6535717-1946_14_11.jpg
Digital In Arbeit

Vergleichende Literaturforschung im Donauraum

Werbung
Werbung
Werbung

Eine vergleichende Literaturforschung für das Gebiet des Donauraumes bietet eine dankbare Aufgabe für, jeden, der sich mit der Geistesgeschichte unseres Erdteiles beschäftigt. Wir besitzen zwar schon wertvolle Ansätze für eine derartige Forschung — ich denke da unter anderem an die Arbeiten des verstorbenen Germanisten der Budapester Universität Dr. Bleyer —, aber es gibt noch unendlich viel in dieser Beziehung zu tun. Erforschung von Abhängigkeiten der einen Literatur von der anderen, das ist es nicht, was wir in erster Linie meinen. Auch kann sich eine vergleichende Literaturforschung gerade im Donauraum nicht darauf berufen, nur Spitzenleistungen der Dichtkunst heranziehen zu wollen. Es ist vielmehr gerade der Durchschnitt literarischen Schaffens, aus dem wir die besten und charakteristischesten Beispiele ziehen können. Und wer sich mit diesen Problemen zu befassen beginnt, der wird bald lernen, daß sich zwischen den einzelnen Literaturen der Nationen des Donaubeckens Parallelen ergeben, die neue Ein-* blicke in die Geschichte Österreichs und seiner Nachbarländer auf dem Gebiete der Kultur eröffnen.

Die literarischen, kulturellen und künstlerischen Beziehungen Österreichs zu den anderen Donauländern beginnen schon verhältnismäßig früh. Seit dem Ausgang des 14. und Beginn des 15. Jahrhunderts gewinnt etwa österreichische Kunst Einfluß im Karpatengebiet. Der Bildhauer Jakob von Kaschau (gest. 1463) arbeitete in Wien, der Wiener Maler Gerhardt (um 1450) in Siebenbürgen. Die sächsisch-sieben-bürgischc Mundart wird in den Schriftstücken ungefähr zur gleichen Zeit von der österreichischen Volkssprache abgelöst, die bis Ende des 16. Jahrhunderts die neue unbestrittene Schriftsprache in diesen Gegenden wird. Dieser Einfluß des österreichischen macht sich noch weit in die Neuzeit hinein geltend Sind doch viele Ausdrücke der österreichischen Armeesprache noch in der 1868 aufgestellten ungarischen Honved weiter gebräuchlich, wie es uns Ediltrud Felszeghy erst jüngst in ihrer Studie „A csaszari es kirälyi had sereg nyelve Magyarorszägon“ (Budapest, 1938) gezeigt hat. In den ungarischen Städten treffen wir eine Reihe von Bürgern an, die aus Österreich (Wien, Graz) stammen, anderseits ist auch der Zustrom von Einwanderern aus den Ländern der mittleren Donau in Österreich nicht unbeträchtlich (vergleiche etwa die Namen Unger, Siebenbürger und ähnliche mehr, die In mittelalterlichen Dokumenten aus Wien vorkommen). Auch der Fremdenverkehr nimmt zu. Wir treffen die Gemahlin des ungarischen Königs Matthias I. Corvinus (1458—1490), die Königin Beatrix, oft zur Sommerfrische in Baden bei Wien. Die Wiener Universität wird damals von Studierenden aller Völker des Donauraumes besucht, von Ungarn, Slowaken, Rumänen Der literarische Einfluß der österreichischen Dichtung macht sich in der Verbreitung historischer Volkslieder, wie in d em des altöste.ri.-idiischen Lustspieles von Neidhart und in der Gestaltung von geistlichen Spielen (Weihnachtsspiele, Osterpassion“) geltend. Erst das Auftreten Luthers und da? Eindringen seiner und Calvins Lehren in den Donauraum unterbricht diese regen Beziehungen etwas und zeitweise. An ihre Stelle treten nunmehr Beziehungen der evangelischen Landschaften mit dem gleichfalls evangelischen Norden. Aber immerhin, völlig erlöschen die alten Ströme nicht, und in der Zeit der katholischen Restauration Verden sie wieder wirksam. Der ungarische Kardinal Pazmany errichtet sein Priestersem-'nar in Wien, Während des Dreißigjährigen Krieges stu-

dieren auch ungarische Studenten in der österreichischen Hauptstadt und an den Universitäten von Graz und Olmütz. Der große Dichter Nikolaus Zrinyi (1618 bis 1664), ein Nachfahre des Verteidigers der Feste Szigeth gesen Sultan Soliman II.

1566, veröffentlicht sein Epos „Die Belagerung von Szigeth“ 1651 gerade in Wien. Es ist in seiner Formensprache barock und von der gleichzeitigen österreichischen und italienischen Dichtung beeindruckt. Zwischen dem ungarischen Dichter Valentin B a 1 a s s a, dem Schöpfer der nach ihm benannten Balassa-Strophe, und dem österreichischen Dichter Christoph Schallenberg (1561 bis 1597) bestehen Verbindungen persönlicher und literarischer Art.

Unter der Regierung der Kaiserin Maria Theresia und ihres Sohnes Josephs II. gewinnt die Aufklärung in der Form des sogenannten „Josephinismus“ auch in Österreich die Herrschaft. Eine Erforschung dieser Zeitspanne aber zeigt uns erst so ganz deutlich, wie sich Wien als Mittelpunkt der neuen Bewegung erweist. Von Österreich aus strahlt sie in die umgebenden Länder und von dort zurück empfängt auch Österreich Anregungen und Impulse Die Schulpolitik des aufgeklärten Abolutismus kam vor allem den Serben und Rumänen zugute Theodor Jankovitsch leitete unter der Kaiserin die Schulen des Banats in diesem Sinn. Die Regierung ließ bereits 1772

5000 Schulbücher in rumänischer und serbischer Sprache verteilen. 1778 gelangte ein Lesebuch in 16.000 Exemplaren zur Ausgabe. Der kroatische Schriftsteller Relkovitsch schrieb gleichfalls im Auftrag des österreichischen Hofkriegsrates

populäre aufklarende Schriften über Fragen des Tages, der Wirtschaft und des Lebens. Die Weimarer Klassiker gelangten fast ausschließlich auf dem Wege über Wien in den Donauraum. Französische und italienische Dichtung der Zeit wurden gleichfalls auf dem Wege über Österreich in diesem Gebiete bekannt. Als rumänisches Gegenstück zu der „Travestierten Äneas“ des Österreichers Alois Blumauer (1755 bis 1798) erscheint die „Tiganiada“ des Siebenbürgers Joan Budai-Deleanu, der auch 1785 ein „Handbuch für Schulmeister an walachischen nicht-unierten Trivialschulen“ in seine Muttersprache übertrug. Der bekannte ungarische Sprachforscher R e v a y aber ließ eine ungarische Ausgabe des Festspieles erscheinen, das Joseph von Sonnenfels 1765 zum Geburtstag Maria Theresias gedichtet hatte.

Das Zeitalter der josephinischen Aufklärung brachte auch die Wiedergeburt einzelner Sprachen mit sich, österreichische Behörden gaben den Anstoß zur Pflege der serbischen Volks- als Schriftsprache, wie erst kürzlich wieder Boris Unbegaun in seinem Buch „Les debuts de la langue litteraire

chez les Serbes“ (Paris, 1936) nachgewiesen hat. Von dem Wiener Slawisten Kopitar holte Wuk Stefanowitsch Karadschitsch (1787—1864) sich jenes wissenschaftliche Können, das ihn in seinen Arbeiten auszeichnete. Die rumänische Sprachforschung auf wissenschaftlicher Grundlage begann mit den 1779 und 1780 in Wien erschienenen Lehrbüchern aus der Feder von Samuel Klein und Georg Sincai. Schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts war über den Weg der kirchlichen Union mit Rom das sieben-bürgische Rumänentum mit den westlichen romanischen Völkern, vor allem natürlich mit Italien in Verbindung gekommen. In Wien und Rom holten sich die jungen Rumänen die Schulung, au) Grund deren sie dann den Zusammenhang der rumänischen Sprache mit den Tochtersprachen des Latein erkannten und ihn in ihrem Sinn auswerteten. Jan Kollar (1793—1852), der Professor für Slawistik an der Wiener Universität, arbeitete für die tschechische und slowakische Sprachforschung. Selbst die Neugriechen sammelten sich unter der Zeitschrift „Gelehrter Hermes“, die 1811 bis 1821 in Wien erschien, wo bereits 1790 das erste moderne neugriechische Wörterbuch erschienen war.

Auch an der Wiege des d o n a u 1 ä n-dischen Zeitungswesens stand die österreichische Aufklärung. Seit 1780 gab Matthias Rath in Preßburg die ungarische Zeitung „Magyar hir-mondo“ heraus; seit 1791 erschienen in Wien die serbische Zeitung „Serbskaja Novini“ und seit 1797 die slowenische „Lublanske Novie“. Schon 1794 bemühte man sich auch um die Herausgabe von rumänischen Blättern in Wien, deren erstes allerdings erst 1829 in Bukarest erscheinen konnte. Im Jahre 1839 besaß das rumänisch-iiebenbürgische Blatt „Gazeta de Transil-vania“ die Auflage von 500 Exemplaren (im Vergleich dazu hatte das deutschsprachige Organ „Siebenbürger Wochenblatt“ 750 Exemplare Auflage).

Wie sehr aber andererseits auch zu Beginn les 19. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des gleichen Zeitabschnittes auch die österreichische Literatur aus dem Donauraum her gefördert wurde, zeigt der Budapester Verlag Heckenast, der eine Reihe österreichischer Dichter verlegte und unter anderem auch den großen Romanen eines Adalbert Stifter Heimstatt bot. Über die Bedeutung Wiens als Kulturmittelpunkt sagt Julius von Farkas in seinem Aufsatz über den „Ungarischen Vormärz“ (in: Ungarische Jahrbücher, Band XXIII, 1943, S. 138): „Wien war seit der R e g i e r u n g s z e i t Maria Theresias das politische und geistige Zentrum der Donauländer. Die prunkvolle Kaiserstadt zog die besten geistigen Kräfte des vielsprachigen Reiches an; sie strahlte aber auch die neuen Ideen 3er westlichen Kultur nach allen Himmelsrichtungen aus und erweckte damit die schlummernden Kräfte der einzelnen Nationen der Donaumonarchie: sowohl die der Ungarn und Tschechen als auch die der Slowaken und Serben. Von Wien ging die Erneuerung der ungarischen Literatur zur Zeit Maria Theresias aus, und hier eignete sich auch der Führer der Romantiker, Karl Kisfaludy, seine literarische Bildung an. Eine kleine Gesellschaft ungarischer Dichter und Schriftsteller wirkte seit den siebziger Jahren des 18. Jahrhundert ununterbrochen in Wien und bemühte sich, das ungarische Geistesleben durch Herausgabe von Zeitungen und Almanachen und durch literarische Preise zu heben“. Andererseits waren es wieder Wiener Schriftsteller und Verleger, Zeitschriften und Zeitungen, die die Dichtung der Donauvölker dem westlichen Europa in Übersetzungen vorlegten. Schon 1846 veröffentlichte Adolf Dux in Wien eine Ausgabe der Gedichte des großen ungarischen Lyrikers Alexander Petöfi. Auf den Wiener Theatern wurden ungarische Stücke- aufgeführt. Umgekehrt durften seit 1793 nach behördlicher Ver-

fügttng in, Ungarn bloß Stücke gespielt werden, die ih Wien mindestens zweimal gegeben worden waren. Wiener Repertoire und Wiener Schauspieler, Wiener Eintrittspreise und Wiener Volksstücke sind bis tief in die Kärpatenländer hinein zu findua. österreichische Dichter wie Ferdinand Raimund, später Ada Christen und Ludwig Anzengruber, die zeitweilig Mitglieder wandernder Schauspielertruppen waren, kommen wie selbstverständlich auch nach Ungarn. Das ungarische Volksdrama hat, wie erst kürzlich (1930) wieder Jolan K a d ä r aufgezeigt hat, mit dem Wiener Volksstück viele Beziehungen. Die ungarischen Zeitschriften führen sich nach dem Muster der österreichischen ein, „Viel bedeutender aber als diese Äußerlichkeiten“, sagt Farkas in seinem schon genannten Aufsatz, „war die geistige Verwandtschaft der Wiener mit den ungarischen Zeitschriften, die weniger in den schönliterarischen Beiträgen, als vielmehr im redaktionellen Teil zum Ausdruck kam. Die Herausgeber waren treue Verbreiter des Biedermeiergeistes, der durch sie auch in die Provinzstädte eindrang. Nicht nur ihre Modebilder zeigten Wiener Damen in Krinolinen und Kavaliere in farbigem Frack, sondern auch ihre sonstigen Bildbeilagen gaben kleinbürgerliche Lebensformen wieder. Die aus Wien übernommenen Illustrationen beeinflußten auch den Geist der Zeitschriften. Das Feuilleton, die Briefe aus der Provinz, die Tagesneuigkeiten waren nichts.. weiter als eine Frucht des bequemen, engen und philisterhaften Gei-

stes jener Zeit**. Die Stoffgleichheit eht so weit„ daß im selben Zeitraum zwei Dichter, ohne voneinander zu wissen, den gleichen Stoff behandeln: der Österreicher Franz Grillparzer im „T reuen Diener seines Herrn“ und der Ungar Katoni in seinem „B a n k b a n“. Diese Beziehungen ermatten wohl dann sichtlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, daß sie aber nicht völlig erlöschen, beweist die Tatsache, daß die serbokroatischen Dichter Marin Sabic (1860—1922) und Ljubomir Marakovic (dieser in seiner Programmschrift von 1910 „Neues Leben“) in mehr oder weniger deutlicher Form an den Wiener „Gral“-Kreis anknüpfen, dessen geistiges Haupt Richard K r a 1 i k (1852—1934) war.

Wir glauben, daß bereits aus den wenigen Beispielen, die wir geboten haben, die Tatsache offenkundig wird, daß in bestimmten Zeitabschnitten ein enger geistiger Zusammenhang der literarischen Strömungen im Donauraum besteht, der in einzelnen Jahrzehnten, etwa im Zeitalter der Aufklärung und des Biedermeier, so eng wird, daß wir — ohne uns einer Übertreibung schuldig zu machen — davon sprechen können, daß es in diesen Epochen so etwas wie eine eigene donauländische G e i s t e s p r o v i n z im Rahmen der europäischen Kultur- und Literaturentwicklung gegeben hat. Diesen Spuren nachzugehen und sie zu verzeichnen, das ist die Aufgabe, die eine vergleichende Literaturforschung im Donauraum zu erfüllen hätte.

3)et &ämann

Das Feld ist gepflüget, das Feld ist geeggt,

Im Schurze bauscht sich der Samen,

Ich habe die Hand in den Weihbrunn gelegt

Und gehe in Gottes Namen.

Wo mein langsamer Schritt sich schwingt,

Wo mich das rieselnde Korn umringt,

Bin ich der Hoffnung ein Bot.

Zur Tiefe die Wurzel, zur Höhe der Keim,

Ich habe hungrige Kinder daheim,

Gib uns das Wachstum, o Gott!

Der Tag will erdämmern, vom Winter nicht wach,

Ich muß mich zur Sonne noch bücken,

Grau fahret die himmlische Witterung nach

Und tauchet mir an den Rücken.

Greife ins Dunkel, urhebende Kraft,

Reife zum Lichte, lebendiger Saft,

Denn wir haben es not.

Schon warten die Bettler, die Bauern und Herrn Mit offener Hand auf die heiligen Ahm, Gib uns das Wachstum, o Gottl

Von Morgen bis Abend, soweit als der Raum

Reicht die geackerte Erden,

Und ich streue den Samenflaum,

Daß wir gesättiget werden.

Siehe, die rastlosen Krähen im Sturm

Siehe, unter den Schuhen der Wurm.

Treiben mich fürder ... o Gott!

Hast du die rufenden Stimmen gezählt?

Hinter mir betet die ganze Welt:

Gib uns das tägliche Brotl

Paula Gioggei

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung