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Vergessene Hunderter

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Groß gefeierte Jubiläen bringen es an den schnellebigen Tag, ob einer der Gegenwart noch was wert ist. Nach zweihundert Jahren immerhin das Licht der Welt und der Musik für Franz Schubert, und nach hundert das Grabesdunkel für Johannes Brahms. Zweihundert hypothetische Lebensjahre für den Lieblingsdichter unserer Kaiserin Sissy, für Heinrich Heine, den die Deutschen wenigstens unverfälscht als den Ihren feiern können, soferne sie wegen Abkunft und Emigration nicht schon wieder hämische Zweifel hegen. Die unsterbliche „Loreley” hatte ja bekanntlich im sogenannten Dritten Reich kei nen bestimmten Verfasser und war ein Volkslied.

Wir haben auch einen hundertjährigen Dichter, den Karl Heinrich Waggerl, briefmarken- und schnellzuggeehrt, unverzichtbarer Adventidylliker. Die Autoren, die heute wegen der Rechtschreibreform um ihre Urheberrechte bangen, mögen sich trösten. Waggerls Held aus dem „Jahr des Herrn” hieß unverzeihlicherweise David, aber in den deutschen Lesebüchern wurde er zum Wolfgang, weil ein deutscher Junge eben keinen jüdischen Namen tragen darf. Den Urheber hat dieses und anderes am Regime nicht gestört. Irgendwie irritiert an den Zeitläufen war ja auch der zweite, etwas exquisiter als Hundertjähriger zu Feiernde: Alexander Lernet-Hole-nia. Immerhin empfehlenswerte Pflichtlektüre für Liebhaber Altösterreichs, neue Werkausgabe geplant, aber kein Schnellzugsname. So literarisch ist unsere Bundesbahn eben nicht.

Womit das offizielle Jubiläumsheft 1997 zugeklappt werden kann und wir feierlich eintreten in den Hain der Vergessenen. Vor 200 Jahren wurde Annette von Droste-Hülshoff geboren. Die Erinnerung an die erste große katholische Lyrikerin ist verblaßt. Damals kam die deutsche Literatur nämlich sonst nur aus den evangelischen Pfarr- und den jüdischen Bürgerhäusern. Ein Funke Erinnerung in diesen Tagen freilich doch noch: der UNES-GO-Beauftragte für das „Weltkulturerbe”, der kürzlich in Osterreich die Urkunden für Wien-Schönbrunn und Salzburg verteilte, heißt auch Droste-Hülshoff und kommt aus dem Geschlecht der Dichterin.

In der EU-fernen Schweiz wird man sich vielleicht des 200. Geburtstages von Jeremias Gotthelf erinnern. Hierzulande eher ein Fall für Germanisten.

Verwelkt in Österreich ist der Lorbeer für einige Hundertjährige, die noch vor einer Generation in hohem Ansehen standen: Rudolf Henz und Josef Leitgeb. Ersterer hochverdient in der Kultur- und Medienpolitik, eigentlich Österreichs einziger bekennender Katholik von Rang in der Literatur. Sein Engagement im Ständestaat schadete seinem Image anscheinend mehr als anderen die Begeisterung für den Führer aus Braunau. Und der zweite, Josef Ieitgeb, ein Tiroler aus dem Brenner-Kreis, wußte von Heimat mehr als die publikumswirksame Gemütlichkeit. Georg Kulka, einst in eine Plagiatsaffäre und vielbeachtete Fehde mit Karl Kraus verwickelt, und Adrienne Thomas, viel gelesen im gehobenen Unterhaltungsgenre, emigriert, totgeschwiegen - wer außer Literaturhistorikern kennt sie noch? Hundert Jahre wären sie im heurigen Sommer geworden.

Und erst recht noch dieser Spezialfall der österreichischen Aufklärung: Johann Baptist Alxinger, vor 200 Jahren geboren, wer weiß noch, was er tat und schrieb? Vielleicht hatte er recht damit, die österreichischen Autoren des 19. Jahrhunderts aufzufordern, sich ein Beispiel am klassischen Niveau der Deutschen zu nehmen. Die Deutschen ließen sich nicht anbiedern und schätzten den Alois Blumauer, der das Gegenteil verlangte: die Deutschen sollten von den Österreichern lernen. O trügerischer Nachruhm! O ungetreues Lesepublikum! In hundert Jahren -2097 - schaut es möglicherweise ganz anders aus. Falls es dann noch Bücher, Dichter und Erinnerungen gibt.

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