Vladimir Sorokin - © Foto: picturedesk.com / Tass / Geodakyan Artyom

Vladimir Sorokin: Neues vom Meister der Gewaltgroteske

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„Die rote Pyramide“ versammelt neun Erzählungen des regimekritischen russischen Schriftstellers Vladimir Sorokin. Er findet starke, neue und mitunter verstörende Bilder für seine Dystopien.

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„Die rote Pyramide“ versammelt neun Erzählungen des regimekritischen russischen Schriftstellers Vladimir Sorokin. Er findet starke, neue und mitunter verstörende Bilder für seine Dystopien.

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In dem lesenswerten Buch der Slawistin Johanna Renate Döring „Von Puschkin bis Sorokin“ zitiert sie ihre Kollegin Renate Lachmann, die zur Beschreibung für Sorokins Werk den Begriff der Gewaltgroteske geprägt hat. Über die starke Resonanz des 1955 geborenen Vladimir Sorokin im akademischen und literarischen Deutschland müsste man einmal gesondert nachdenken: Der Fachwelt mag gefallen, dass Sorokin thematisch und stilistisch alle Register der russischen Literatur zur Disposition hat. Er kann – zwischen Iwan Turgenjew und Daniil Charms – einfach alles, er ist ein Meister jedweden literarischen Verfahrens. Auch ist sein Werk hinlänglich kritisch. Die Zustände in seiner Heimat etwa erinnern ihn an die Epoche der Opritschniki (1564 bis etwa 1571), als Iwan der Schreckliche sich eine Sondertruppe zulegte, um, an Recht und Moral vorbei, den Bojaren wie der Bevölkerung Angst und Schrecken einzujagen. In seinem Roman „Der Tag des Opritschniks“ hat er diese ­Parallelen zur aktuellen Lage ausgeführt und durchgespielt.

Die Gespenster der Zukunft

Für Sorokins literarisches Schaffen aber, das er selbst einmal als „retro-futuristisch“ bezeichnet hat, ist der Zweifel an der Zukunftsfähigkeit Russlands produktiver als der Blick zurück in die Vergangenheit. Verständlicherweise, denn in einem politischen System, das von Präsident Putin auf Ewigkeit gestellt wurde, gibt es kein Danach. Entwicklung ist, wider jede Vernunft, nicht vorgesehen, darüber auch nur zu sprechen, unterliegt einem Tabu. So manch einen treibt diese Vorstellung auf die Straße, andere wiederum an den Schreibtisch, um den Lesern auszumalen, was dann und danach kommt: Es sind nicht die Gespenster der Vergangenheit, es sind die Gespenster der Zukunft, die Sorokin verfolgen. Ein Land, das einmal eine lichte Zukunft versprach, überlässt seine Bevölkerung heute einem kruden Mix aus Orthodoxie, Nationalismus und privaten Obsessionen. Die Ingredienzien der russischen Wahnwelten haben sich seit Dostojewskis Zeiten nicht wesentlich geändert. Vladimir Sorokin beschwört sie und schickt sie durch sein sehr persönliches, manchmal artifizielles, manchmal peinigendes Spiegelkabinett – womit wir bei Werken wie der „Eis-Trilogie“ oder der Erzählung „Der Zuckerkreml“ wären – und damit wieder bei den schon ­zitierten Gewaltgrotesken.

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