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VOM BEMÜHTEN ÖSTERREICHER

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Um sein Hauptgebrechen, die Eitelkeit, zu tarnen, stehen dem bemühten Österreicher zwei Möglichkeiten zur Verfügung: sich auf das Lob der anderen, NichtÖsterreicher, zu berufen und — seine eigene Skepsis. Jeder der beiden Wege ist durchaus gangbar. Der Östrreicher aber versteht es, diese gegenläufigen Pfade gleichzeitg einzuschlagen und sie so vertrackt zu verfolgen, daß sie sich immer wieder kreuzen. Normalerweise werden These und Antithese gestellt, die Synthese aber wird gelebt. Der Österreicher hingegen ist ständig bemüht, seine gelebte Synthese auch auszudrücken, zu kommentieren. Und das ist wahrlich eine Mühe. Wenn er sich dabei von Zeit zu Zeit widerspricht, stört ihn das in keiner Weise: das ist dann eben österreichisch.

Denn der Österreicher legt sich nicht gerne fest. Nicht aus Schwäche, sondern aus heraklitischer Einsicht in den Fluß der Zeit und der Realität. „Du weißt, ich binde mich so ungern“, sagt Kari Bühl im „Schwierigen“ von Hofmannsthal; sagt das aber nicht aus charakterlicher Ambivalenz, sondern im Gegenteil aus charakterlicher Akribie.

Sein eigenes Phänomen zu erklären, gesteht der Österreicher aber nur sich selber zu. Lob nimmt er hin, indem er es mit leichter Skepsis aufrauht. Wehe aber, er stößt auf Kritik. Da schnappt er ein. Dasselbe gilt für seine Enunziationen: seine eigene Kritik, von einem Fremden wiederholt, bezeichnet er als Lüge und Verleumdung. Denn so meisterhaft und mit so unermüdlicher Eloquenz er es auch versteht, von seiner Hinfälligkeit Zeugnis zu geben, so unmöglich ist es ihm, es hinzunehmen, wenn man ihm anderswo keinen Glauben schenkt.

So wollen auch diese Zitate bemühter Österreicher verstanden **• Elisabeth Pable

Der Österreicher trägt immer seine Kritik in die Masse hinein wie in einen Sauerteig, eine Kritik, die Liebe ist, aber selbstquälerische, auch im Zustand der — vorübergehenden — Verliebtheit. Wenn der Österreicher „österreichisch“ sagt, gibt er einer Stimmung, nicht einem Urteil Ausdruck, einer Stimmung, von der aus Urteile gar nicht möglich sind... Der Österreicher ist als Österreicher nie abstrakt, sondern eine Wallung seiner Elemente, die zwar in der Sprache der Vernunft zu übertragen, in ihr sozusagen graphisch darzustellen ist (andeutungsweise, in konventionellen Zeichen, für Leute, die miteinander übereingekommen sind, wie sie es, bis auf weiteres meinen)... Der Österreicher wird vom Österreichischen stets wieder persönlich überfallen, hergenommen und umgetrieben ...

(Richard Schaukai)

Alles versteht sich aus Österreich, sogar die „Letzten Tage der Menschheit“, und weil Österreich^sich erst recht nicht von selber versteht, muß alles ausgesprochen werden, dröhnend und unablässig und eifervoll. (Friedrich Torberg)

... was die Wesensart des österreiches ausmacht: ... die eigentümliche Mischung von Selbstgefühl und Bescheidenheit, sicherem Instinkt und gelegentlicher Naivität, natürlicher Balance und geringer dialektischer Fähigkeit...

(Hugo von Hofmannsthal)

Mit Beweisen meiner Huld will ich nicht sparen,

Streu sie aus mit volle kaiserliche Händ.

Meinen Namen aber sollt ihr nie erfahren —

Ich verlaß mich drauf, daß ihn ein jeder kennt.

Noch von heut in vielen hundert Jahren

Bleibt's ein österreichisches Patent,

Niemals nicht um Gottes Willen zu erfahren,

Wie man wen und wie man was beim Namen nennt.

Insgeheim ist man sich zwar im klaren,

Wer was ang'stellt hat und wo es brennt,

Doch den Namen will man trotzdem nie erfahren,

Weil sonst eine Mischkulanz entstehen könnt.

Mögen andere die Blicke auf sich zahren —

Die Bescheidenheit ist unser Element!

Kann man wo von wem den Namen nicht erfahren,

Ist's zumeist ein Österreicher dann am End ...

((Herzmanovsky-Orlando)

Die Henne erhebt ein groß Geschrei

Bei jedem gelegten wirklichen Ei.

In Österreich aber lärmen die Schreier

Schon über ungelegte künftige Eier.

(Franz Grillparzer)

Was sie wo anders im großen haben, das haben wir hier im kleinen. Wir haben ein absolutes Tyrannerl, wir haben ein unverantwortliches Ministeriumerl, ein Bureaukratierl, ein Zensurerl, Staatsschulderln, weit über unseren Kräfterln, also müssen wir auch ein Revolutionerl und durchs Revolutionerl ein Konstituionerl und endlich ein Freiheiterl kriegen.

• (Johann Nestroy)

Hier wie nirgends anderswo gebe es wüsten Streit ohne Spur von Haß und eine Art zärtlicher Liebe ohne das Bedürfnis der Treue. Zwischen politischen Gegnern entwickeln sich lächerliche persönliche Sympathien; Parteifreunde hingegen beschimpfen, verleumden, verrieten einander. Man habe hier beim politischen Kampf geradezu den Eindruck, wie wenn die scheinbar erbittertsten Gegner, während die bösesten Worte hinüber- und herüberflögen, einander mit den Augen zuzwinkerten: ,,Es ist nicht so schlimm gmeint.“ (Arthur Schnitzler)

Der Österreicher läßt sich aus jeder Verfassung hringen, nur nicht aus der Gemütsverfassung.“ (Karl Kraus)

Der Minister des Äußern Kann sich nicht äußern, Der Minister des Innern Ist schwach im Erinnern, Der Kriegsminister

Trägt Szepter und Krön' im Tornister,

Der Minister der Finanzen

Muß nach jedes Pfeife tanzen,

Der Minister des Handels

Ist unsichtbaren Wandels,

Der Minister der Justiz

Hat nicht Stimme, nur Sitz,

Der Minister des Kultus

Ändert Kultus in stultus,

Der Chef der Polizei

Schüttelt den Kopf dabei.

(Franz Grillparzer)

Was mich überrascht hat, war, daß in den meisten Glückwünschen Grillparzer als „guter Österreicher“ gefeiert wurde, ja manchmal hatte es den Anschein, als ob man nicht so sehr erfreut gewesen wäre, daß ein großer Dichter, wie daß ein guter Österreicher achtzig Jahre alt geworden sei. Es freut mich selbstverständlich, daß Grillparzer ein guter Österreicher ist, obwohl ich bekennen muß, daß ich nicht weiß, was man unter einem guten Österreicher versteht. Man versteht ja in jenen Kreisen selbst, welche hierüber Auskunft erteilen könnten, unter einem guten Österreicher in jedem Mondviertel etwas anderes. Ich habe schon, und ich könnte bekannte Namen anführen, schlechte Österreicher gute und gute Österreicher schlechte werden sehen, und zwar aus keinem anderen Grunde, als weil sie immer dieselben geblieben waren. Um daher zu allen Zeiten ein guter Österreicher zu sein, muß man vor allem ein sehr geübter Österreicher sein. /rv \

(Daniel Spitzer)

Immer schon habe ich es draußen in der Welt ungemütlich gefunden. Wenn ich trotzdem so oft hinausgereist bin, so geschah es nur, weil ich es hier zu gemütlich gefunden habe.

(Karl Kraus)

Lied eines Auswandernden Sei mir zum letztenmal gegrüßt, Mein Vaterland, das feige, dumm, Die Ferse dem Despoten küßt Und seinem Wink gehorchet stumm.“

In der Fremde Wie fern, wie fern, o Vaterland, Bist du mir nun zurück! Dein liebes Angesicht verschwand Mir, wie mein Jugendglück!

(Nikolaus Lenau)

Österreich ist eine Geschichte des Undanks.

(Joseph von Hormayr)

Dort, in Kakanien, gab es auch Tempo, aber nicht zuviel Tempo. Man bereitete die Eroberung der Luft vor, auch hier; aber nicht zu intensiv. Man ließ hie und da ein Schiff nach Südamerika oder Ostasien fahren; aber nicht zu oft. Man trieb Sport, aber nicht so närrisch wie die Angelsachsen. Man gab Unsummen für das Heer aus; aber doch nur gerade so viel, daß man sicher die zweitschwächste der Großmächte blieb. Auch die Hauptstadt war um einiges kleiner als alle anderen größten Städte der Welt, aber doch um ein Erkleckliches größer, als es bloß Großstädte sind. Und verwaltet wurde dieses Land von der besten Bürokratie Europas, der man nur einen Fehler nachsagen konnte: sie empfand Genie als vorlautes Benehmen und Anmaßung. Aber wer ließe sich gern von Unbefugten dreinreden.' Und in Kakanien wurde übrdies immer nur ein Genie für einen Lümmel gehalten, aber niemals, wie es anderswo vorkam, schon

der Lümmel für ein Genie. ,D L t . ,i\

(Robert Musil)

Der Wiener Künstler stößt sich zeitlebens die Stirne wund an einer großen grauen Mauer, auf die ein Herz aus Fließpapier geklebt ist; die große graue Mauer ist die Wiener Indolenz und das Herz aus Fließpapier das goldene Wienerherz.

(Rudolf von Alt)

Da entdeckt der gute Österreicher die österreichische Kultur. Österreich hat Grillparzer und Karl Kraus. Es hat Bahr und Hugo von Hofmannsthal. Für alle Fälle auch die Neue Freie Presse und den esprit de finesse. Kralik und Kernstock. Einige seiner bedeutendsten Söhne hat es allerdings nicht, die sich rechtzeitig ins Ausland geflüchtet haben. Immerhin; immerhin bleibt — nein es bleibt nicht eine österreichische Kultur, sondern ein begabtes Land, das einen Überschuß an Denkern, Dichtern, Schauspielern, Kellnern und Friseuren erzeugt. Ein Land des geistigen und persönlichen Geschmacks; wer würde das bestreiten?! (Robert Musil)

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