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Verführer zum Denken

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Goethe, das ist eine gigantische Selbstinszenierung, ein täglich vollzogenes Ritual, der zur Kunsthaftigkeit erstarrte Alltag.” Johann Wolfgang Goethe, Friedrich Nietzsche, Theodor W. Adorno, Konrad Lorenz, Günther Anders, Sir Karl Popper, um nur einige zu nennen, sind die Helden in Konrad Paul Liess-mans jüngstem Essayband „Der gute Mensch von Osterreich.” Liessmann ist Philosoph an der Universität Wien und bekannt durch seine zahlreichen Bücher, aber auch durch seine Esssays, die nicht selten für großes Aufsehen gesorgt haben. So etwa sein Aufsatz zum 100. Geburtstag von Walter Benjamin. Ohne Respekt rüttelt er an der Benjaminschen Aura: „Benjamin war so immer der Denker für die Unentschlossenen. Seine Philosophie war eine Art Rückversicherung. Mit ihr konnte man in dieser Welt stehen und hatte doch eine andere in der Hinterhand, ohne sich dazu bekennen zu müssen”. Naturgemäß für Anhänger des „großen Literators”, wie Adorno seinen Zeitgenossen Benjamin nannte, und für denkende Menschen, ein großes Ärgernis.

Genau auf jene hat es Liessmann anscheinend abgesehen: „Denkenden Menschen sind Jubiläen ein Greuel ... Nichts schlimmer für einen kritischen Geist, als Vergangenheit zu glorifizieren - ausgenommen die der eigenen Person”, heißt es im Essay zu den bevorstehenden Feiern zum tausendjährigen Bestehen Österreichs.

Nun, Liessmanns Essays aus den letzten 15 Jahren kommen doch einem kleinen Jubiläum gleich, oder etwa nicht? „Der Essay möchte alles und nichts ... er möchte elegant sein, aber nicht unverbindlich. Der Essay ist unbekümmert, manchmal sogar leichtsinnig ... Der Essay ist eine Form der Suche und Versuchung.” Und wie es bei eleganten, leichtsinnigen Verführern üblich ist, müssen sie sich, um Erfolg zu haben, auf ihr Handwerk verstehen, wie eben Konrad Paul Liessmann.

Zwar leichtsinnig, aber keineswegs leichten Sinnes, verführt er seine Leser, ihm bei seinen Gedankenexperimenten zu folgen. Man stimmt ihm zu, pflichtet ihm bei, entkommt kaum seiner eleganten, um nicht zu sagen verführerischen Sprache, man läßt sich gerne berauschen. In drei Abschnitten mit je sieben Texten, „Austriaca”, „Moralia” und last but not least „ Personalia”, faßt er seine Essays in dem Band zusammen.

Werfen wir also gleich einen Blick ins Finale: „Personalia”. Die in Frage gestellten Jubiliäen waren ihm Anlaß, sich sogenannter Säulenheiliger der Literatur- und Geistesgeschichte anzunehmen. Es lacht nicht nur das Germanistenherz, wenn es über seine Haßliebe zu Goethe lesen darf: „Goethe, das ist die Mumifizierung des Geistes. Eingewickelt in die Binden des vermeintlichen Tiefsinns bleibt er eine reine Fassade, ausgewickelt zerfällt er zu Staub, wie jede Mumie. Allein im Vakuum einer wahrhaft kritischen Interpretationskunst ließe sich vielleicht etwas retten von dem, was Goethe einmal hätte sein können”.

Indes bittet er nicht nur die Repräsentanten geistiger Strömungen zum Rapport, sondern macht auch Themen wie Heimat, Ästhetik, Politik, die Mythen des Abendlandes zu Gegenständen seiner Essays.

Zurückliegendes, wie etwa der Aufsatz „Der Schein trügt”, gewinnt nicht zuletzt durch die bevorstehenden Wahlen wieder eine gewisse Aktualität: Der Philosoph betrachtet hier jene strahlenden Gesichter, die uns früher massiert von den Plakatwänden entgegenlächelten, ohne ihren Putz. „Die Zukunft liegt im Design”, heißt es da etwa. Form statt Inhalt, dies gilt indes nicht für Liessmanns Essays. Denn er berührt, indem er an Dinge rührt, die für manchen von uns zur unreflektierten Selbstverständlichkeit geworden sind. „Wenn er nicht gerade dabei ist, sich abzugrenzen ... dann integriert der gute Mensch”. Das Ergebnis ist bekannt, „liebe Mörder, liebe Bombenleger, liebe Verschicker von Brief bomben”.

Nicht zuletzt, um solches zu vermeiden, vielmehr in der Tat um zu „sehen, was ist”, empfiehlt sich die Lektüre der gesammelten Essays von Konrad Paul Liessmann.

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