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Verlangen nach einem persönlichen Gott

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Auch der Neukonfuzianismus, der vom Taoismus und vor allem vom Buddhismus beeinflußt ist, legt ein immanentistisches System vor. Nach dieser Schule besteht das All aus zwei Prinzipien: dem Li, das heißt dem „ordnenden Prinzip“, und dem Kl, der zuordnenden Materie.

Aber diese verschiedenen Manifestationen des naturalistischen Pantheismus erschöpfen ebensowenig den Reichtum der chinesischen Seele wie der cartesische Rationalismus oder der postkantianische Idealismus die ganze französische oder die ganze deutsche Seele darstellen. Der Pantheismus erstickte bei den Chinesen nie die ursprüngliche Offenbarung eines transzendenten Gottes, den sie zuweilen „Höchster Herrscher“, zuweilen „Himmel“ nennen, wie unter anderen Texten die Rede des Königs Tang im Chou-king bezeugt: „Der König der Hsia hat viele Verbrechen begangen^ und der Himmel hat mir den Auftrag gegeben, ihn zu entthronen. Aug Furcht vor dem höchsten Herrscher wage ich nicht, ihn nicht zu strafen und die vom Himmel verhängte Strafe nicht auszuführen.“ Die Lehre des Konfuzius enthielt im Gegensatz zum Neukonfuzianismus der späteren Zeit den Glauben an einen persönlichen Gott, der das menschliche Verhalten lenkt. Konfuzius selber erklärt: „Wer gegen den Himmel gesündigt hat, weiß nicht, an wen er sein Gebet richten soll. Sagte er nicht in einem Augenblick der Niedergeschlagenheit: ,Wenn einer mich kennt, dann ist es der Himmel.'“

Trotz des pantheistischen Hintergrundes hat auch der Buddhismus niemals seine Mitglieder daran gehindert, ihre Stütze und ihren Trost in Amida zu finden, dem Allheiland, an den sie alle ihre Gebete richten, und der alle Gnade verteilt. Der Lehre nach ist zwar dieser Amida nur eine Manifestation des ursprünglichen Absoluten, aber für die Masse der Gläubigen ist er ein wahrer Gott, die Quelle der Liebe und die Bedingung des Heils. Erinnert der ewige Buddha der Houa-yen-Schule nicht an diesen allwissenden und barmherzigen Gott, der mit brennender Sorge alle Wesen, selbst die verlorensten, zu retten sucht?

Doch mehr noch als im Bereich der philosophischen Überlegung sehe ich, daß im Bereich der geistigen Werte das chinesische Volk unbewußt die Wege für das Christentum vorbereitet hat. Haben nicht die größten Weisen Chinas die Menschenliebe gelehrt? Der konfuzianische Humanismus führt alle Tugenden zurück auf das „Jen“, dieses weltumfassende Wohlwollen, das der einzelne nur dann erreichen kann, wenn er zunächst in sich selbst eine Haltung des Wohlwollens geschaffen hat und diese dann ausdehnt auf die Familie, den Staat und die ganze Menschheit. Die Religion des Mo-ti predigt eine allumfassende Liebe und verlangt von den Menschen eine vollkommene Hingabe ihrer selbst. Der buddhistische Glaube verlangt von den Menschen, alle lebenden Wesen zu lieben und sich selbst zu vergessen. Die taoistischen Mystiker richten sich nach dem selbstvergessenen und wohltätigen Tao und rieten zu einer Barmherzigkeit, die sich auf Demut gründet und Böses mit Gutem vergilt. Schließlich haben bestimmte neukonfuzianische Weise trotz ihrer pantheistischen Metaphysik durch das Beispiel ihres Lebens gelehrt, daß man leiden soll, bevor die Welt leidet, und sich erst dann freuen darf, wenn die Welt sich freut. Das sind wirklich Vorboten der Botschaft von der allumfassenden Liebe, wie Christus sie gelehrt hat.

Wenn zwischen der chinesischen Seele und dem Christentum eine solche geheime Verwandtschaft besteht, warum hat sich dann China nach so vielen missionarischen Anstrengungen nicht bekehrt? Nach meiner Ansicht ist hier ein Mißverständnis verantwortlich zu machen, das seit einem Jahrhundert zwischen dem Chinesen und den Menschen des Westens besteht. Vergessen wir nicht, daß sich vor der endgültigen Begegnung um die Mitte des letzten Jahrhunderts sowohl China als auch Europa als Mittelpunkt der Welt betrachteten, als Inhaber einer allumfassenden Kultur, von der sie glaubten, sie sei berufen, alle „Barbaren“ zu umfassen. Die von den natürlichen Grenzen begünstigte kontinentale Isolierung Chinas, die ideographische Schrift, die die Völkerschaften verschiedener Dialekte einte, der Glaube an den Auftrag des Himmelssohnes, die von den Gelehrten eifersüchtig verteidigte konfuzianische Tradition, das Bewußtsein der Kontinuität seiner Geschichte, die Festigkeit seiner Strukturen in Familie und Staat, dies alles trug dazu bei, seine tausendjährige Einheit aufrechtzuerhalten.

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