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Viennale 1970

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Um es gleich vorwegzunehmen: die Wiener Filmwoche, allgemein schon Viennale“ genannt, bot in diesem Jahr — zum ersten Male, seit die Veranstaltung aus den Händen des Verbandes der Filmjournalisten in die Belange der Stadt Wien übergegangen ist — ein Programm, von dem eintasten befriedigt sein dürften, eine Auswahl, die es gestattet, den Vergleich mit einer Filmwoche wie etwa der Oberhausener zu ziehen. Von den sechzehn vorgeführten Filmen sind fast zwei Drittel festivalreif, was ein durchaus den internationalen Gegebenheiten angepaßtes Niveau darstellt.

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Um es gleich vorwegzunehmen: die Wiener Filmwoche, allgemein schon Viennale“ genannt, bot in diesem Jahr — zum ersten Male, seit die Veranstaltung aus den Händen des Verbandes der Filmjournalisten in die Belange der Stadt Wien übergegangen ist — ein Programm, von dem eintasten befriedigt sein dürften, eine Auswahl, die es gestattet, den Vergleich mit einer Filmwoche wie etwa der Oberhausener zu ziehen. Von den sechzehn vorgeführten Filmen sind fast zwei Drittel festivalreif, was ein durchaus den internationalen Gegebenheiten angepaßtes Niveau darstellt.

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Selbstverständlich läßt sich im Detail über die einzelnen Beiträge diskutieren, doch schon Bunuels reife Autoretrospektive „La voie lactäe“ (Die Milchstraße), Bo Eiderborgs poetisch-sozialkritische Dokumentation Idolen 31“ und Peter Fleischmanns grausig-sezierende Studie „Jopdszenen aus JViederbaj/em“ ergeben ein halbes Festival. Rechnet man noch den unvermeidlichen Jean-Luc Godard dazu, „One Plus One“, von dem wohl kein Kritiker den Mut haben wird, ihn als Schaumschlägerei zu denunzieren, Jugoslawiens düsteren Rechenschaftsbericht „Wenn ich tot und bleich bin“ von Zivojin Pavlovi6, „Lucio“, den ersten kubanischen Film in Österreich und wohl nur deshalb interessant (es gibt bessere Filme aus diesem Land!), den Doku-mentarspielfllm ,Medium Cool“ aus den USA und Claude Chabrols Kri-minalfllmversuch „Die untreue Frau“, und als Versüßung Bruno Bozzettos gekonnten Zeichenfilm „VIP, mio fratello superuomo“ dar-übergestreut, so ergibt das Ganze eine zwar für das Wiener Publikum kaum sehr anziehende, doch für anspruchsvollere ^ineasten appetitliche Mischung, deren Notwendigkeit zwar nicht belegt, deren Möglichkeit aber zur Kenntnis genommen werden kann. Da aber für eine Wiener Filmfestwoche ja eigentlich überhaupt keine Notwendigkeit besteht (die zwei österreichischen Beiträge, grausam, dilettantisch und amateurhaft, doch dafür von Wiener Steuergeldern subventioniert, bewiesen aufs neue, daß Österreich kein Boden für die Muse „Kineia“ ist!), sie also nur ad maiorem gloriam — wessen, sei verschwiegen — zelebriert wird und praktisch ohnedies unter Ausschluß der breiten Öffentlichkeit stattfindet (für offiziell zugegebene 770.000 Schilling), kann das lokalpatriotische Gewissen mit der Feststellung des programmlichen Niveaus beruhigt sein.

Diese bunte Mischung unter ein Motto zu stellen, ist allerdings etwas vermessen — oder, besser, „sehr fraulich“, und erinnert an die Methode betulicher Hausgeister, die alles, womit sie nichts anfangen können, brav in ein Schächtelchen verstauen und dies dann irgendwie etikettieren: „Gesellschaft und junge Generation“, verkündete Frau Vizebürgermeister und Kulturstadtrat Sandner, könnte man aus den gezeigten Filmen resummieren — doch, sei's drum ... Immerhin, die Pseudo-modernität einiger Beiträge mag diesen Schluß zulassen, auch die Einbeziehung eines merkwürdigen Programmteiles unter dem eher komischen als ernst zu nehmenden Titel „Zehn Jahre neuer österreichischer Film“, in Nachtvorstellungen verbannt, womit wieder einmal die Auf' geschlossenheit der Stadtverwaltung gegenüber den Problemen der Ge genwart dokumentiert war (und, fre nach Grillparzer, „gutmachte, wa; andere verdarben“, indem sie siel über Hollaender-Chansons entrüste ten). Da drum sei's gerne...

*

Die für ein großes Festival doch un erläßliche Retrospektive findet aucl statt — wenn auch nicht unbeding während der Viennale, so immerhii im Laufe des April in den eigene] Räumen der Veranstalter, womi vermutlich der kommerzielle Erfolj gesichert sein dürfte. Nichts gegei Howard Hawks und dessen zweifei los meist bemerkenswerte Filme eine im Rahmen der Viennale ge botene Auswahl seiner frühen und hierorts unbekannten Hauptwerke ist unbedingt vertretbar: doch hier Filme, wie die in jedem Kino laufenden „Rio Bravo“, „El Dorado“, „Rote Linie 7000“, „Hatari“ usw. zu zeigen, die „Zuckerln“ (aus den dreißiger Jahren) für eigene Veranstaltungen aber aufzusparen, zeugt von bemerkenswert tüchtigem Geschäftssinn. Auch über die völlig unfachliche und lückenhafte Auswahl der Filme, bei der Quantität Qualität (sicher bei vielen Kritikern sehr erfolgreich!) vortäuschen soll, müßte diskutiert werden; doch wozu? Die im Ausland schon längst gewonnene Erkenntnis von der hierzulande noch immer zum System erhobenen „protegierten Überheblichkeit“, die echtes Fachwissen doch niemals wirklich zu ersetzen vermag, dringt bei uns erst dann durch, wenn ein öffentlicher Skandal nicht mehr vertuschbar ist...

Diese üblen und anscheinend aus Prestigegründen unvermeidbaren negativen Randerscheinungen, wohl nur dem Kenner durchschaubar, mögen jedoch das immerhin schon wesentlich hellere Bild der heurigen Viennale (wenn auch das Werbeplakat in düsterem Schwarz und nicht in fröhlichem Rot gehalten war) nicht ganz zu verdunkeln; wenn man im nächsten Jahr endlich auf ein völlig überflüssiges „Motto“, auf eine krampfhafte Modernität und unnötiges Beiwerk zu verzichten und Filme zu beschaffen imstande ist, die nicht nur ein linksorientiertes Cineastenpublikum, sondern auch dos Wiener Kinopublikum in den Kinosaal zu locken vermögen, soll der „Viennale“ die volle Anerkennung nicht versagt sein, die in diesem Jahr leider noch immer nicht erreicht wurde.

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