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Wir hatten in der Schule das Lied gelernt „Nun scheiden wir mit Sang und Klang, du schöner Wald, ade…“ und die Verse „Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben …“. Wenn solche Herrlichkeit draußen versammelt wär, daß man darüber dichtete und sang, mußte ich .mir, was so billig zur Hand lag, ansehen. Ich zog durch Felder und Weingärten, und dann hatte mich plötzlich das grüne Wunder aufgenommen. Als ich noch keine zehn Schritte zwischen Haselbüschen und Eichen gegangen-war, im- Gelüft ungeahnten Laubduftes und frischäugiger Blumen, sprang ein Mann auf den Weg heraus, legte mich über, das Knie und schlug mich mit seinem Stock gewissenhaft. Ob das Wild mir gehöre, daß ich mich erfrechen könne, es zu schrecken und zu verjagen? Der Mann und ich schrien aus Leibeskräften. und alles Wild nah und fern-mag folglich entwichen sein. Als der Vater von meinem Waldgang erfuhr, bekam ich es daheim ein zweites Mal. Dies war . meine frühe Begegnung mit Eichendorff.

Bei Peter Rosegger las ich, daß er einmal eifrig für Fronleichnam tätig gewesen war. Blinkende, blätterselige Birkenstämme hatte er geholt. Ich nahm heimlich die Hacke und ging zum Bach. Gab es Schöneres als Robinien? Ich hatte jedoch den ersten. Stamm noch nicht ernsthaft getroffen, teufelte es arg hinter meinem Rücken. Ob man mir wohl die Hacke wegnehmen solle? Ich hielt es für Spaß und drehte mich lächelnd um. Aber Augenblitze, gerötete Wangen und der dicke schwarze Schnurrbart schrien weiter: die Robinien gehörten ihm, dem Bachnachbarn — was nicht Wahrheit war —, und ich könne sie mir nehmen, wenn ich im Winter Holz und Kohle brächte.

Verstört lief ich heim und warf die Hacke durch die Schuppentür.

Kein Glück hatte ich mit meinen Heimatgängen! Feindselig verhielten sich die Dinge und ließen sich auch durch redlichste Zuneigung nicht gewinnen. Und ich hätte Begegnungen und Erlebnisse so bitter nötig gehabt! Meine Kameraden waren ruhmeswerte Weltenfahrer gegen mich. Sie kannten Weg und Steige, wußten, wo man Süßholz grub, brachten Eichenkugeln aus dem Wald, Fal- triaun1 und Frauenschuh, Brombeeren und Schlehen aus den Hohlwegen und waren gewachsene Zoologen. Von Eulen, Falken, Elstern und Ammeringen, von Gritschen2, Mardern und Iltissen sprachen sie wie von Hühnern oder Gänsen, und sie hatten — man bedenke! — Schlangen gesehen. Der pure Niemand, stand ich in der Zehnerpause irgendwo am Rand, während sich Kreise bildeten, darin zwei oder drei auf einmal erzählten, was sie wieder Neues erkundet oder erfahren hatten. Ich durfte Felder und Weinberge nicht betreten und blieb der Tor, den man narren konnte, weil er kein Urteil hatte.

1 Maiglöckchen. ’ Hamster.'

. Einmal geschah das Erregendste. Zwei Monde waren plötzlich am Himmel, hoch oben ein sattgoldener großer, der durch Sterne, Nacht und Wolken fuhr, und unten am Waldsaum ein kleiner blasser, der zuerst von Wipfel zu Wipfel rollte, bald mühselig . wurde und schließlich auf der Baumkronenbahn steckenblieb. Jäh lösten sich auf der Gasse schrille Schreie: „Ein Luftballon!“ — , „Ein Luftballon!" — Und alles brach auf und rannte in die Nacht, obschon es bis hinauf zum Waldkamm gut zwei Stunden rüstig aüs- zuschreiten war. Gejagt lief ich heim: „Vater, ein Luftballon hängt im Wald, gehn wir hinaus!“ —•. In einer Sekunde waren die vertrauten Züge erstarrt: „Sofort essen und ins Bett!“ — Zornig schloß der Vater das Haus, auf daß mich der Sog der Süchtigen nicht weiter träfe. Inwendig trüb gingen die Tage hin im kargen Geviert des Erlaubten und Gebotenen, und die wehenden Aecker, die blitzenden Weinhügel, der tückische Wald und viele Geschehnisse schienen mir wie Verschworene, die mich nicht in Frieden atmen ließen.

Längst sind mir alle Heimatfahrten erschlossen und vertraut, doch als ich vor Tagen hinausgehe, wurzelt mein Schritt. Eine weite, hohe Hecke erblüht vor mir, hügelan, hügelab schwelgt sie in den Sommerlüften, eine grüne Hecke, gefügt aus abertausend Stämmen und Blättern von der Glätte, Größe und Farbe südlicher Fremden, dicht und breit übersprüht von rotem Geblüh: Tabak! Welches Geschenk dem Augenmenschen, welch neuer Hymnus im Weinland! Eine Kastanienallee zieht würdig dunkel hinter dem flammigen Oleanderschaum und der ungewohnt hellgrünen Ackerwand, doch wieder schließt eine Pflanzung an und wandelt die Feldmulde zum wickenroten See. Ich bin glücklich über den unerwarteten Gewinn und gehe den Feldweg zurück. Da rüttelt es im blauen Klee wie von einer Schnur gezogen, und den blaßgrünen Halmen, bis zu denen gemäht ist, entläuft Fuchsiges, Geschmeidiges. Es ist kaum zu glauben: ein stattlicher Iltis kam über die Kleestoppeln, trabt im Weggleis weiter, geradewegs auf mich zu, bester, schier fröhlicher Dinge, unbedacht und ohne Sorge. Heitere Kreatur in der Anmut behender Munterkeit und des rotbraunen Pelzes. Jäh hält er. Ich wünschte, dieses Gesicht, dieses bestürzte Iltisgesicht, solltet ihr gesehen haben! Und diese Flucht, dieses Entsetzen und das gejagte Hinläuten der dunkelblauen Kleeblüten, wieder hinein in den rettenden Acker. Und ihr solltet gesehen haben die Schönheit des Tieres im Behagen und im Schrecken. Günstling der Stunde, wandere ich am Saum einer Löß- terrasse weiter. Zwischen Weinbergen und Baumkulissen liegt im Tal der Markt. Heroben gleitet Weinlaub heran, unten kreist Stoppelfeld und gestürzter Halm. Unter Nußbäumen, Zwetschken und Robinien trete ich in die Kellertrift. Durchstrahlte Laubschirme hüllen vertraut den Weg. plötzlich spannt ~ch mein Blick: Bewegen sich Schrollme? — Ein Igel zieht beschaulich über den aufgefahrenen Humusweg, hoch die stachelige Kuppel tragend, die Beine — wie selten sieht man dies! — langgliedrig und wie Stelzen zwischen die Brockenhügel setzend, die ihm Wagenräder vor die Schritte legten. Leise gehe ich näher, aber der Waghals läßt sich ohnehin nicht stören. Es scheint, als wandere er spöttisch blitzender Aeuglein und vergönnender Tritte, vergnügt darüber, dem Naturgeschichtsbuch ein Schnippchen schlagen zu können, jenen überzeugten Blättern, darin er des Nachts sein Lager zu verlassen hat. Bald sind die Katarakte überwunden, und der Schelm trollt sich in die Gräser. Ich danke ihm, denn seine Vor- fahren sah ich nur als Leichname, wenn sie der einbeinige, schwarzmähnige Geigenzigeuner mit seinem Hund aufgestöbert und mit der Krücke erschlagen hatte.

Als ich hinter den Preßhausdächern heimwärts will, bleibt mein Betrachten in einer Bodentür haften, denn auf ihrer Schwelle hockt ein angeschimmelter Holzschwamm. Als ich denke, warum der wohl so hoch und chmal geraten sei, treffen mich glasgelbe Augen: der Schwamm ist eine Eule. Fast möchte ich prüfen, ob alles wirklich sei. Ein Weinauto steht unten in der Trift, Leute gehen, ein Pferdewagen fährt, und einen Steinwurf weiter sitzt die Eule im späten Nachmittag und bestarrt mich aus versteinerter Unergründbarkeit. Regloses, währendes Schauen, reglos wie Kralle und Flaum, obschon ich, bloß eine halbe Menschenhöhe darunter, jählings den Arm hebe. Wahrlich, so übel ersonnen ist die Vierheit nicht: die Eule, der Zauber, die Weisheit und der Tod.

Ich nehme den Zuruf eines Kameraden an, trete in den Keller und der naturgesegnete Tag, mitten im übervölkerten, bis zur letzten Krume ausgemessenen Menschenland, wird beredet und belobt. Flockiges Hausbrot, weißer Bauernspeck und dunkler Rotwein bilden ein kleines Tafelfest.

Den Heimweg überschlägt schon die Nacht. Flimmernder, schwarzblauer Samt, richtet sie sich hinter den kalkhellen Preßhäusern steil empor. Plötzlich steigen über der mährischen Grenze Leuchtkugeln auf, große Feuertropfen, Menschenmeteore. Lautlos, aus dem Nichts geschossen, entgleiten sie dem dunklen Horizont, blenden wie brennendes Gewöll und vergehen wie umgekehrte glühende Tränen.

Der Bahnhof ist atemlose Einsamkeit. Ueber dem beschnittenen Flieder stehen hoch oben zwei Robinienwipfel — die Stämme sind entästet — und zwischen den Wipfeln ruht voll und ganz der Mond. — Die Nacht entschärft die Konturen, die beglänzten Blattsträuße hängen bärtig schwarz. Dies gibt ein unwirkliches Landschaftsmotiv, und es ist, als läge zu den Wurzeln der seltsamen Mondbäume nächteweit und geheimnisvoll das Meer.

Vielleicht würde das Bild in den „Taugenichts“ passen. Reiche Nachbarschaft gewann ich ja diesmal zum Ahnherrn der Wanderfrohen und kann nun auch meine verhinderte Waldbauernbub-Nachfolge leicht verschmerzen. Ja, gewiß, ein Glückstag war dies heute, eine Glückskette. Ihr Glanz aber trübt sich sogleich: Schade, daß ich nicht mehr zur Schule gehe! Ihr Buben, was alles würde ich euch morgen erzählen!

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