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Volksdemokratie mit hussitischem Vorzeichen

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Es ist kein alltäglicher Fall, daß ein Ministerkomitee eingesetzt wird, um die Feier des 100. Geburtstages eines Schriftstellers vorzubereiten. Er ist aber auch kein alltäglicher Schriftsteller, dieser „tschechische Sienkiewicz“,der Gymnasialprofessor Alois Jirasek, der in seinem langen Leben eine unglaubliche Produktivität entfaltete und die ganze tschechische Geschichte in Dramen und dickleibigen Romanen dem Volk anschaulich machte: das vorchristliche Zeitalter ebenso wie die Zeit des Wiener Kongresses, die Periode nach der Schlacht auf dem Weißen Berge wie die Reformationszeit, die Geschichte der Choden wie die der Elbslawen, die Wiedergeburt des tschechischen Volkes und vor allem die Zeit der Hussitenkriege. '

über die künstlerischen Qualitäten der Werke Jiraseks haben sich seine eigenen Landsleute teilweise recht zurückhaltend geäußert: „Durchschnittsprodukte eines verspäteten Walter-Scott-Schülers“, „kaum mehr als eine Lokalgröße“, „psychologisch seicht und konventionell, spießbürgerlich“ liest man in einer Literaturgeschichte. Aber schon im Jahre 1907 mußte Arne Novak, einer der maßgebenden tschechischen Kritiker feststellen, daß Jiraseks Bücher oft noch vor ihrer Vollendung von der Akademie oder verwandten Instituten preisgekrönt werden und das Nationaltheater auch seine schwächsten “föc!:e mit dem größten Kraftaufwand aufführt.

Man müßte meinen, daß Jirasek heute jenem „bourgoisen Nationalismus“ zugerechnet wird, der gegenwärtig das Schlimmste ist, das einem in einer Volksdemokratie na r**“*-igt werden kann. Was hat Jirasek, den einstigen Senator der Nationaldemokratischen Partei Kramafs, davor bewahrt, daß er nicht ebenso totgeschwiegen wird wie weit bedeutendere Dichter seiner Zunge, wie ein Otakar B?e-zina, ein Svatopluk Cech, ein Jaroslav Vrchlicky?

Jirasek war so vorsichtig, in den Mittelpunkt seiner Romane nie einen Herrscher gestellt zu haben — die einzige Ausnahme, der „Hussitenkönig“, Georg von Podebrad, blieb unvollendet. So kann man also heute feststellen, daß er immer die Masse, die große Menge zum Helden seiner Werke gemacht habe, den unterdrückten, bedürftigen, kämpfenden tschechischen Menschen, der wegen seiner Nationalität oder wegen seines nichtkatholischen Glaubens oder wegen seines Kampfes um die Menschenrechte verfolgt worden sei, wieUnterrichtsministerZdenek Nejedly erklärte. Anläßlich des 20. Todestages von Jirasek stellte das „Rüde prävo“ im vergangenen Jahr fest, daß aus seinen Werken wie aus einer unterirdischen Quelle Hoffnungen ausströmten, „Sein Werk habe das tschechische Volk gelehrt“, rühmte Staatspräsident Gottwald, „nach der Beseitigung der Bastionen der Reaktion ein neues Zentrum des Fortschritts in der hussiti-6chen Brüderlichkeit aufzurichten.“

So steht denn die Pflege der hussi-tischen Tradition im Mittelpunkt der Hundertjahrfeier: neben der Enthüllung von Jirasek-Denkmälern in Prag und Leito-mischl und der Herausgabe der gesammelten Werke durch den vielseitigen und geschäftigen Unterrichtsminister Nejedly erfolgte die Eröffnung des Jirasek-Museums im Schloß Stern, dem berühmten, auf dem Schlachfeld des Weißen Berges bei Prag errichteten Schlößchen mit einem sternförmigen Grundriß, das neben persönlichen Erinnerungen vor allem jene Perioden der tschechischen Geschichte zeigen soll, die den Inhalt der Romane und Dramen Jiraseks bilden.

Nicht der Geburtsort Jiraseks, das ostböhmische Hronov, in dem er am 23. August 1851 zur Welt kam, steht im Mittelpunkt der Feiern, sondern Tabor, dem er die größte Zahl seiner Werke gewidmet hat. Das Prager Nationaltheater führt Jiraseks Drama „Jan Zizka“ auf, zu einer Vortragsreihe über die Hussitenzeit werden 4000 Jugendliche aus dem ganzen Kreis und den Nachbarkreisen zusammenkommen, über 100 Fremdenführer werden ausgebildet, um den Schülerexkursionen Informationen geben zu können. Und im Mittelpunkt steht eine gesamtstaatliche Konferenz, die sich mit einer Analyse von Jiraseks größtem Werk befaßt „Gegen a 11 e“.

„Der Hussitismus“, kommentiert Minister Nejedly, „ist für Jirasek diebedeutendsteErscheinung der tschechischen Geschichte, denn er ist die größte Ausdehnung der nationalen Stärke und daher das leuchtendste Vorbild, das die tschechische Geschichte gewährt.“

Man ist jetzt wieder mitten in der Auseinandersetzung über den Sinn der böhmischen Geschichte, in der sich einst Masaryk und Pekar gegenüberstanden. Diesmal freilich kann eine von der offiziellen Linie abweichende Meinung nicht geäußert werden, und es kann sich bei der Erörterung höchstens darum handeln, die zugelassene Ansicht mit größerem Radikalismus vorzutragen. Dafür hat aber die Generalsynodeder „Tschechoslowakischen Kirche“ Staatspräsident Gottwald in einem Begrüßungstelegramm gedankt, „für die Wiedergeburt unserer Kultur im Geiste von Jiraseks Werk, das in so hervorragender Weise zur Entstehung unserer Kirche beigetragen hat“.

Wenn dazu noch ein Kommentar des „Rüde prävo“ feststellen zu können glaubt: „Die Gegenwart legt Zeugnis davon ab, daß unser Volk ein treuer und bewußter Erbe der Lanzenträger Z i z k a s ist“, so steht dem das tiefe Verlangen aller Besonnenen im Lande gegenüber, möglichst bald der gegenwärtigen Situation zu entrinnen.

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