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S panien gehört zu den drei oder vier europäischen Nationen, deren Filmerzeugnisse so gut wie nie über die eigenen Landesgrenzen hinausreichen. Es ist falsch, anzunehmen, daß einzig und allein eine' drakonische Zensur die Schuld an dieser Misere trägt. Gewiß spielt die Zensur in allen Bereichen des kulturellen Lebens eine wesentliche Rolle; trotzdem ist Spaniens Filmmisene in der Hauptsache auf die Interessenlosigkeit der wenigen Produzenten und Regisseure zurüdczuführen. Dem Zwang der Zensur haben sich die Produzenten in ihrer Furcht, die Lizenz zur Herstellung eines Films nicht zu erhalten oder vor derartigen Zensurkürzungen, die ihren Film praktisch unbenutzbar machen würden, insofern angepaßt, als sie einen direkten Druck auf ihre Untergebenen ausüben. Die Drehbuchautoren und Regisseure wieder passen sich in der Furcht, die Gunst der wenigen spanischen Produzenten zu verlieren, diesen niedrigen Ansprüchen an und produzieren so leblose Themen, so farblose Charaktere und blutleere Worte, wie man es selbst bei ganz jungen Filmnationen heute nicht mehr beobachten kann. Die Darsteller, Kameramänner und das übrige technische Personal wahnen ausschließlich ihre persönlichen Interessen und sind bestrebt, sich von jeder künstlerischen Anstrengung zu distanzieren. So ist es nicht verwunderlich, daß die gegenwärtigen spanischen Filme nichts weiter als Stilkunstübungen in Randmilieus sind. Wohl spiegeln sie einige Probleme des sozialen und gesellschaftlichen Lebens wider, aber sie reduzieren diese Probleme oft zu nichtssagenden, ausdruckslosen Szenen.

Typisch für die spanische Filmproduktion der letzten Saison ist Bardems Film „Das mechanische Klayier“, der in Madrid die ausländischen Besucher sehr enttäuschte. Das wirklich fachkundige Publikum unter den Spaniern fragte sich jedoch viel nüchterner; Was sollte man eigentlich Besseres von ihm erwarten? Hat er nach der „Hauptstraße“ seinen großen Namen je wieder gerechtfertigt?

Die andere, ebensowenig vollendete Seite repräsentierte Sumers mit seinem „Mädchen in Trauer“. International errang dieser Film des jungen Anfängers nur ©inen Achtungserfolg. Aber hier ist alles so echt, so wirkliches Spanien, daß die Spanier selbst dieses Mädchen in Trauer nur zögernd annahmen. Im Erstaufführungstheater lief dieser Film ganze 36 Tage. Die Spanier fühlten sich zunächst abgestoßen von der gleichgültigen Tristesse ihres Lebens und entdeckten erst in den Stundenkinos die Anziehungskraft dieses Spiegels ohne Göldrahmen.

Zu lange hatte man das Publikum in Madrid und Barcelona und mehr noch auf den Dörfern an den verstaubten, überzuckerten Göldrahmen spanischer Geschichte gewöhnt, an Stücke mit qualvoll heroischen Dialogen oder mit der „Sozialkritik“ junger Priester einer scheinbaren Moderne. Und jetzt kommt dieser Sumers mit seinen 25 Jahren und hält seinem Publikum den billigen Handspiegel des Alltags vor. Seine photographierte Kritik, die nichts weiter als der Wahrheit des Bildes dienen soll, sein Kontakt mit dem, was

Ein besonderes Problem stellt auch das absolute Fehlen jeder Einigkeit unter den spanischen Filmschaffenden dar. Die Gewerkschaft der Schauspieler, die der Förderung der Interessen der Filmberufe dienen soll, richtet ihre Protektion in eine Linie, die nur jene unterstützt und bevorzugt, die zur Zeit ihrer Gründung vom Film lebten, ohne sich im geringsten darum zu kümmern, ob diese Personen der spanischen Filmkunst überhaupt nützlich waren oder noch sind.

Jeder spanische Filmschauspieler, der nach einem harten, langjährigen Kampf sein Ziel erreichte, fühlt sich von den nachfolgenden jüngeren Künstlern bedroht, die eroberte Position zu verlieren. So vermeidet er jedes Gespräch mit ihnen, was oftmals zur vollkommenen Isolierung führt. Keiner der spanischen Filmschaffenden fühlt sich verantwortlich für den Film als Kunstform, sondern ausschließlich für das, was sein eigenes Fach angeht. Der Kameramann ist zufrieden, wenn seine Aufnahme gut ist, obwohl der Film in seiner Anlage eine ganz andere erforderlich machen würde. Der Regisseur wieder berät sich nicht mit dem Kameramann und den Toningenieuren. So ergibt es sich von selbst, daß der gegenwärtige spanische Film, wenn auch auf seinen einzelnen Gebieten Fachleute tätig sind, als Ganzes (gesehen resultatlos bleibt.

Diese Isolierung der Berufsschauspieler und Regisseure besteht allerdings nicht nur unter ihnen selbst, sondern — und dies sogar in erhöhtem Maße — zwischen ihnen und den Theoretikern und Intellektuellen. Der spanische Berufsschauspieler ist der festen Überzeugung, der einzige zu sein, der den Film wirklich erfaßt. Auf der anderen Seite will aber der Autor die Verdienste des Berufeschauspielers nicht anerkennen. Diese gegenseitige Gleichgültigkeit und Nichtachtung und das daraus resultierende Verhalten jeder einzelnen Gruppe verhindert natürlich das Einverständnis der Gesamtheit.

Es stellt sich nun die Frage, ob es für den spanischen Film nach derart düsteren Erwägungen überhaupt einen Hoffnungsschimmer gibt. Tatsächlich wartet man in Spanien auf einen nachhaltigen Vorstoß der jungen Generation, und keiner zweifelt daran, daß diese junge Generation rasch ihr Profil erreichen würde. Schon heute gibt es eine ganze Reihe interessanter Filme, gedreht von Ferreri, Saura, Bunuel, Berlanga, El Castillo, La Boda, Picazo und Bardem, um nur einige Namen zu nennen, die einen erbitterten Kampf um die Autfführungsbewilligung mit der Zensur kämpfen. Zwar haben diese Streifen, von uns aus gesehen, keine sporadischen Anstrengungen aufzuweisen, sie reichen weder vom Sujet noch in der künstlerischen Gestaltung an den internationalen Durchschnitt heran, aber sie sind doch das Resultat eines Druckes, den die jungen Leute immer stärker auszuüben beginnen.

Die Vorbilder der jungen Filmgeneration Spaniens sind fraglos Luis Berlanga, Luis Bunuel und eben der Bardem der „Hauptstraße“ und des „Tod eines Radfahrers“. Sie sind nicht fixiert an die spanische Tradition. Immer wieder starren sie auf die in Synchronstudios malträtierten Streifen von Godard, Chabrol, Truffaut oder von Antonioni, Fellini oder Zuriini. Und natürlich interessiert sie aus den Vereinigten Staaten nur die New Yorker Avantgarde. Ihre eigenen Chancen waren in der vergangenen Saison „Das Spiel der Gans“ von Sumers und „Tante Tula“ nach einer Novelle von Unamuno, gedreht von Miguel Ricazo. Sicher sollte man in diesem Zusammenhang auch noch Jorge Grau mit seinem Feature „Acteon“, Julio Diamontes „Kunst zu leben“ und Carlos Sauras Film über jugendliche Banditen „Los golfos“ erwähnen. Trotzdem kann man natürlich nicht

U nter den Produktionsfirmen, die den jungen Regisseuren am ehesten offenstehen, rangiert Eco wohl an erster Stelle. Die Eco-Produktion focht für den jungen Regisseur Luis Borau ziemlich hartnäckig einen Strauß mit der Zensur aus. Insgesamt drehten die immerhin 60 Produktionsfirmen im vergangenen Jahr 123 Filme in Spanien, davon 62 in internationaler Koproduktion.

Unter den Filmen des vergangenen Jahres machten auch zwei Dokumentarstreifen besonders von sich reden: „Franco, ese hombre“, dessen Titel einen „Franco, wie ihn keiner kennt“ erwarten ließ, der sich aber als eine gute Dokumentation eines halben Jahrhunderts spanischer Geschichte präsentierte. Von den trostlosen marokkanischen Kriegen bis zu der Abfuhr, die Franco im Jahre 1940 einem wütenden Hitler auf dem Bahnsteig von Hendaye forsch lächelnd erteilte.

Das „Sterben in Spanien“ dagegen bildete eine schlechte Antwort auf das in Paris von Frederic Rossif zusammengestellte „Sterben in Madrid“. Gerade der spanische Film zeigt einmal mehr, daß eine Tendenz immer nur wieder eine Tendenz herausfordert: Er begnügt sich nämlich mit einer Dokumentation über die Greuel der „Roten“.

Es muß auch noch auf zwei bedeutende Sammelpunkte für die jungen spanischen Filmschaffenden hingewiesen werden: einer ist der Cine-Club „Seu“ und der andere der Cine-Club „Monterols“ von Barcelona. Jahre hindurch waren diese beiden Vereinigungen das tragende Element der Unruhe unter den jungen Filmkräften. Aus ihnen sind auch die Herausgeber der Zeitschriften „Cinema Universitario“ und „Dokumentes Cinematograficos“ hervorgegangen. Überdies war der Cine-Club „Monterols“ Förderer und Direktor der Büchersammlung des Films „Riaip“. Von ihm wurden in einem Zeitraum von nur vier Jahren nicht weniger als 28 Bände mit Texten von Eisenstein, Pudovkin, Bazin, May, Randini, Viazzi, Galovnia, D’Yvoire und vielen anderen herausgegeben.

Zu nennen wäre auch noch das Institut für Nachforschungen und Erfahrungen in der Filmbranche ,,L’ Idee“. Aus ihm gingen Spaniens profilierteste Regisseure Bardem und Berlanga hervor. Unter der Direktion von Sanez de Heredia erhielt dieses Institut einen neuen Impuls, und die von ihm realisierten Filme haben lebhafte Diskussionen in der spanischen Filmwelt ausgelöst. Auch 'hat sich eine ganze Reihe von neuen Namen den Weg durch den Dokumentarfilm gebahnt. Hier sind vor allem zu nennen Saura, Fernandez, Santos, Toran, Querejeta, Font, Fellu Egido und Patino, die sich weit über das Mittelmaß in diesem Genre erhöben. Doch gerade der Dokumentarfilm ist in Spanien — nicht zuletzt aus politischen Motiven — stark vernachlässigt worden. Zur Zeit wird ein Gesetz vorbereitet, das die Kinobesitzer Spaniens dazu verpflichten soll, auch spanische Dokumentarfilme aufzuführen. Die Aufgabe dieses Gesetzes soll in einer „Verteidigung“ der spanischen Dokumentarfilmproduktion bestehen und die neuen Talente, die mit dem Dokumentarfilm debütieren, in ihrer Arbeit zu ermutigen.

In Spanien ist man heute davon überzeugt, daß eine „Überflutung von intelligenten Werken“ die Zensur zu Fall bringt, zumindest jedoch eine einschneidende Änderung ihres Kriteriums herbeiführt. Der außerordentlich behende Informations- und Touristenminister, Fraga Iribarne, den viele für liberal halten, hat die Zensur bereits gelockert, das heißt, er legte erst einmal Richtlinien fest. Außerdem sorgte er dafür, daß der Staat auch die Filmindustrie mit Krediten und Subventionen unterstützt. Ein neues Filmgesetz, das am 1. Jänner dieses Jahres in Kraft trat, und das sich auch mit der wirtschaftlichen Seite des spanischen Films beschäftigt, läßt schon jetzt gute Früchte erkennen.

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