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Vermählt mit den Armen

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Vor 20 Jahren beschloß ein noch junger, reicher und intelligenter Mann, alles aufzugeben, nicht um in einen Orden einzutreten, sondern um sich als Laie den Ärmsten der Armen zu widmen: den Greisen, denjenigen, die von der Gesellschaft kaum unterstützt werden, nachdem sie ihr alle Kräfte geopfert haben, den, die diese Gesellschaft — allein auf Gewinn bedacht — vergessen und verstoßen hat...

Er zog in ein „Mädchenzimmer“ in einem bescheidenen Viertel, und dort bereitete er auf einem kleinen Kocher Mahlzeiten für alte Leute, von deren Not er wußte. Anschließend brachte er diese Mahlzeiten denen, die allein lebten, in Räumen, die oft im Winter ungeheizt und im Sommer glühendheiß waren, Menschen, die nichts mehr vom Leben erwarteten. Bald halfen ihm

Freunde: man brachte ihm immer mehr Fälle zur Kenntnis.

So entstand eine Bewegung der Liebe, der Begeisterung und de>r Großherzigkeit: die „Petits Freres des Pauvres“, die „Kleinen Brüder der Armen“, denen junge Menschen von 18 bis 30 Jahren angehören.

Orden in Zivil

Obwohl sie in etaer Gemeinschaft leben, mit einem „Leiter des Hauses“, der ihr Superior ist, und obwohl sie die drei Gelübde der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams ablegen, betrachten sie sich als Laien, in dem Sinne, daß sie im Namen Christi Menschen unter den Menschen sein wollen, an ihren Leiden teilhaben, ihre Not begreifen und ihr Leben für sie hergeben. Sie sind in Zivil gekleidet und tragen einen Ehering: er ist das Symbol ihrer Vermählung mit den Armen.

Sie sagen zu mir: „Wir geben keime Almosen und üben keine Mildtätigkeit, wir lieben die Menschen, die wir aufsuchen; wir empfangen von diesen alten Leuten viel mehr, als wir ihnen geben, denn sie lieben uns.“

Vor 20 Jahren gab es nur einen einzigen „Kleinen Bruder“, den Mann, der will, daß man seinen Namen vergißt, um nichts weiter zu sein als der „Kleine Bruder Armand“. Heute gibt es 5000 auf der Welt, und mehrere Zentren — außer denen in Paris und dem übrigen Frankreich — in Europa. Afrika, Amerika.

Sie leben nur von Spenden, aber ihre Art zu geben hat anfangs die konservativen Gläubigen schockiert. Msgr. Feltin, der ehemalige Erzbischof von Paris, sagte: „Die .Kleinen Brüder' haben die Gieichsetzung aus dem Evangelium wörtlich genommen: ,Der Arme ist Christus.' Also erscheint ihnen für die, in denen sie dem Herrn begegnen, nichts schön genug.“

Der „Kleine Bruder“ Gabriel erklärt mir: „Wir pflegen zur diamantenen Hochzeit eines alten Ehepaares einen Diamantring zu schenken. Als das zum erstenmal bekannt wurde, wurden wir mit Kritik überhäuft.“ Er lacht und fügt dann hinzu: ..Aber das hat uns unser erstes Schloß eingebracht. Ein Offizier hat uns das seine geschenkt, eine ehemalige Abtei aus dem 12. Jahrhundert Er schrieb uns: .Das ist

wegen des Diamantrings — Sie haben micht gelehrt, auf welche Weise man schenken muß.'“

Die alten Leute, aus dem Pariser Gebiet und aus anderen Gegenden verbringen ihre Ferien auf Herrensitzen, die fast alle Geschenke da-stellen. Die „Kleinen Brüder“ beglel ten sie, betreuen sie und gestalten ihren Aufenthalt zu einem wunder baren Erlebnis. Die Alten 6agen „Ein Monat Ferien bei den .Kleinen Brüdern' bedeutet für uns fünf Monate herrlicher Einnerungen und sechs Monate Hoffnung.“

Das Dasein besser verstehe

Die „Kleinen Brüder“ werden In ihrer Aufgabe von zahlreichen Hilfs kräften unterstützt, Menschen jeden Alters, die trotz ihrer Berufstätigkeit ihre freie Zeit damit verbringen, Pakete zu packen und zu verschik-ken (sie verschicken 150.000 im Jahr, ohne die Kleidung, die Rundfunkgeräte und alles andere zu zählen was sie verteilen), bei Tisch zu bedienen und auch die alten Leute zu besuchen. Sie stellen darüber hinaus den „Kleinen Brüdern“ ihre beruflichen Kenntnisse zur Ver fügung, um dieser Gemeinschaft zu

helfen, ihre Tätigkeit in aller Welt auszuüben.

Im Sommer sind es vor allem die jungen Ausländer, die mit den „Klei nen Brüdern“ zusammenarbeiten kürzlich ist ein neuer Zweig geschaffen worden, die Assistenten: diese jungen Menschen werden einge laden, ein Jahr ihres Lebens in der Gemeinschaft zu verbringen. Sie bleiben im praktischen Leben, lernen jedoch ein anderes Gesicht der Welt kennen, das verborgenste, das aber der Wahrheit am nächsten ist,

Der „Kleine Bruder“ Gabriel sagte zu mir: „Selbst für diejenigen, die sich nicht endgültig verpflichten, ist dieses eine Jahr bei uns eine Lektion für das Leben, deren sie sich erinnern werden, um ihr Dasein und das ihrer Mitmenschen besser zu verstehen.“

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