Verhaftet im eigenen Erinnern

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Josef Haslingers Bericht "Phi Phi Island" über den Tsunami vom Dezember 2004 lässt jegliche Reflexion über das Erlebte vermissen.

Autobiografische Berichte über das persönliche Erleben eines Katastrophenereignisses wie der Springflut in Südostasien am 26. Dezember 2004 - es war der zweite Urlaubstag der Familie Haslinger - sind einer literaturkritischen Betrachtung schwer zugänglich. Die Bilder des Grauens, der Panik, des massenhaften Todes rundum und des Chaos und der Anarchie danach gehören denen, die sie er-und überlebt haben.

Doch das stimmt natürlich so nicht. Der massenmediale Bilderstrom, der sich im Gefolge des Tsunami über die westliche Welt hingewälzt hat und einen Spendenstrom nach sich zog, hat die Bilder ins kollektive Medienbewusstsein eingespeist. Nur leise waren damals die Stimmen, die darauf hinwiesen, dass die betroffenen Regionen die enorme Aufmerksamkeit und Spendenbereitschaft allein der Tatsache verdankten, dass viele der Gebiete touristisch gut ausgelastet waren, es unter den Hunderttausenden Toten also auch Europäer zu beklagen gab. Katastrophen von dieser Dimension erschüttern das westliche Bewusstsein nicht einen Bruchteil so stark, wenn es sich um touristisch ungenutzte Regionen der "Dritten Welt" handelt.

Als 1755 in Lissabon die Erde bebte und die Stadt zerstörte, löste dieses "außerordentliche Weltereignis" am Rande des europäischen Zentrums ein über Jahrzehnte währendes Erdbeben in der philosophischen Debatte aus, an der sich Lessing, Kant, Goethe, Rousseau, Voltaire und noch ein halbes Jahrhundert später Kleist beteiligten. Heute werden intellektuelle Diskurse mehr und mehr von Formaten wie öffentlichen Intimbeichten und Reality-TV abgelöst.

Trotzdem, Naturkatastrophen dieser Dimension zeigen dem homo faber seine Grenzen. Wenn ein Vulkan ausbricht, ein Erdbeben Städte einbrechen lässt, eine Flut Landstriche wegspült, erhält das technizistische Weltverständnis des "alles ist machbar" arge Kratzer. Nicht von ungefähr wurden unmittelbar nach Bekanntwerden der Katastrophe Debatten geführt über das Wie und Weshalb des fehlenden Tsunami-Frühwarnsystems. Das macht zwar die Toten nicht wieder lebendig, aber es beruhigt unser Selbstverständnis: wäre alles mit rechten (also westlich zivilisierten, organisierten) Dingen zugegangen, wäre zwar nicht der Tsunami vermeidbar gewesen, aber doch die hohe Opferzahl.

Intime Details

Um philosophische, politische oder soziale Reflexionen dieser Art ist es Josef Haslinger nicht zu tun. Das ist das Verwunderlichste an diesem Buch, ist dieser Autor doch auch für seine streitbaren essayistischen Kommentare zum Zeitgeschehen und zur Mentalitätsgeschichte bekannt geworden. Der Untertitel "Ein Bericht" ist hier aber rein persönlich zu verstehen: Haslinger erzählt bis in intime Details, wie die Familie Haslinger, also er, Gattin Edith und die beiden Kinder Sophie und Elias, die Katastrophe er-und überlebt haben. Es ist, und das betont der Autor immer wieder, eine therapeutische Arbeit, um den Schock des Erlebten zu überwinden. Ein Jahr danach, fährt das Ehepaar Haslinger noch einmal an den Ort des Geschehens, wie "Pilger in der Welt des eigenen Traumas", und Haslinger will sich gar nicht aus dieser Verhaftung im eigenen Erinnern befreien. Er versucht detailreich die Erlebnisse und die örtlichen Verhältnisse von damals zu rekonstruieren, sammelt vor Ort Geschichten von anderen Überlebenden und Berichte, wie sie die Flutwelle erlebt, was sie gesehen und gedacht haben. Auch von seinen Kindern fordert er Erlebnisberichte ein, die diese nur widerwillig geben, aber der Autor fügt sie dann doch seinem Text ein.

Schulaufsatz-Ton

Das Trauma des Überlebthabens ist so abgründig wie der Versuch, es therapeutisch im Medium des Erlebnisberichts aufzuarbeiten. Und das ist das Problem einer kritischen Lektüre: Was ist damit gesagt, dass der Ton des Buches mitunter an einen Schulaufsatz erinnert? Soll damit das Konzept des Berichts von einem Familienerlebnis beglaubigt werden? Da gibt es "geschäftige gassen" (auch ein "geschäftiges treiben in der küche"), "blusen mit einem filigranen blütenmotiv", Möbel, "aus dunklem holz gefertigt" - und Formulierungen wie "und ehe wir uns versahen, waren wir auch schon da", oder "als wir weit genug draußen waren, tollten wir im wasser herum". "ich spreche so detailvoll darüber, weil wir alle diese klamotten … heute nicht mehr besitzen", heißt es am Ende der Passage, der alle Zitate entstammen. An diesem Satz mag der unsägliche Germanismus der "Klamotten" stören, der die österreichische Sprache immer flächendeckender kolonialisiert, aber es bleibt das Faktum, in der Katastrophe außer dem Leben alles verloren zu haben, inklusive der Sehnen am kleinen Finger der Autorhand, weshalb er die Shift-Taste nicht mehr betätigen kann und das Buch in Kleinschreibung gehalten ist. Und dieses Faktum stellt ein moralisches Stopplicht in den Text, das ein Rechten über Kleinigkeiten wie Stilfragen gleichsam verbietet. Ist es bedeutsam sich zu fragen, ob Haslinger die "primitiven holzstege" ohne Tsunami-Erlebnis vielleicht eher als "einfach" bezeichnet hätte und in dem "primitiv" eine unbewusste Wertung steckt?

Sorge um Socken

"ich habe die zufallsbekanntschaft mit einer abenteuergeschichte gemacht", schreibt Haslinger zu Beginn, und er erzählt sie einfach, nicht mehr aber auch nicht weniger. In einer Abenteuergeschichte zählen die Erlebnisse des Abenteurers, und so ist es auch hier. Unmittelbar nach seiner Rückkehr damals hatte sich Haslinger in einem Interview über die Unfähigkeit der österreichischen Behörden vor Ort erbost, die schuld daran waren, dass der Autor samt Familie erst zwei Tage nach der Katastrophe heimkehren konnte.

An einer einzigen Stelle des Buches könnte man einen leisen Selbstzweifel herauslesen. Erstaunt erfährt Haslinger beim Reminiszenz-Besuch ein Jahr danach, dass damals überlebende Touristen das Erlebte anders zu bewältigen versuchten: Sie nutzten den Rest ihres "Urlaubs" dazu, unmittelbar vor Ort zu helfen, den Verletzten, den Verzweifelten und den in Müll und Kot Versinkenden. Der Impuls, den Ort des Schreckens so rasch wie möglich zu verlassen, ist ohne jeden Zweifel legitim, so wie es verständlich ist, dass auch Nebensächliches wie fehlende Socken ein Problem darstellen können. Dass eine Helferin sich ob dieser Sorge inmitten des Massenelends scheinbar unwillig abgewendet hat, ist aber genauso nachvollziehbar. Es ist eine Sache der Perspektive - und da ist der, der das Unglück erlebt hat, immer im Recht.

Trotzdem: In den Berichten von Menschen, die von Menschen gemachte Katastrophen überlebt haben, ist gerade in den letzten Jahrzehnten eine ganze Palette von anspruchsvolleren Formen der Darstellbarkeit des Erlebten entwickelt worden. Dass Haslinger in seinem Bericht auf jede Reflexion in diese Richtung verzichtet, lässt ein wenig den Beigeschmack von effektvoller Illustriertenreportage zurück.

Phi Phi Island

Ein Bericht

Von Josef Haslinger

S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2007

204 Seiten, gebunden, € 18,40

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