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Venus von Willendorf: Weder Göttin noch Sexsymbol

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Vor 100 Jahren wurde die "Venus von Willendorf" ausgegraben. Abgesehen von ihrem Alter wissen wir nach wie vor so gut wie nichts über sie.

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Vor 100 Jahren wurde die "Venus von Willendorf" ausgegraben. Abgesehen von ihrem Alter wissen wir nach wie vor so gut wie nichts über sie.

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"In extremer Weise fettleibig", "übertriebene weibliche Formen", "schwere Brüste", "überhängender Fettwulst", "überbetonte Geschlechtsmerkmale", mit anderen Worten: "ein geradezu abschreckend hässliches Ding". Schmeichelhaft ist das, was über die Dame geschrieben wird, nicht gerade. Man könnte meinen, es mit einem Monstrum zu tun zu haben. Auch Fotos vermitteln nur ein unzureichendes Bild von der altsteinzeitlichen Skulptur, die als "Venus von Willendorf" Weltruhm erlangt hat. Man muss sich diese elf Zentimeter große "Venus" schon im Original anschauen, um ihre Anmut zu begreifen.

Ikone der Popkultur

Wer immer sie geschaffen hat, verfügte über größtes Geschick bei der Bearbeitung des Materials, eines Oolith genannten Kalksteins, er besaß einen ausgeprägten Sinn für Proportionen und hatte den menschlichen Körper genau studiert. Dennoch drückt sich in seinem Werk kein kruder Realismus aus. Im Gegenteil: Dieser Botero der Steinzeit (zeitgenössischer kolumbianischer Künstler, dessen Figuren sich durch ihre Massigkeit auszeichnen; Anm.) wusste sein Werkzeug - vermutlich einen Stichel aus Feuerstein - so zu handhaben, dass die Statue trotz ihrer Körperfülle eine gewisse Leichtigkeit und innere Spannung ausstrahlt. Dies erst macht sie zu einem Kunstwerk, das den Vergleich mit den Plastiken der Antike nicht zu scheuen braucht und zu Recht in jedem Handbuch der Kunstgeschichte erwähnt wird. Mehr noch: Wie die Verbreitung ihres Bildes zeigt, ist die "Venus von Willendorf" längst zu einer Ikone der Popkultur geworden.

Man sagt oft, große Kunst sei zeitlos. Als die kleine Statue am 7. August 1908, also vor fast hundert Jahren, in Willendorf ausgegraben wurde, hatte sie 25.000 Jahre unberührt im Löss der Wachau gelegen. Den Anlass für die Ausgrabungen gab der Bau der Donauuferbahn. Ihr Initiator und nomineller Leiter war Josef Szombathy, der Chef der anthropologisch-prähistorischen Abteilung im k. k. Naturhistorischen Hofmuseum. Vor Ort kümmerten sich die jungen Wissenschaftler Josef Bayer und Hugo Obermaier um die Grabungen. Alle drei waren an jenem Augusttag zugegen, als der italienische Lohnarbeiter Johann Veran im Löss "auf ein völlig gut erhaltenes Steinfigürchen, ein steatopyges (großgesäßiges; Anm.) Weib" traf, wie Szombathy in seinem Tagebuch notierte.

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