Verhängnisvolle Antwort

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Nur weil das schon einige Jährchen her ist, ist es seither um nichts schwächer geworden. Ich meine mein schlechtes Gewissen. Oder besser gesagt: mein sehr schlechtes Gefühl. Dabei ist scheinbar gar nicht so viel passiert. Scheinbar.

Erlauben Sie mir, daß ich mich bei Ihnen quasi auf die Psychiater-Couch lege und dadurch, daß ich's erzähle, wenigstens vorübergehend ein wenig von diesem bedrückenden Bewußtsein verliere?

Es war unsere Maturafeier. Bescheiden fiel sie aus, ein Abend war's in einem gar nicht so noblen, aber recht urigen Wiener Wirtshaus, das sie mittlerweile übrigens abgerissen haben, um einen unendlich häßlichen Versicherungspalast hinzubauen.

Wir, die wir durchgekommen waren, zwanzig an der Zahl, hatten für unsere Professorinnen und Professoren einen großen Raum bestellt, Getränke waren frei, Essen mußte sich jeder selber bezahlen. Um uns alle schwebte noch der Nimbus der soeben bestandenen Prüfungen, ein wenig war das damals, als fragten wir, was denn die Welt koste, ahnungslos, aber sehr jung. Meine sehr persönliche Matura war, was den mündlichen Teil betraf, gekennzeichnet durch viel Glück, aber auch durch ein mir bis dato vielleicht aus Dummheit nicht bekannt gewesenes Entgegenkommen der Lehrer.

Bei der Lateinprüfung, wo ich einen mittelschweren Text passabel übersetzte, hatte mich der Vorsitzende nach dem in der Geschichte vorkommenden Quästor gefragt, und völlig vernagelt hatte ich zunächst nicht gewußt, wozu der denn gut gewesen war. Bis mir hinter dem Kopf des gestrengen Fragers mein Lateinlehrer jene Fingerbewegung machte, die, Daumen und Zeigefinger aneinander reibend, Geld symbolisierte.

Und in Physik hatte ich doch prompt, an der Tafel Linsen- und Spiegelgleichungen verwechselnd, statt eines Plus- ein Minuszeichen hingemalt, bis mein Lehrer mit den Worten "Jawohl, sehr richtig", auf dieses Minus zuging und ganz locker aus dem Handgelenk einen senkrechten Strich durchzog. Ohne ihn wäre ich heillos ins Schleudern geraten.

Und dieser Physikprofessor saß nun, wir hatten eine bunte Tischordnung durch Namenstafeln hergestellt, zufällig neben mir. Ja, und als er sich neben mich plazierte, fragte er: "Ist die Sitzordnung durch Sympathien entstanden?"

Das Wort Dummheit habe ich in meiner Erzählung schon einmal für mich in Anspruch genommen, und jetzt und hier schlug sie wieder zu. Er war mir sympathisch, so wie ich ihm offenbar auch. Sehr sogar. Aber seine ganz deutlich nach einem Ja heischende Frage beantwortete ich, wahrheitsgetreu, aber blöde, mit einem Nein.

Sehr bald wurde mir die Schwere dieser Verneinung bewußt. Aber da waren schon Stunden verronnen, einige Mitschüler waren schon nach Hause gegangen, eine gewisse Auflösung hatte von der Feier Besitz ergriffen.

Es war zu spät.

Es ist das Gesicht meines Physikprofessors, das er bei meinem Nein gemacht hatte und das ich nicht mehr vergessen kann. Ich hatte ihn enttäuscht. Auf die Frage, die er hoffnungsfroh mit einem Ja beantwortet haben wollte, hatte ich Nein gesagt.

Sagen Sie nicht, das sei eine unwesentliche Geschichte. Die Problematik Lüge oder Wahrheit dokumentiert sich in ihr nämlich wie kaum woanders. Nun muß ich mit ihr leben, denn ich habe meinen Physikprofessor nicht mehr gesehen. Vielleicht ist er schon gestorben. Wenn Sie ihn, egal wo, sehen, erzählen Sie ihm bitte von meinen Nöten. Er heißt übrigens Peter. Und jetzt stehe ich von Ihrer Couch auf. Danke fürs Zuhören. Ob mir nun leichter ist, weiß ich noch nicht.

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