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Verzweifelte Kunst

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Am,31. Oktober jährte sich zum dreißigsten Male der Todestag Egon Schieles, eines der bedeutendsten Maler, den die österreichische Moderne besessen hat; diesem Anlaß ist die Ausstellung seiner Graphiken in der Albertina und eine umfangreiche Schau von Ölbildern in der Neuen Galerie in der Grünangergasse gewidmet.

In der österreichischen Malerei ist Schiele einsam; er hat keine Vorläufer, denn Klimt, dem er freilich vieles zu verdanken hatte, schuf noch aus anderen Voraussetzungen und unter anderen materiellen und geistigen Bedingungen. Er hat auch keinen Nachfolger gefunden, wenn auch manchen Nachahmer. Doch stand er nur als Maler allein, nicht als Künstler: in Georg Trakl findet sich ein Wiedergänger Schieles in der Lyrik. Die Übereinstimmungen im Werk beider sind erstaunlich. Sie gestatten es, den Maler durch den Dichter, den Dichter durch den Maler zu erklären, und beweisen, daß in den wenigen Jähren, in denen die beiden fast gleich alten Männer ihr Werk schufen, die Kunst sich in einer für den Künstler schrecklichen Situation befand.

Trakl hatte etwas auszusagen, das sich mit den gewöhnlichen Mitteln der Sprache nicht ausdrücken ließ, sondern der Chiffrierung bedurfte, um ertragen werden zu können. Seine bedeutendsten Gedichte sind in einer Geheimschrift geschrieben; einiges läßt sich übersetzen und das erzählt von fürchterlichen Dingen. Trakl gleicht einem, der von drohendem Verderben weiß und mit seiner Warnung eine Stadt retten könnte, aber von den Gefährdeten nicht verstanden wird, weil er nicht in ihrer Sprache sprechen kann. Der beschwörende Ton ist auch in jenen Gedichten nicht zu überhören, deren Inhalt undeutbar bleibt. Nicht anders verhält es sich mit Schiele. Man betrachte die Figuren auf seinen Zeichnungen, vor allem die vielen, zu denen sein eigenes Spiegelbild Modell stand: Die Augen, zugekniffen, schielend oder weit auf-gerissen, wollen Signale geben, die Finger sind zu Buchstaben einer unbekannten Zeichensprache gespreizt und gekrümmt. Jede Linie, jede Geste und jeder Farbfleck ist überdeutlich und scharf akzentuiert, als wäre das, was sie mitteilen wollten, von unnennbarer Wichtigkeit. Selbst ganze Körper werden bisweilen zu Hieroglyphen verbogen und zerbrochen. Doch geht es dem Beschauer, als beobachte er die Verständigungsversuche eines Taubstummen. Er versteht das eine und ahnt das andere — das ganze und den Zusammenhang kann er nicht enträtseln.

Daß diese Signale, die noch vor dem ersten Weltkrieg und in einer Zeit scheinbarer Sicherheit gesendet wurden, wirklich Gefahren ankündigten, bedarf keines Beweises mehr; und die Tatsache, daß das Werk Schieles erst anerkannt wurde, als der ganze Umfang dieser Gefahren zu erkennen war —- im letzten Kriegsjahr nämlich und knapp vor seinem Tod — spricht für sich selbst. Bedarf es weiterer Beispiele, um die Kunst als untrügliches Manometer künftiger Ereignisse zu begreifen?

Zwei Komponenten also sind es, aus denen die Kunst Schieles resultiert: der Drang, vor dem Herannahenden, das die Seele des Künstlers, dieses feinste aller Instrumente, registriert, zu warnen — und die Erkenntnis,

nicht sprechen zu können, weil er in einsamer Abgeschlossenheit lebt; einer Abgeschlossenheit, . die aus der Kenntnis soziologischer, weltanschaulicher und kultureller Entwicklungslinien, die das ausgehende 19. und beginnende 20. Jahrhundert durchziehen, ohne weiteres verständlich wird. Der Trieb zur Deutlichkeit macht Schieles Bilder und graphische Blätter klar und übersichtlich. Mit einem Blick ist alles Wesentliche zu erfassen, auch die Übertreibung und Verzerrung dient nur der besseren Lesbarkeit. Gleichzeitig aber ist alles in sich abgeschlossen, umrahmt, jeder Bildteil ist vom anderen scharf abgehoben und eingegrenzt. Es besteht der Zwang, zu kristallisieren, an die Stelle runder und verbindender Kurven trennende Geraden, statt ausbuchtender Konkaven einschneidende Konvexen zu setzen. Es ergeben sich bisweilen Brechungen, als betrachte man das Modell durch ein Kristall; nicht zufällig findet sich auch in der Traklschen Lyrik das Motiv des in ein Kristall eingeschlossenen Menschen in verschiedenen Variationen.

Ein solches Schicksal — sprechen müssen und sich nicht verständigen können — führt notwendig zu einer Verzweiflung, die etwas Höllisches an sich hat und der nicht zu entrinnen ist. Sie drückt den Versen des Dichters und den Bildern des Malers ihre glühenden Stempel auf und läßt nur das zu, was zwischen tiefer und erstarrender Trauer und dem rasenden, vor nichts zurückschreckenden Exzeß entstehen kann. Eine solche Verzweiflung rührt an die Grenze des Wahnsinns: Georg Trakl hat sie übertreten, Schiele zumindest berührt.

Und dennoch gab es für beide eine Erlösung: bei Trakl ist ihr Ursprung schwer faßbar, weil sie aus dem Immateriellen und von oben kommt. Bei Schiele liegt ein äußerer Anlaß vor, seine Heirat. Bei beiden war diese Erlösung in kurzem Abstand vom Tode gefolgt:- ein wahrhaft tragischer Zusammenhang und wie alles Tragische von einer tiefen, aber nicht unversöhnlichen Bedeutung.

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