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Verwunschene Kraft

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Kompliziert ist bei mir gar nichts - trotz meiner Durchtriebenheit, nein, gerade deswegen”, hatte Christine Lavant einmal Ludwig von Ficker anvertraut, dem Freund Georg Trakls, der genau 50 Jahre nach dessen Tod noch Lau-dator der Dichterin bei der Verleihung des Trakl-Preises werden sollte. Das ganze Ausmaß ihrer „Durchtriebenheit” wird deutlich, wenn sie erklärt: „... denn um durchtrieben sein zu können, muß man zuvor dumm und einfach sein.”

Neben unveröffentlichten Briefen der-nach Ficker- „größten lyrischen Naturbegabung” Österreichs an ihren Mentor wurde auf dem ersten Internationalen Christine Lavant-Sympo-sium, das im Mai in Wolfsberg im La-vanttal stattfand, auch die bislang unbekannte Korrespondenz mit dem Otto Müller-Verlag vorgestellt, die eine um ihre Interessen bemühte Schreiberin voller Witz und Ironie ans Tageslicht brachte.

Wo findet die anfangs von Rilke beeinflußte, doch früh schon eigenständige, eigenwillige Lyrik Christine Lavants ihren Platz in der Geschichte der Literatur? Die auf der Tagung vorgetragene Antwort - zwischen geistlicher Dichtung (inhaltlich) und Moderne (formal) - kann nicht zufriedenstellen. Zu sehr ist sie noch dem - darf man so sagen: prä-post-modernen - Schema Tradition oder Moderne, Aufklärung oder Religion, hier Jerusalem, dort Athen verpflichtet.

Doch mehr noch als die Lyrik, deren visionäre Klarheit und Kraft immer wieder Zweifel weckten, ob „die Verse wirklich dieser einfachen Frau zuzutrauen sind”, wie es Jeremy Adler aus London in Analogie etwa zu der Frage nach dem Autor „hinter” den Werken William Shakespeares formulierte, stand die nahezu unbekannte Prosa der Dichterin im Vordergrund des Symposiums. Die große Entdeckung hier war der frühe Roman „Baruscha”, der sich als Christine Lavants „Malina” bezeichnen läßt.

Wachsende internationale Aufmerksamkeit auf die Dichterin bezeugte eindrucksvoll die Anwesenheit von Übersetzern aus Großbritannien, Italien und Slowenien, die ihre Übertragungen des Gedichts „Horch! das ist die leere Bettlerschale” zur vergleichenden Betrachtung vorlegten. Schade nur, daß französische Übersetzer Lavants, Altmeister Philippe Jac-cottet etwa, nicht zugegen waren.

Am Bande der Tagung erfuhr man, daß der dichterische Nachlaß Lavants, noch voller unbekannter Texte, nach einiger Verzögerung nun endgültig vom Land Kärnten angekauft und als Dauerleihgabe dem vor zwei Jahren gegründeten Bobert Musil-Institut der Universität Klagenfurt/ Kärntner Literaturarchiv zur Verfügung gestellt wurde, für das derzeit Räume im Musil-Haus adaptiert werden. Auch die Finanzierung der Arbeit an der projektierten Gesamtausgabe durch den Fonds zur Förderung von Wissenschaft und Forschung ist gesichert - allerdings vorerst nur für zwei Jahre.

In Kürze wird die Christine Lavant-Gesellschaft, die bereits ein Jahr nach ihrer Gründung hundert Mitglieder zählt, ihrer Tätigkeit einen weiteren Akzent verleihen: der Name der ehemaligen Trakl-Preisträgerin steht nun einem eigenen Lyrikpreis in Höhe von 100.000 Schilling und zwei Förderangspreisen zu je 50.000 Schilling voran, die im September in Wolfsberg verliehen werden.

Eine fünfköpfige Jury, zu der auch H. C. Artmann gehört, wird in der Endrunde nach einer zweitägigen Lesung mit Diskussion, in die auch das Publikum eingebunden werden soll, die Preisträger in geheimer Wahl ermitteln. Es liegen bereits über 400 Zusendungen vor. Hatte nicht Christine Lavant einst gedichtet: „Steige, steige, verwunschene Kraft...”?

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