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VIER FRAGEN AN EGON WEH ES7.

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FRAGE: Wie sehen Sie selbst die Phasen Ihrer Entwicklung als Komponist?

ANTWORT: Mein erster bestimmender Eindruck war die Erscheinung Mahlers, sein Dirigieren und seine Musik. Unter diesem entstanden meine ersten, noch tastenden kompositorischen Versuche. Dann kam die Lehrzeit unter Schönberg, und damit erhielt meine musikalische Sprache ihre Formung. Dabei muß ich betonen, daß Schönberg, in vielen Belangen höchst autokratisch, doch weit davon entfernt war, seinen Schülern einen bestimmten Stil aufzuoktroyieren.

In meine Frühzeit fallen schon einzelne Werke, wie die Drei Skizzen“ (1911), die in ihrer gedrängten Formulierung auf einen viel späteren Stil hinweisen, bis hinauf zu den kürzlich entstandenen „Miniaturen“ für Violine und Klavier und der „Vision“ für Sopran und Orchester. Gleichzeitig begann schon damals in mir der Drang nach dramatischer Produktion, dem ich noch vor den Lehrjahren bei Schönberg in mehreren fragmentarischen Versuchen nachgegeben hatte.

Trotz meiner leidenschaftlichen Bewunderung für Wagner, den Mahlers unvergeßliche Aufführungen mir so nahe gebracht hatten, wußte ich, daß mein Weg von ihm wegführen mußte. Mir stand als Ideal eine Form der Oper vor Augen, wie sie Wien in den Werken Glucks besessen hatte, die aber ohne Nachfolge geblieben waren. So entstand meine erste Oper „Die Prinzessin Girnara“, deren Text ich Jakob Wassermann verdanke, so meine drei Bühnenwerke: das Ballett „Achilles auf Skyros“, die Oper „Alkestis“, beide zu Texten Hugo von Hofmannsthals, und das Tanzdrama ,JDie Opferung des Gefangenen“, von Eduard Stucken dem einzig erhaltenen altmexikanischen Drama nachgedichtet. Diese drei Werke nannte ich in Gedanken meine „heroische Trilogie“. „Alkestis“ und „Opferung" wurden meistens am gleichen Abend aufgeführt. Vieles, was in mir zum Ausdruck gedrängt hatte, gelangte in diesen Jahren zur Reife und fand in Gesprächen mit Hofmannsthal Bestätigung und Förderung. Ihm verdanke ich auch die Anregung zu meiner Bearbeitung der Euripi- deischen Bakchen. Ich empfand meine Oper „Die Bakchan- tinnen“ als den Abschluß dieser dramatischen Schaffensperiode, in der es mich drängte, fern von aller Psychologie, mythische Stoffe in klare, einfache, oft blockhafte Formen zu fassen.

In den letzten Jahren vor dem Umbruch, die schon von politischen Unruhen erfüllt waren, schrieb ich hauptsächlich Dinge für Chor und Orchester, vor allem die Kantate: „Mitte deš Lebens“, zwei Messen und die symphonische Phantasie „Prosperos Beschwörungen“.

Dann kam die lange Pause: meine Übersiedlung nach England und der Ausbruch des Krieges. In diesen Jahren schien es mir, als würde ich nie wieder die Kraft haben, zu komponieren; die Inspiration schien versiegt. Ich kehrte alle Energie meiner wissenschaftlichen Tätigkeit zu, und in dieser Zeit entstanden Bücher und Aufsätze über die Musik des byzantinischen Reiches.

Dann aber kam der Frieden, und mit ihm der Ausbruch einer erneuten kompositorischen Tätigkeit, mir selbst unerwartet. Ich schrieb innerhalb weniger Wochen meine erste Symphonie. Damit war der Bann gebrochen und es entfaltete sich eine Schaffenstätigkeit, die in immer steigendem Maße bis zum heutigen Tag andauert.

FRAGE: Wurden Sie während der letzten 20 bis 25 Jahre, von denen man hier am wenigsten weiß, in ihrem Schaffen von der neuen Umwelt, speziell von der englischen Musik, beeinflußt?

ANTWORT: Oft fallen mir die Worte der Goethesčhen Iphigenie ein: „Das Land der Griechen mit der Seele suchend." Ich bin und bleibe ein österreichischer Komponist. Von meinem stillen Haus in Oxford aus gesehen, steht mir gewissermaßen ein verklärtes Österreich vor Augen, das mein Schaffen inspiriert.

FRAGE: Empfinden Sie einen Unterschied zwischen dem

Schaffensprozeß etwa eines Dreißig- oder Vierzigjährigen und dem eines Künstlers zwischen 70 und 80?

ANTWORT: Ich finde, daß mit zunehmendem Alter der Prozeß des Schaffens mir immer selbstverständlicher wird. Es ist ein fast sturzartiges Hervorbrechen von Ideen, die festzuhalten meine Hand oft kaum imstande ist. Die Skizze meiner 6. Symphonie habe ich in kaum drei Wochen niedergeschrieben. Selbstverständlich folgen dem ersten Entwurf immer längere Zeiten sorgsamer Ausarbeitung. Meine letzte Arbeit ist eine geistliche Kantate („Mirabile Mysterium“) die auf eine Dichtung des Sophronius zurückgeht, der im 7. Jahrhundert Patriarch von Jerusalem war. Es ist das älteste Weihnachtsmysterium, das ich vor vielen Jahren schon in byzantinischen Handschriften gefunden und veröffentlicht hatte.

FRAGE: Welche Erfahrungen haben Sie, was Aufführungen betrifft, in England und in Ihrem Vaterland Österreich gemacht?

ANTWORT: Ich wäre undankbar, wenn ich mich über die Aufnahme meiner letzten Arbeiten beklagen würde. Ich muß aber gestehen, daß es mir schmerzlich ist, meine Opern, besonders die „Alkestis“ und die „Opferung“, die seinerzeit so viele Aufführungen erlebt haben, jetzt nahezu gänzlich vernachlässigt zu sehen. Wie lebendig die „Alkestis" wirkt, hat die Aufnahme gezeigt, die das Werk vor einigen Jahren gefunden hat, als es in Wien an der Akademie für Musik und darstellende Kunst auf geführt wurde. Ferner möchte ich die Wiener Radioaufführung unter Caridis erwähnen, die über eine Anzahl deutscher Sender gegangen ist und auch von der B. B. C. übertragen wurde. So erfreulich diese Aufführungen waren — sie können doch nicht als Ersatz gelten für eine lebendige Aufführung an einer unserer großen Openibühnen,

wie sie mir schon öfters versprochen wurde. Ist es an dem, daß ich alle Hoffnung aufgeben muß?

POST SCRIPTUM: Auf den Kunstseiten der „Furche“ wurde das Werk von Egon Wellesz wiederholt eingehend gewürdigt — nicht ohne die Absicht (und die Hoffnung), es auch den Leitern unserer Opernhäuser und dem Direktorium der Salzburger Festspiele in Eninnerung zu rufen. Denn gerade der Musikdramatiker Wellesz hat in dem Jahrzehnt von 1921 bis 1931 (Konzeption des Balletts „Achilles auf Skyros“, Uraufführung der „Bakchantinnen“ an der Württem- bergischen Staatsoper) Werke geschaffen, deren Form und Stil — um nur davon zu sprechen — zwanzig Jahre später als dernier cri gepriesen und angepriesen wurden. Jeden vordergründigen Realismus meidend, geht es dem Autor um die Darstellung allgemeinmenschlicher Situationen und Konflikte. Aber nicht auf psychologischer (oder psychopatholo- gischer) Ebene, sondern objektiviert, als Mythus. „Episches Theater“ also? Keineswegs. Denn Wellesz ist, wenn er für die Bühne schreibt, ein impulsiver Dramatiker. Nie gibt es bei ihm das, was man als „kultivierte Langeweile“ bezeichnen könnte. Und was die musikalische Substanz betrifft, so konnten wir uns bei der Schüleraufführung der „Alkestis“ im Akademietheater (1959) und bei der konzertanten Aufführung der „Bakchantinnen“ durch den österreichischen Rundfunk (1960 und 1966) davon überzeugen, daß diese originell und „neu“ ist, wie am ersten Tag — was man nicht von sehr vielen Werken aus dieser Zeit sagen kann. Eine sorgfältig vorbereitete Aufführung der „Heroischen Trilogie“ oder einer ihrer Teile würde jedem ambitionierten Opernhaus zur Ehre gereichen und besser zu verantworten, als der Griff nach dem Allerneuesten — wobei es dann oft nur zu einer Ur-Derniere kommt. — Egon Wellesz ist 82 Jahre alt. Wir möchten ihn recht bald vor dem Vorhang der Wiener Staatsoper oder dem des neuen Salzburger Festspielhauses sehen.

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