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Volkspolen in der Weltpolitik

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Umjubelt von einer mehrtausendköpfigen Menschenmenge, die nach östlichem Brauch zu Ehren des illustren Gastes ein Meeting abhält, nimmt Tschu En Lai, Chinas Ministerpräsident, während seines Warschauer Staatsbesuches die ihm reichlich gezollten Huldigungen und den höchsten Orden des ihn gast-

freundlich empfangenden Landes entgegen. Das stereotype unergründliche Lächeln verschwindet nicht vom Munde des Abkommen eines uralten Mandarinengeschlechtes, als er die heutige Weltgeltung Polens in wohlgesetzter Rede rühmt und im Gespräch einige polnische Worte an seine Bewunderer richtet. Stolze Genugtuung schwellt das Nationalgefühl der Sarmaten. Sie genießen die Ehre, nun eine Großmacht von universeller Bedeutung zu sein, die bis in den Fernen Osten Ansehen hat und die, wie der Yankee und ihm zu Trotz, auf allen Meeren heimisch ist. So heimisch, daß die Schützlinge Amerikas auf Formosa zwei polnische Dampfer mit Kriegsmaterial für Mao Tse Tung beschlagnahmt haben, worauf die Zeitungen daheim im befohlenen Entrüstungschor die „Tschiang-Kai- Schek-Banditen“ verfluchten. Der eine der Dampfer ist unterdessen freigegeben worden, und einige Besatzungsmitglieder sind zurückgekehrt, gerade rechtzeitig, um noch vom Ordensregen am volksdemokratischen Staatsfeiertag, dem 22. Juli, miterfaßt zu werd _ n. Andere haben freilich die Gelegenheit benützt, um „die Freiheit zu wählen“.

Diese Tatsache, von der in Polen kein Lied und kein Heldenbuch berichten darf, beleuchtet grell den aus einer Mischung von Furcht, Unkenntnis der Weltlage und Verwirrung durch einseitige Propaganda erklärbaren Enthusiasmus, mit dem so viele vom Kontakt mit dem nichtkommunistischen Ausland abgeschnittene, keineswegs bolschewikenhörige Polen die gesteigerte Aktivität begrüßen, die derzeit unleugbar von der Diplomatie der „Rzeczpospolita Ludowa“ entwik- kelt wird. In den letzten Jahren und Monaten haben eine Reihe prominenter Polen, die entweder aus anfänglicher Ueberzeugung oder der Not gehorchend mit dem jetzigen Regime zusammenarbeiteten, die erste Möglichkeit benützt, um sich nach dem Westen zu retten. Der Dichter Czeslaw Milosz, der nach seinem Absprung den ersten Europäischen Literaturpreis erhielt, der Kapitän des größten Schiffes der polnischen Handelsmarine, des „Bathory“, der zuvor bei der Flucht des kommunistischen Agitators Eisler aus den USA eine wichtige Rolle gespielt hatte, der berühmte Völkerrechtler Korowicz, den man aus Warschau als Delegierten zur UNO entsandt hatte, und der bedeutendste Komponist seiner Nation, P a n u f n i k, Autor zahlreicher „fortschrittlicher“ Programm - Musikwerke, seien als Beispiele dafür genannt, daß nicht etwa „Reaktionäre“ das Paradies an der Weichsel verlassen, von dessen Herrlichkeiten Boleslaw Bierut, Aleksander Zawadzki, Mine und Berman in ihren Jubiläumsreden zur Zehn-Jahres-Feier der Volksdemokratie so Großartiges zu melden wußten. Anderen ist der Weg ins Freie mißglückt. So dem authentischen Grafen aus hocharistokratischem Geschlecht, Jan Drohojowski, der Polen bis vor zwei Jahren als Gesandter in Lateinamerika, dann in Aegypten vertreten hatte, von dort wegen seiner Machenschaften mit den dortigen Kommunisten — und Uebernationalisten — noch unter Faruk ausgewiesen wurde, nach Warschau heimkehrte, jedoch statt der erwarteten Anerkennung keinen weiteren Posten erhielt, und als er zu seiner vorsichtshalber im Westen verbliebenen Familie hinauswollte, ohne die amtliche Erlaubnis abzuwarten — wie es .so schön im Französischen heißt: „ä l’ombre“, in den Schatten wanderte.

Wie viele der Gestrigen aus enteigneter Aristokratie, Großbürgertum, früherer Beamtenschaft und’ Literatur, Kunst, Wissenschaft, die jetzt im Schweiße ihres Angesichtes bemüht sind, als Angehörige der „werktätigen Intelligenz“ einen meist bescheidenen Platz an der Sonne statt „im Schatten“ zu behaupten, sind mit ihren Beteuerungen der Liebe zum volksdemokratischen Regime, zur „voranleuchtenden Sowjetunion“ und zum Abscheu vor den die „Ausbeutung des Menschen durch den Menschen“ predigenden Kapitalismus ehrlich? Lippenbekenntnisse waren in Polen, dem unglücklichen Lande des „Wallenrodismus“, der erheuchelten Treue zum verhaßten fremden Zwingherrn, stets häufig. So wird man denn auch die beiden Leitmotive der gegenwärtigen, ungemein rührigen Außenpolitik Warschaus weder zu tragisch noch zu wörtlich nehmen. Sie lauten das eine: Wallstreet rüstet Westdeutschland zum Revanchekrieg gegen Polen auf, und in dieser Rachepsychose sind sich, mit Ausnahme der Kommunisten und deren Mitläufer, alle Westdeutschen einig. Sodann, wir müssen den Franzosen, unsern wiedergefundenen Verbündeten, jetzt, da sie statt von Pinay, Laniel, Pleven, Bidault, Rene Mayer an die USA verraten zu werden, durch Men- dės-France auf den Weg der Tugend und der Gerechtigkeit zurückgeführt worden sind …, wir müssen ihnen die Augen über die deutsche Gefahr öffnen und sie, gleich uns, in die starken Arme(en) der UdSSR treiben.

Das wird zum Beispiel in einer Programmrede Bieruts folgendermaßen ausgedrückt: „Die Zunahme angriffslustiger Bestrebungen in Westdeutschland, die wachsende Unverschämtheit seitens der keineswegs vernichteten, sondern nur ihrer Stunde harrenden neufaschistischen, militaristischen Kräfte vermag weder der Aufmerksamkeit Frankreichs noch der Englands, Italiens, Belgiens oder Skandinaviens zu entgehen. Diese Kräfte ver-

suchen schon jetzt die Hitler-Verbrecher zu rehabilitieren, die Ströme von Blut vergossen, Länder in Brand gesteckt und die Rechte der Völker mit Füßen getreten' haben… Es ist Polens Pflicht…, gegen die Wiedergeburt des angriffslustigen, revisionssüchtigen deutschen Militarismus die warnende Stimme zu erheben.“ Mit welcher Sachlichkeit dabei die „neufaschistischen, militaristischen Kräfte“ Deutschlands abgegrenzt werden, das zeige ein kleiner Auszug aus einem Artikel des „Žycie Warszawy“, eines Blattes, das nicht unter der kommunistischen Parteietikette erscheint und dessen Inhalt bisweilen die Vermutung weckt, die Redakteure wollten behutsam die Aufmerksamkeit auf die schreiendsten Mißstände des Regimes lenken. Um derlei zu tun, müssen sie ich offenbar durch Abdruck so blühenden Stumpfsinns tarnen, wie er in einem Artikel aus Anlaß der Wiederwahl Professor Heuß’ zum Bundespräsidenten steht (in der Nummer 171 vom 20. Juli 1954):

„Nach der Wahl des neuen westdeutschen Bundespräsidenten. Das wurde der alte Reaktionär Theodor Heuß. Derselbe, der schon in Jahre 1926 in seinem Buche .Staat und Nation' das Führerprinzip in den Himmel hob … und der den rassischen Faktor nicht nur als staatenschöpferisches Element, sondern auch als kulturschöpferisch rühmte. Derselbe, der 1933 für die Vollmachten an Hitler stimmte und am 10. Oktober 1939 in der Zeitschrift ,Die Hilfe' die imponierenden Siege der deutschen Heere in den Himmel hob (sic, zum 2. Mal) und den totalen Krieg lobpries — welchen Begriff er lange vor Goebbels gebrauchte.. . Kurz vor der nunmehrigen Neuwahl zum Präsidenten rühmte das Bulletin der CDU, zu deren Partei Heuß gehört (re-sic!), diesen als Menschen, der alles das erfüllte, wozu er sich 1949 bei seiner Amtsübernahme verpflichtet hatte. Wem gegenüber erfüllte er seine Pflicht, möchte man fragen. Höchstens gegenüber seinen amerikanischen Vormündern und den Freunden aus den großen deutschen Konzernen. Das deutsche Volk hat er vom ersten Augenblick an belogen… Heuß beschirmte während seiner bisherigen Amtsperiode jede Revanchehetze der westdeutschen Faschisten und er scheute sich nicht, zum brudermörderischen Krieg wider die DDR aufzurufen. Kann man sich wundern, daß die deutsche Reaktion ihn ein zweites Mal zum Präsidenten wählte?"

Das zweite Leitmotiv, Werben um Frankreich, ertönt weniger im strahlenden überlauten Dur als in zartem Moll. Aus Presse,

Rundfunk und Gesprächen der vielen mehr oder weniger distinguierten polnischen Gäste, die nach Paris kommen, und aus den Reden, mit denen die kaum weniger häufigen französischen Besucher Warschaus begrüßt werden. Doch hier spürt der hellhörige Zuhörer einen verborgenen tieferen Hauptzweck der erstrebten franko-polnischen Gemeinschaft heraus. So unzweifelhaft in den übersteigerten Anklagen gegen Westdeutschland ein Kern des Mißtrauens gegen vermuteten Wiederaufstieg eines neuen deutschen Expansionsgeistes ist, so sicher liegt der gewünschten Wiederannäherung an Frankreich der Gedanke zugrunde, künftig nicht mit der Sowjetunion allein in einer weltpolitischen Kombination zu sein, den Russen nicht auf Gnade oder Ungnade ausgeliefert zu sein. Allein schon deshalb die Sehnsucht nach einer Revalorisierung des Bündnisses zwischen Moskau und Paris; deshalb sogar die über einen Riesenkontinent hinweggreifenden Freundschaftsgebärden für China. Man möchte lieber auch mit Frankreich und dem Lande der Blumigen Mitte in einem Lager sein, als nur mit der Sowjetunion.

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