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...ut aedificentur muri Jerusalem!

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GESCHICHTE DER KREUZZÜGE. Von Steven Runciman. 1. Band: Der erste Kreuzzug und die Gründung des Königreiches Jerusalem. 416 Seiten. Preis 24.50 DM. — 2. Band: Das Königreich Jerusalem und der fränkische Osten 1100—1187. 573 Seiten. Preis 28.50 DM. C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung, München

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GESCHICHTE DER KREUZZÜGE. Von Steven Runciman. 1. Band: Der erste Kreuzzug und die Gründung des Königreiches Jerusalem. 416 Seiten. Preis 24.50 DM. — 2. Band: Das Königreich Jerusalem und der fränkische Osten 1100—1187. 573 Seiten. Preis 28.50 DM. C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung, München

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Vor uns liegt in deutscher Sprache der größere Teil eines Werkes, dessen Wert keiner Empfehlung mehr bedarf. Der unmittelbare, naheliegende Wunsch ist, bald auch den dritten Band sehen zu dürfen. In fachlich interessierten Kreisen kann der Verbreitung des Buches nur die Beschränkung der verfügbaren Geldmittel Grenzen setzen.

Dennoch sind einige Worte der Besprechung angebracht. Vor allem wollen wir auf das hinweisen, was durchaus nicht selbstverständlich ist: auf die Qualität der Liebersetzung. Der Uebersetzer — Peter de Mendelssohn — hat geglaubt, dem Leser über die Grundsätze seiner Arbeit Rechenschaft zu schulden: wir können sie nur billigen. Wir erfahren daraus auch, daß er sich die Mühe genommen hat,

seine Arbeitsmethode mit dem Autor zu besprechen: ein nicht genug zu lobender Vorgang!

Zweitens haben wir die Ausstattung des Buches zu loben, welches dem Original entsprechend mit Karten und Stammtafeln versehen ist. Beides ist gerade bei diesem Thema absolut unentbehrlich; dennoch gibt es allzu viele Werke über jene Zeit, welche die fürstlichen Verwandtschaften unübersichtlich, unvollständig, nebenhin im Text abtun zu können glauben. Nun kann man gewiß die Geschichte der heutigen Zeit schreiben, ohne Stammtafeln zu benützen; denn die heutige Politik wird nicht von leiblicher Erbfolge, sondern von Parteiorganisationen bestimmt. Was würde von einem Historiker zu denken sein, der im und — weil seine Zeit von feudalen Hausmächten beherrscht wird — über die Parteiprogramme andeutungsweise hinweghuschte: „ .. . die Sozialisten Renners, welche sich im April 1945 gegen die Sozialisten Schirachs erhoben, fanden unerwartete Hilfe bei denen Fischers", so irgendwie? — und ähnlichen Wert hat eine Geschichte mittelalterlicher Staaten, welche den Erbgang nicht ganz klar macht.

Runciman tut es!

Noch anderes macht Runciman klar: das ist das damalige Verhältnis von Ost- und Westeuropa. Man hat von Runcimans „byzantinischer Einstellung“ gesprochen und sie sogar bemängelt. Man sieht gewiß auch diesem Buch auf jeder Seite an, daß der Autor Verfasser einer Geschichte des byzantinischen Reiches ist. „So what?“ — kann man nur fragen. Die Kreuzfahrer selbst schöpften ihre bedenkenlose Energie allerdings zum großen Teile aus ihrer Unkenntnis orientalischer Dinge; man hat manchmal das Gefühl, daß sie selbst so fühlten wie ein Kreuzfahrerroman für die Jugend oder wie Karl May: hier sind wir, die Helden, wir haben recht und haben zu siegen; dort sind die anderen, die sind böse, sie sind anders und haben besiegt zu werden oder unserem Sieg zu helfen. Tun sie das nicht, sind sie treulos; mehr können und brauchen und wollen wir nicht wissen. Ja, aber soll man denn so Geschichte schreiben? — Es ist also von ‘größtem Wert, wenn Runciman die Geschehnisse auch mit den Augen des Griechen, des Sarazenen, des Armeniers zu sehen versucht, Wohlgemerkt — er verfällt nicht in die Manier gewisser Progressisten, die als Reaktion gegen den Glauben ihrer Väter nun alles loben, wenn es nicht abendländisch und vor allem nicht katholisch ist. Freilich spricht Runciman nicht mit dem Akzent des Katholiken, wenn er etwa auf den Reliquienkult zu sprechen kommt; aber von militantem Aufkläricht ist keine Rede.

Aus seiner Kenntnis des christlichen Ostens heraus erklärt uns der Autor auch eine Sachlage, die besser bekannt sein müßte auch in Fachkreisen. Das ist das Verhältnis zwischen römischen Katholiken und den Christen des Ostens. Moderne Leser und auch Autoren sind an die Lage des 19. Jahrhunderts gewöhnt; da war im östlichen Mittelmeer infolge der Türkenherrschaft, in Polen und Rußland infolge der Kriege dieser Länder ein deutlicher Unterschied zwischen den zwei Konfessionen der Katholiken und Orthodoxen — von den Heterodoxen Armeniern und Chaldäern zu schweigen. Und da meinte man, diese Sachlage bestünde seit der Exkommunikation des

Jahres 1054. Das ist doch, nicht wahr, das Jahr der Kirchenspaltung?

Ebensogut könnte man sagen, die österreichische Nation habe sich 1740 von Deutschland getrennt. Die preußische Aggression jenes Jahres führte endlich dazu, daß nach 126 Jahren Oesterreich aus Deutschland herausgeworfen wurde. Aber deswegen war noch immer Erzherzog Karl „der beharrliche Kämpfer für Deutschlands Ehre“, und war Kaiser Franz Joseph „ein deutscher Fürst“. Nun denn — der Konflikt zwischen Kerularios und Humbert führte endlich zur Spaltung zweier Konfessionen — aber diese Prozedur war zur Zeit der Kreuzzüge erst im Keimen. Was ging es überhaupt einen rechtgläubigen Christen des Patriarchats Antiochia an, wenn der Patriarch der Kaiserstadt mit dem Papst des alten Rom Streit gehabt hatte? Gar nichts; und außerdem würden sich jene zwei auch wieder versöhnen, wie sich sooft streitende Kirchenfürsten wieder versöhnt hatten. Lateinische, griechische, syrische Christen waren also Fremde, die sich daher herzlich ungern hatten; niemals aber Andersgläubige. Hätten sich — damalsl! — Andersgläubige ehelich verbinden können,

wie damals deutsche Fürstinnen nach Konstantinopel, griechische Prinzessinnen nach Deutschland, armenische Fürstentöchter in fränkische Geschlechter heirateten? Die kirchlichen Verhältnisse im fränkischen Osten entsprachen also durchaus den modernen Nationalitätenkämpfen innerhalb der katholischen Kirche. Man denke an die unerquicklichen Konflikte im Elsaß und in Posen; an die Antipathien zwischen Irländern und Polen in Amerika, welche denn auch zu einem lokalen polnischen Schisma geführt haben. Das alles macht Runciman völlig klar und lehrt uns erheblich umdenken.

‘ Doch was halte ich mich bei Einzelheiten auf? Hier ist die Epopöe, welche der Wunschtraum unserer Ahnen war. Jahrhundertelang ging ihnen als hochaktuelle Fürbitte von Herzen der Psalmvers: „Herr, tue nach Deinem Willen gnädig an Sion, daß erbaut werden die Mauern von Jerusalem! Dann wirst Du annehmen das rechte Opfer, Opfergaben und Brandopfer . ..“ Jahrhundertelang freuten sie sich auf jenen Tag. Hier haben wir die zuverlässige Geschichte dieses langen Kampfes. .

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