikte ungelöst bleiben, dann werden die aus der Geschichte bekannten Versuche von Machthabern, die kulturellreligiösen Gefühle und Identitätsbedürfnisse der Menschen für ihre eigennützigen Zwecke zu mißbrauchen, auf einen fruchtbaren Boden fallen.

Es gelingt dann den herrschenden Eliten und Oligarchien, an Hand von kultureller oder religiöser Fremdheit Feindbilder aufzubauen und in das Elend, die Demütigung, die Unterdrückung und die Überfremdung eine kulturell-ethnischreligiöse Deutung einzubrennen.

Auch die Unterstützung der Massen für den entbehrungsreichen Aufstieg zu neuen kapitalistischen Zentren kann über kulturelle Abgrenzungen und Feindbilder gewonnen werden. Im schlimmsten Fall werden die Völker unter diesem falschen Banner (gegeneinander) in Wirtschaftskriege, Terror und letztlich auch in blutige Schlachten gefuhrt. Die abstoßenden Platitüden des westlichen Medienimperialismus tragen zur Radikalisierung kultureller Fundamentalisten ebenfalls bei.

Ist der Weg einer kulturell-zivilisati-onsbezogenen Deutung der wirklichen Probleme der Menschen einmal beschritten, dann gerät die Entwicklung sehr schnell außer Kontrolle. Die durch ihre Umpolung ins Kulturell-Zivilisatorische mit Würde und Heiligkeit versehenen Konflikte neigen in besonderer Weise zu

Irrationalität, gegenseitiger Aufschauke-lung und zu einer archetypisch angeheizten Hervorbringung aller Abscheulichkeiten, zu denen der Mensch fähig ist. Diese Geister durch die Behauptung zu wecken, der kulturelle Konflikt sei der zentrale Konflikt der Zukunft, auf den man sich daher „realpolitisch“ vorbereiten müsse, ist Beihilfe zur Herbeiführung eben dieses Ergebnisses.

Gegensteuern ist möglich. Die Alternative zum Kampf der Zivilisationen ist die Herbeiführung einer vielfältigen Weltkultur, bestehend aus humanistischen Philosophien, globalem Denken, gegenseitiger Lernbereitschaft, Anerkennung, ja auch Übernahme der Einsichten und geistigen Leistungen anderer „Zivilisationen“. Erforderlich ist ein Weltethos der Gewaltlosigkeit, der sozialen und ökologischen Vernunft und eine Absage an die unermeßliche Gier der Geld- und Warenmaximierung, deren Sieg die angesprochenen Konflikte sehr wahrscheinlich machen würde.

Huntington ist an einer Lösung der Konfliktursachen nicht interessiert. Seine Diagnose läßt nur mehr die Strategie des „Du oder Ich“ rational erscheinen. Wie das endet, ist vorhersehbar: in einem „High Noon der Weltgeschichte“.

Gudrun Harrer, Isi.amexpf.rtin und Journalistin:

Es müßte sich wohl noch viel ändern bis zu einem solchen Konflikt: Ich kann jedenfalls heute unmöglich diese klaren Trennlinien zwischen den Kulturen und Zivilisationen sehen, an denen der zukünftige Muster-Zivilisationskonflikt ä la Huntington entstehen sollte. Das Huntington-Konzept ist überaus simpel, was auch zum Teil seinen Erfolg erklärt. Vielleicht wird es in Zukunft Konflikte geben, denen man dieses Muster überstülpen kann. Es wird aber als Erklärung nie ausreichen.

Egon Winkler, Leiter der AUßENWIRTschaftsorganisation der Wirtschafts-kammer Österreich:

Streng genommen kann praktisch jeder Krieg auch als Krieg zwischen Kulturen bezeichnet werden. Wird jedoch die Ursache von zukünftigen Kriegen der Kampf zwischen verschiedenen Kulturen sein? Die Auseinandersetzung beziehungsweise Polarisierung zwischen den einzelnen Kulturkreisen, die es auch bisher schon gegeben hat, wird sich in Zukunft durchaus verstärken, doch wird der Erfolg eines Kulturkreises letztendlich vom wirtschaftlichen Erfolg desselben abhängen. Bei dieser Auseinandersetzung wird es daher auch in Wahrheit hauptsächlich um eine wirtschaftliche, und damit verbunden, auch politische Vormachtstellung gehen. Gerade in diesem Zusammenhang sind die „westlichen“ Länder gefordert, die wirtschaftlichen Herausforderungen - vor allem aus dem asiatischen Raum -aufzunehmen, ihre Wirtschaftssysteme entsprechend zu reformieren und an die neuen Bedingungen des internationalen Wettbewerbes anzupassen. Durch diese rasch voranschreitende Globalisierung der Wirtschaft ist auch die Chance gegeben, daß Kriege verhindert werden, da trotz aller Unterschiede in den einzelnen Kulturkreisen das Bestreben nach wirtschaftlichem Fortschritt und Wohlstand auch in Zukunft dominieren wird. In diesem Zusammenhang ist daher zu erwarten, daß das Instrument des Wirtschaftskrieges (Boykott, internationale Sanktionen, Drohgebärden) als Druckmittel verstärkt eingesetzt wird. Andererseits erwarte ich tatsächliche kriegerische Auseinandersetzungen nur als letztes Mittel, bei Vorliegen handfester wirtschaftlicher und machtpolitischer Interessen, nicht jedoch um eine kulturelle Machtposition per se zu festigen, auch wenn dieser Grund als Vorwand herhalten muß.

Peter Seiülitz, Asienjoi rnai.ist des peitschen hani)ei,sblattes in peking: Konfuzianische Werte propagan-dieren die Chinesen nur, wenn es ihnen gegenüber dem Westen nützlich erscheint. Es ist eine Waffe. Die ganze Diskussion ist schlicht ein Marketing-Gag - von den Chinesen wie Lee Kuan Yew in Singapur unter die Leute gebracht und dann vom Westen ganz ernsthaft nachgeplappert und dann, wie üblich, von den Wissenschaftlern debattiert. Unterschiede bestehen zwischen Westen und Chinesen beim Lebensstand-dard. Die Kulturen gleichen sich an. Auch in China brechen Hierachien auf und die Familien zusammen. Man spricht nicht über kulturelle Differenzen, sondern wie man sie aufholen kann. Chinesische Kultur kann man übrigens höchstens noch in den Antiquitätenge-schäften in Hongkongs Hollywood Road sehen. Die Sitten sind in China äußerst verlottert - ganz anders, als die Propaganda der KP das darstellt.

Die Statements hat

Monika Kunit eingeholt

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