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Vier Parteien suchen einen Capo

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Nur zögernd betrat der Frühling in diesem Jahr auch jenes Land, in dem er, zumindest nach der Aussage aller Reisebüroprospekte, eigentlich immer zu Hause sein sollte: Italien. Dieselbe Verhaltenheit legt die Bevölkerung der Apenninenhalbinsel gegenüber dem großen, für den 25. Mai festgesetzten Urnengang an den Tag. Wenn unlängst eine neue Wiener Wochenschrift sich aus Italien von einem „überbordenden Wahlkampf“ berichten ließ, bei dem „keine Plakatsäule, keine Hausmauer, keine Ruine, kein Baumstamm, kein Gartenzaun und fast kein Auto von Wahlplakaten verschont bleibt“, so weiß man wirklich nicht, wo der Korrespondent seine Augen gehabt hat. Wer, wie der Verfasser dieser Zeilen, Gelegenheit hatte, in den letzten Wochen von Südtirol kommend, bis tief . hinunter in den Mezzogiorno den italienischen Stiefel zu durchqueren, und frühere italienische Wahlkämpfe kennt, wird jedoch notieren müssen: es ist — zumindest bis heute — der ruhigste italienische Wahlkampf seit dem Ende des Krieges.

Nur äußerst schleppend lief diesmal der für italienische Wahlen sonst charakteristische hemmungslose Kampf der Plakatkrieger an. „Gli eroi sono stanchi...“ Die Helden sind anscheinend müde geworden. Etwas hat diese „Müdigkeit“ freilich die Polizei und ein Ueber-einkommen der Parteien beeinflußt. Die Männer mit Pinsel und Kleisterkübel sind auf bestimmte Reservationen verwiesen. An belebten Plätzen aufgestellte Gerüste und genau abgezirkelte Wandflächen sind alles, was von der einstigen Herrlichkeit verblieben ist. Auf ihnen erschienen nun vorerst wieder die bekannten Symbole der Parteien, die der Wähler auch auf dem amtlichen Stimmzettel vorfinden wird: der „Libertas“-Schild der Democristiani prangt in Nachbarschaft mit Hammer und Sichel, die grünweißrote Flamme der Neofaschisten züngelt neben dem Efeublatt der Republikaner hervor, Saragats demokratische sozialistische Sonne zeigt sich am Horizont. (Geht sie auf oder neigt sich ihr Tag und der ihres Herrn endgültig? Diese Frage wird der 25. Mai beantworten.) Wenn jedoch neben zwei die Savoyer-krone umklammernden Löwen die Aufforderung steht: „Votate leoni!“ („Wählt Löwen!“), so darf man diesen Rat nicht wörtlich nehmen und glauben, die Italiener seien aufgefordert, die Bewohner des römischen Zoos in den Circus maximus des Parlaments zu entsenden. Die Mannen des ebenso rührigen wie pittoresken Führers der „Volksmonarchisten“ Achille L a u r o wollen das Symbol ihres Patrons und seiner Partei gegenüber dem von Covellis „Nationalmonarchisten“, die auf „Stella e Corona“, auf „Stern und Krone“ schwören, nur eindringlich den Wählern ins Gedächtnis rufen. Die Liberalen schwenken schlicht und einfach die mit.den Initialen ihrer Partei geschmückte Trikolore und gedenken dabei wehmütig der vergangenen Zeit — lang, lang ist's her —, in der sie als eigentliche Staatspartei die A4ehrheit der Sitze des Hohen Hauses auf der Piazza Monte Citorio bevölkerten. So geht der bunte Reigen weiter bis zur letzten Splitterpartei.

Dieser bekannten Ouvertüre aller italienischen Wahlbewegungen folgte auf den Plakatwänden bis heute keine Sensation. Von kommunistischer Seite wurde, vor allem um den 1. Mai herum, mit roten Fahnen und strahlenden, zukunftsgläubigen Gesichtern in „sozialistischem Realismus“ gemacht. Die neofaschistische „Sozialbewegung“ (MSI) schwingt den Holzhammer und zeigt drastisch-abstoßende Plakate, wie zum Beispiel jenes, auf dem die arme Italia von zwei wüsten Gesellen, die mit dem Symbol der „Democrazia Cristiana“ und dem der Kommunisten versehen sind, mit Holzknütteln auf ein Nagelbrett geschlagen wird. Aiuto! Zwei stramme typische Baliilajungen eilen aus dem Hintergrund der Dame zu Hilfe. Auch die ansonsten so einfallsreichen katholischen „Comitati civici“ haben bisher noch keinen richtigen Treffer herausgebracht. Das beste Plakat zeigten noch die Democristiani neben einer Reihe von konventionellen: Chruschtschow (er wird in Italien übrigens stets mit K geschrieben) reitet auf einem Sputnik. Von oben herab will er einem Italiener einen kommunistischen Stimmzettel zustecken. Dieser wehrt dankend ab. „Ma gira ...'“ Auf gut wienerisch: „Dreh dich!“

Wurde so die Plakatwand erstmals ein Nebenkriegsschauplatz des italienischen Wahlkampfes, so wurden dafür neue „unkonventionelle Waffen“ an anderen Fronten eingesetzt. Lauro kämpft im Süden nach wie vor mit Spaghetti und linken Schuhen (die rechten werden erst nach erfolgreichem Wahlausgang nachgeliefert), wozu als eine Novität in Wahlempfehlungen diskret eingewickelte 1000-Lire-Noten (40 S) getreten sein sollen. Als „Wahlschlager“ im wahrsten Sinne des Wortes stellte sich jene Schallplatte der Democrazia Cristiana heraus, die außer einer Togliatti zugedachten Figaro-Parodie auch nach der Melodie des preisgekrönten Schlagers der Saison einen schmelzenden Tenor nicht zuletzt den Italienerinnen zwischen 18 und 80 Jahren zuflüstern läßt: „Votare, si, si. Votare per la D. C.“ (Wählen, ja, ja. Wählen die D. C.) Melodie und Text verfolgten den Reisenden auf Schritt und Tritt von Salerno bis Venezien.

„Votare, si, si. Votare per la D. C.“ Die „Democrazia Cristiana“ wird jede Stimme brauchen können. Die noch vor Jahresfrist auf die Eroberung der absoluten Mehrheit im Parlament abzielenden Hoffnungen sind bedeutend reduziert worden. Inzwischen hat man nämlich errechnet, daß die D. C. nach der Ae'nderung des alten Wahlgesetzes, das die großen Parteien begünstigte, allein ungefähr 900.000 Stimmen — nach anderen Ueberlegungen sogar noch mehr — benötigt, um ihren parlamentarischen Besitzstand zu halten. (Aehnliches gilt natürlich auch für die Kommunisten, die zu diesem Zweck 600.000 Neuwähler gewinnen müßten.) Die kleinen Parteien des Zentrums — Saragat-Sozialisten, Liberale und die Wahlgemeinschaft von Republikanern und Radikalen — wittern eine gemeinsame Chance. Vielleicht die letzte. Einzeln sind sie zur parlamentarischen Bedeutungslosigkeit verurteilt, aber nach einem italienischen Sprichwort machen alle zusammen die Suppe. Nur eint diese auch gerne „Democrazia Laica“ genannte Parteiengruppe außer einem militanten Laizismus, der mitunter freilich auch vo'. Ungeschicklichkeiten der Gegner lebt und der Achtung vor den Spielregeln der Demokratie, so gut wie

Vor den Bildern der Väter des itali enischen Sozialismus spricht Saragat nichts. Es bedurfte schon eines wirklichen Staatsmannes wie Degasperi und der akuten kommunistischen Gefahr, um sie gemeinsam mit der D. C. unter der Fahne des „Quatripartito“ zu einer stabilen Regierungskoalition zu einigen.

Im Hause der großen christlich-demokratischen Regierungspartei, die seit einem Jähr unter Adone Z o 1 i ein sich von Monat zu Monat hinschleppendes Minderheitenkabinett stellte, ist zumindest nach außen alles in Ordnung. Der vitale Amintore F a n f a n i hat die Zügel fest in der Hand. Wie lange? Zumindest bis zum 25. Mai. Die nach Degasperis Tod durch Monate und Jahre andauernde! Auseinandersetzung zwischen den Parteiengruppen der „Iniziativa“ und der „Concentrazione“ ist heute nicht mehr aktuell. Der Parteiapparat ist überholt, die. streitlustigen Brüder „auf Linie“, man geht also auf der Piazza Gesu in Rom — hier befindet sich das Hauptquartier der D. C. — dem 25. Mai realistisch, aber doch mit der begründeten Hoffnung entgegen, am Abend dieses Tages wieder als stärkste Partei sich vorstellen zu können.

Aber was kommt dann? Die eigentliche Problematik der italienischen Wahlen, die ja nicht so sehr, wie 1948, im Zeichen der Abwehr einer kommunistischen Machtergreifung als der Suche nach einer stabilen, arbeitsfähigen, demokratischen Regierung stehen, beginnt am Morgen nach dem Wahltag. Vielleicht noch in der Wahlnacht. Genau genommen schon heute. An ein christlich-demokratisches Monocolore-Kabinett denkt nach den Erfahrungen des letzten Jahres heute kaum ein ernster Politiker. Das Sprichwort „Meglio soli che mal aecompagnati“ (Besser allein als in schlechter Begleitung), das der römische Volksmund seinerzeit in „Meglio Zoli che...“ umwandelte, ist heute nicht mehr zu hören. Im Gegenteil. Man sucht Begleitung. Möglichst gute natürlich. Aber man wird nicht allzu wählerisch sein dürfen.

Die schon oben als „Democrazia Laica“ vorgestellte Gruppe der kleinen Parteien des Zentrums trifft natürlich der erste Blick. Schon redet ein Mann wie Degasperis langjähriger Innenminister Mario S c e 1 b a — gleich „beliebt“ bei Kommunisten und Neofaschisten — einer Wiedergeburt der Koalition des „Quatripartito“ offen das Wort. Er selbst, aber auch Fanfani werden für diesen Fall als präsumtive Ministerpräsidenten genannt. Werden sie aber die Kraft haben, die vier ungleichen Pferde vor den Staatskarren zu spannen? Liberale und Saragat-Sozialisten haben in Wirtschaftsfragen diametral entgegengesetzte Auffassungen. Zudem wirft Nenni nach Saragats Leuten seine Schlingen aus. Es ist nicht ausgeschlossen, daß er nach den Wahlen durch einen neuen Vorstoß in der Frage der sozialistischen Einigung Verwirrung erzeugen wird, nur um eine Regierung des „Quatripartito“ zu verhindern.

Erweist sich die alte Degasperi-Formel aber wirklich, wie es so manche behaupten, als überholt, dann beginnt in der italienischen Politik das Experiment. Vielleicht sogar das Abenteuer.

Oeffnung nach links — Oeffnung nach rechts. Der eine Weg so gefahrvoll wie der andere abschüssig.

Apertura a sinistra ... Immer wieder diskutiert, stets aber in letzter Konsequenz davor zurückgescheut. Einem auch noch so lockeren Bündnis mit Nenni und seinen Linkssozialisten stehen einerseits warnende Stimmen aus dem Vatikan und Rücksichten auf die nicht geringe Zahl der konservativen Wähler, die leicht nach rechts abgleiten könnten, entgegen. Auf der anderen Seite ist Nenni zwar mit ciceronischem Redetalent begabt, aber organisatorisch schleifen ihm die Zügel der Führung seiner eigenen Partei. Die halten andere Leute in den Händen: die Genossen aus der langjährigen Weggemeinschaft mit Hammer und Sichel. Es gibt allerdings Männer — hier muß der einstige katholische Partisanenführer und als Chef der gesamten verstaatlichten Erdölproduktion Italiens auch über publizistische Sprachrohre verfügende Enrico M a 11 e i genannt werden —, die im Fall des Falles glauben, vertrauend auf die eigene Stärke, den Sprung nach vorne wagen zu dürfen. Nebenbei bemerkt: Enrico Mattei steht im Rufe, einer der intimsten politischen Freunde von Staatspräsident Gronchi zu sein ...

Apertura a destera... Warum eigentlich nicht? Diese Monarchisten, ob sie sich — hauptsächlich im Süden — um den „Vizekönig von Neapel“, Lauro, scharen, oder Covelli angehören, sind bestimmt honette Leute. Daß sie für die Lösung der brennenden sozialen Fragen so gut wie kein Verständnis haben, ist schon eine andere Sache. Sollen sich die christlichen Gewerkschafter von der CISL nur aufregen. Außerdem führen vor allem von der Covelli-Gruppe Fäden zu den Neofaschisten. Ungehobelte Burschen, bestimmt, aber nicht ernst zu nehmen. Dem Mohr seine Schuldigkeit tun lassen und dann nach Hause schicken . .. Im übrigen kann etwas Besinnung auf die nationalen Tugenden nicht schaden ...

So oder ähnlich mag man in gewissen italienischen Kreisen denken. Warum aber in Oesterreich in bestimmten politischen Bezirken einer solchen Entwicklung Sympathien geschenkt werden, ist unverständlich. Den ersten Stoß einer italienischen Rechtsregierung müßten nämlich die Südtiroler aushalten. Und was Giuseppe Pella als präsumtiven Ministerpräsident einer Rechtskoalition betrifft, so hat er als Kenner der Psychologie seiner Landsleute' seine eigene Lösung: er erkauft sich die zur Aufrechterhaltung des normalen Lebens allernotwendigsten sozialen Zugeständnisse mit nationalen Parolen. Mitunter auch mit ein wenig Säbelrasseln. Seit er gegen Jugoslawien wegen Triest mobilisierte, genießt er rechts vom Zentrum ungeschmälerte Sympathien. Warum sollte er zurückscheuen, eines Tages mit Trara „Wacht am Brenner“ beziehen zu lassen ...

„Votare, si, si...“ Die Frau des Fischers im Golf von Salerno trällert vor sich hin. Und wie als Widerhall pfeift der Finanzer in Tarvis die

Melodie zum Abschied. Der Weg in Italiens Zukunft wird nicht zuletzt dadurch bestimmt, ob sie beide und die Millionen anderer italienischer Wähler am 25. Mai sich auch an den Refrain erinnern. „Votare per la D. C.“

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