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U.S.

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Es steckt am Rollkragen eines himmelblauen Pullovers und glitzert rund * und rätselhaft in der Sonne. Fremde meinen, das wäre ein Name: Susi Unger zum Beispiel, und mitten im Krieg dachte ein Schupo einmal, es hieße „Sowjet-Union“. Es dauerte lang, bis er begriff, daß man es in diesem Fall vor den Spitzeln der Gestapo besser verbergen würde, und es dauerte noch länger, bis er begriff, was es wirklich hieß. Denn wie soll auch ein giftgrüner Berliner verstehen, was St. Ursula für ein Wiener Kind bedeutet!

Viel mehr, als den Namen einer fremden Heiligen, die von alten, dunklen Stichen auf Schlimme und Brave herunterlächelt, viel mehr, als die Verpflichtung und den Ernst der Schule, viel mehr, als die Gedanken vorübergehender Menschen, wenn sie flüchtig sagen: „Kloster!“

Wie gesagt — für Fremde ist das schwer verständlich!

Noch schwerer hatten es die Professoren der Oberschulen, in die man die Kinder aus dem Ursulinenkloster nach der Sperrung der Schule verwies, denn sie stießen mit ihren Lehren unentwegt auf Kritik und Widerstand. Sie haben sich oft den Kopf zerbrochen, welche Macht denn da stärker sei als alle großen Worte, bis sie eines Tages bei der Schlußkonferenz erklärten: „Diese Mädchen sind durch den Geist des Klosters verdorben. Man wird sie niemals zu richtigen Deutschen machen können.“ Als wir das hörten, waren wir ungemein stolz darauf, durch „den Geist“ verdorben zo sein.

Und der dicke Schupo hätte sich sicher gewundert, uns jede Woche leise und schnell durch das Klostertor schlüpfen zu sehen, denn aus seiner bisherigen Praxis war ihm wohl bekannt, daß Kinder heimlich Äpfel stehlen, doch daß man heimlich zur Religionsstunde geht, wäre ihm jedenfalls neu gewesen.

Wenn wir dann im Dämmern um den bunten Adventskranz saßen, alte Kirchenlieder sangen und gespannt die schwere Schneelast beobachteten, die von den tiefen Fenstern in den Klosterhof herabhing, wußten wir, daß wir zu Hause waren.

Ja, vielleicht war uns' die Wirklichkeit dieses Heimatgefühls nie so klar und wunderbar zu Bewußtsein gekommen wie damals mitten in der Unwirklichkeit der Verfolgung! Niemals vorher, im sonnigen kleinen Hof, in den hellen, gewölbten Klassen, auf den langen, ernsten Gängen in der Selbstverständlichkeit der Kindheit waren wir so grenzenlos dankbar gewesen.

Denn es ist mit dem alten, schönen Haus in der Johannesgasse wie mit allen geliebten und unentbehrlichen Dingen in dieser Welt: ihr wirklicher Wert wird uns erst offenbar, wenn wir sie verloren haben.

So kam es manchmal vor, daß wir in die neue fremde Schule einfach deshalb um eine halbe Stunde zu spät kamen, weil uns unser Herz fraglos und unaufhaltsam zu dem kleinen verstummten Glockenturm trieb, der gelassen und verlassen hoch oben im durchscheinenden Herbsthimmel stand wie einer, der seiner Sache viel sicherer ist, als die Schreier und Wichtigtuer tief unten in den Gassen. Dann standen wir, starrten gebannt hinauf, trommelten mit den Knöcheln den Radetzkymarsch an das ernste,verschlossene, geliebte Schultor, , und die Wildesten und Schlimmsten von uns läuteten wohl auch an der Klosterpforte Sturm und rannten davon, vielleicht um ihren Schmerz und ihre Enttäuschung zu verbergen, vielleicht aus Liebe. Im Kloster war man uns nie sehr böse deshalb, denn das Kloster kennt seine Kinder besser als eine Mutter.

Wie eine Mutter hat es auch die Ver-fol gten, Geächteten, die aus irgeneinem Grunde nicht würdig waren, eine deutsche Schule zu besuchen, in seinen tiefen, weiten Gängen und in den wenigen kleinen Klas-sen, die ihm geblieben sind, geborgen und aufgefangen. Diejenigen, die noch würdig waren, zur Schule zu gehen, haben sich aus diesem Grunde oft gewünscht, unwürdig zu sein! So aber blieb ihnen nichts anderes übrig, als .mit wehen Herzen zu bemerken, daß sie nicht* mehr hieher gehörten, und eine halbe Stunde später mit trotzigen Gesichtern in der neuen Schule anzulangen.

„Warum kommt ihr so spät?“

„--weil — weil--wir können es

nicht erklären, Sie können es nicht verstehen!“

Und wir schwiegen beharrlich. Der kleine Glockenturm hatte uns etwas von seiner leichten, lächelnden Sicherheit mitgegeben. Wir bewahrten unser Geheimnis. Auch wußten diese Professoren nicht, daß die verschwiegensten Dinge die mächtigsten sind. Es wuchs dies Verschwiegene in unsren Herzen, und dieses Verschwiegene war die Treue zum kleinen Turm, die Treue zur alten Schule, die Treue zu Österreich. ..

Früher, da hatten wir in Geographie Geographie gelernt, in Geschichte Geschichte und in Deutsch Deutsch. Nun lernten wir in Geographie Deutschland, in Geschichte Politik und in Deutsch Hochmut.

Manchmal wurde es uns zu bunt, manchmal durchbrachen wir das Schweigen. Als wir eines Tages hörten, daß die Jugend in den Klöstern „dumpf, unfrei und gezwungen“ aufgewachsen war, stand ein blondes Mädchen auf und sagte leise, mit verträumten Augen: „Im Kloster durften wir im Sommer nach Rom fahren“, eine zweite, schon etwas lauter: „und im Frühjahr nach Salzburg!“, eine dritte zornig: „und im' Winter auf Skikurs nach Mariazell!“ Nun ging es los. Die Argumente wurden immer schärfer: ,Im Kloster, da hatten wir lichte, hohe Klassen mit tiefen Fensternischen! Im Kloster, da hatten wir eine hellere Glocke und größere Feiertage! Im Kloster, da hatten wir — — —“ ein sekundenlanges tiefes Aufatmen ging durch die Klasse und dann sagte irgendeine: „Heimat!“

Es ist später niemals offenbar geworden, welche das gesagt hat, aber es war jedenfalls sehr, sehr merkwürdig gewesen, dieses entweihte, tausendfach geschändete und als Propagandamittel verwendete Wort plötzlich so leise und scheu z:j vernehmen!

Nachher meinte eine: „Gerade so, als ob ich die Haydn-Hymne gehört hätte, aber statt „Deutschland über alles!“ „Gott mit dir„ mein Österreich!“

Von da ab wurde es uns zur Gewohnheit, bei jeder Gelegenheit statt des neuen, erzwungenen Textes leise den alten, geliebten mitzusummen. Niemand ahnte damals, daß dieses leise Summen eines Tages wieder anschwellen würde zu einem großen Lied! Niemand ahnte, daß auch die Glocken vom Klosterturm, die man zuerst zum Schweigen gebracht hatte, zuletzt dann ganz abnahm, in unsren Herzen klar und laut weiter läuteten bis heute!

Vor kurzem bin ich wieder durch die Johannesgasse gegangen. Die Schulen, der Ursulinen sind wieder eröffnet. Leider sind wir nun schon zu groß geworden, um uns noch einmal einschreiben zu lassen. Aber die Glocken wollen wir dem Turm zurückgeben, die wir bisher in unsren Herzen verwahrt haben. Sie dürfen nun wieder läuten für die Kinder von Wien.

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