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Vom Ethos des Künstlers

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Vor 30 Jahren schrieb Paul Hindemith seinen Liederzyklus »Das M ar ie n leben' nach Texten von R. M. Rilke. Inmitten einer Werkreihe, welche die antiromantische Aggression ihres Verfassers spiegelte, der mit Witz, Laune, Ironie und Persiflage sich den Ruf eines enfant terrible der modernen Musik erwarb, nimmt dieses Opus durch seine geistige Haltung und die Einheitlichkeit des Stils eine Sonderstellung ein. Das Werk fand Anklang und Verbreitung; aber das genügte seinem Schöpfer nicht. Immer wieder hat er sich mit diesen Liedern beschäftigt; 25 Jahre später (1948) legte er eine neue Fassung vor und schrieb dazu eine acht Seiten lange Vorrede, deren Lektüre allen Freunden und Gegnern der neuen Musik dringend empfohlen sei. Darin heißt es; „Der starke Eindruck, den schon die erste Aufführung auf die Zuhörer machte — erwartet hatte ich gar nichts —, brachte mir zum ersten Mal in meinem Musikerdasein die ethische Notwendigkeit der Musik und die moralischen Verpflichtungen des Musikers zum Bewußtsein: Hatte ich mit dem Märienleben mein Bestes gegeben, so war dieses Beste trotz aller guten Absichten doch nicht gut genüg, um ein für allemal als gelungen beseitegelegt werden zu können. Ich begann ein Ideal edler und möglichst vollkommener Musik zu erschauen, das ich dereinst zu verwirklichen imstande sein würde, und ich wußte, daß von nun an das Marienleben mich auf diesem Weg leiten und mir zugleich als Maßstab für die Annäherung an das Ideal dienen würde … Meistens betrachtet man ja die Musik nur als ein Genußmittel, und die Mehrzahl der Komponisten ist lediglich damit beschäftigt, der Gier des Hörers Material zu liefern … Mit dieser Art unterhaltsamen Zeitvertreibs hat das Marienleben nichts zu tun.

In enger geistiger und stilistischer Nachbarschaft zum „Marienleben' stehen die „W e i h- nachtsmotetten für Sopran und Klavier , die Hindemith 1941 bis 1944 schrieb und die anläßlich ihrer Aufführung beim Internationalen Musikfest an dieser Stelle besprochen wurden. Vier Lieder aus dem »Marienleben und die »Weihnachtsmotetten wurden am letzten Abend des Zyklus »Musica viva"durch Irmgard Seefried und Dr. Erik W e r b a aufgeführt, und wir können den beiden Künstlern kein höheres Lob spenden als dies: daß sie erfolgreich bemüht waren, ihren Zuhörern den geistigen Gehalt und die ergreifende musikalische Schönheit dieser Werke zu vermitteln. Im gleichen Konzert spielte Wolfgang Schneiderhan, von dem ausgezeichneten deutschen Pianisten Carl Seemann begleitet, die beiden Violin- sonaten in E (1935) und in C (1939). Daß

Wiens bester Geiger seine Kunst auch einmal — möge es nicht zum letztenmal gewesen seinl — an zeitgenössische Werke wandte, wurde vom Publikum besonders herzlich und lebhaft bedankt.

Vor rund einem Jahr, beim Jubiläumskon- zert der Wiener Symphoniker, wurde unter der Leitung Herbert Häfners die I. Symphonie von Ernst Toch uraufgeführt. Nun hat der Wiener Komponist auch seine Zweite dem gleichen Orchester und dem gleichen Dirigenten zur ersten Aufführung anvertraut. Hören wir auch hier den Autor selbst über sein Werk, das er in einem Brief an die Wiener Symphoniker erläutert hat: »Ich war seit Jahren im Innersten ergriffen von der Erscheinung eines Mannes, den ich tiefer zu verehren gelangte, als alle, die heute leben, und so tief wie nur eine Handvoll derer, die je zuvor gelebt haben. Ich gab diesem Erleben Ausdruck in der Widmung: An Albert Schweitzer. Dann hat das Bibelwort ,Ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn' eine besondere inspirierende Kraft auf mich ausgeübt» So stellte ich es, zur vagen Deutung der musikalischen Aussage, der Symphonie nach ihrer Beendigung als Motto voran. Gleichzeitig aber hatte es während der Arbeit immer wechselvollere Beziehungen angenommen. Das Leben Schweitzers erschien mir als eine Versinnbildlichung des Spruches, zuletzt noch bekräftigt durch die endgültige Rückkehr des 77jäh- rigen aus Europa nach Lambarene, der Stätte seines Opfers und seiner Segnung. Der Spruch bezeichnete hier ferner meine eigene stumme und ehrfurchtsvolle Beziehung zu Schweitzer durch alle die Jahre. Und endlich wurde er — das erlebt wohl mancher Schaffende — der stete gebieterische Ruf des Werkes selbst, rückgewendet zum Autor, vom nebelhaft Ungeformten, nur erst in der Idee Bestehenden, bis zum letzten Federstrich: Ich lasse Dich nicht, Du segnest — vollendest — mich denn.

Wer Tochs spielerisch-leichte Anfänge kennt („Capricetti und „Burlesken für Klavier, die „Kleine Theatersuite und anderes) ist überrascht und zutiefst berührt von der ernsten, grüblerischen Haltung und der persönlichen Aussage seiner vorläufig letzten Werke, der beiden Symphonien, die in den Wiener Symphonikern und dem Dirigenten Herbert Häfner jene Interpreten fanden, die auch die ungewöhnlichen technischen Ansprüche der hochkomplizierten Partituren mit jener Hingabe meisterten, die dem Autor bezeugen, daß sein Werk mit Ehrfurcht und Dankbarkeit betreut und aufgenommen wird.

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