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Vom freien zum guten Willen

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Wenn wir vor dem Stall der Weihnacht stehen, werden wir uns ganz konkret klar darüber, was der Ausdruck „missio“ — Sendung — bedeutet. Da wurde Gottes Sohn vom Vater in der Einheit des Heiligen Geistes zu den Menschen gesandt. Gedanken zur Weihnacht nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil.

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Wenn wir vor dem Stall der Weihnacht stehen, werden wir uns ganz konkret klar darüber, was der Ausdruck „missio“ — Sendung — bedeutet. Da wurde Gottes Sohn vom Vater in der Einheit des Heiligen Geistes zu den Menschen gesandt. Gedanken zur Weihnacht nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil.

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In der Heiligen Nacht Anno Domini 1965 vertieft sich die Kirche — und irgendwie auch die ganze Menschheit — wieder in die Worte, welche zum erstenmal über dem Stall von Bethlehem erklungen sind. Diese wohlbekannten Worte — „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind“ — bilden gleichsam eine lapidare Zusammenfassung des Evangeliums. Diese Worte sprechen von Gott und von den Menschen, künden nicht nur die „Ehre in der Höhe“, sondern auch den „Frieden auf Erden“. Der in ihnen enthaltene Kurzbericht von der Frohen Botschaft besitzt alle dem Ganzen eigenen Dimensionen.

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In diesem Jahr horcht die Kirche auf die Worte des Hymnus von Bethlehem, welche die Geburt des Gott-Menschen begleiten, im noch frischen Zusammenhang mit dem 2. Vatikanischen Konzil. Und da kann die Kirche nun feststellen, daß der Gehalt jener Worte die Hauptrichtung der Konziisarbeiten vorzeichnete. Diese Arbeiten richteten sich auf die Bestimmung des Wesens der Kirche und ihrer Sendung „ad intra“ und zugleich „ad extra“ auf die Bestimmung des Verhältnisses der Kirche zur Welt und auf ihre Sendung gegenüber der Menschheit von heute. Dies war die grundsätzliche Zielsetzung des Konziiis, dies die innere Logik seines Wirkens. In der Heiligen Nacht läßt sich nun feststellen, daß diese Zielsetzung und diese Logik den Worten des Hymnus von Bethlehem entsprochen haben. Das Konzil fand sich in der Nachfolge der ersten Formulierung der Frohen Botschaft.

Wenn wir vor dem Stall der Weihnacht stehen, werden wir uns ganz konkret klar darüber, was der Ausdruck „missio“ — Sendung — bedeutet. Da wurde Gottes Sohn vom Vater gesandt in der Einheit des Heiligen Geistes — , wurde zu den Menschen gesandt. Die erste Spur dieser Sendung müssen wir in dem unerforschlichen Geheimnis der Allerheiligsten Dreifaltigkeit suchen, in der ewigen Weisheit und Liebe Gottes. Wir müssen das „in der Höhe“ suchen, dort, wo sich die vollkommene Ehre des Heiligsten Wesens verwirklicht.

Auf der Erde sind wir Zeugen, wie die Sendung des Gottessohnes Wirklichkeit wird. Erstes Moment dieser Verwirklichung ist die Verkündung, das heißt die jungfräuliche Empfängnis in Mariens Schoß durch Wirken des Heiligen Geistes. In der Nacht von Bethlehem kommt Gottes Sohn zur Welt, und das ist das zweite Moment. Er kommt zur Welt in sichtbarer Gestalt, als Mensch. Gott überschreitet gleichsam die Grenzen Seiner Gottheit, dem Menschen zu. Transzendenz äußert sich in Kondeszendenz. Die Sendung des Gottessohnes ist wahrhaftiges Herabsteigen von der Höhe. Die in ihm beschlossene Ehre Gottes ist aber „Ehre in der Höhe“. Die Kondeszendenz verschleiert nicht die Transzendenz Gottes, sie nähert Ihn nur den Menschen. In Bethlehem wurde Gott nicht nur Mensch, er wurde auch auf besondere Weise der Gott der Menschen.

Dies alles erklärt das Wort „missio“ — Sendung. Die Kirche hat auf dem 2. Vatikanischen Konzil ihr Wesen bestimmt. Dies Wesen ist begründet in der Sendung des Gottessohnes und in der Sendung oder Ausgießung des Heiligen Geistes. Das erste hat für das zweite, das Sichtbare für das Unsichtbare den Weg bereitet. Für den Menschen, welcher selbst fleischgewordener Geist ist, ist die Fleischwerdung des Gottessohnes — im Zuge der göttlichen Kondeszendenz — die Vorstufe zur Ausgießung des Geistes und zum Wirken des Geistes, das sich unmittelbar auf das geistige Wesen des Menschen bezieht. Daß sich schon mit der Fleischwerdung das Herabsteigen des Geistes verband, bezeugen die an Maria bei der Verkündigung gerichteten Worte: „Der Heilige Geist wird über dich kommen.“ Nach der Auferstehung des Herrn Christus vollendete sich das Herabsteigen des Geistes — zuerst kam Er über Maria, nun aber über die Kirche.

Und deshalb wird die Kirche, wenn sie im Jahr der Konzilsbeendigung zum Stall von Bethlehem tritt, nicht nur zum Zeugen ihres eigenen Anbeginns auf Erden, sondern — als noch mehr ist — sie wird sich auch ihres übernatürlichen Wesens und ihrer eigenen Mission besonders bewußt — wie sie im 1. Abschnitt der Konstitution „Lumen gentium“ denniert worden ist. Aus diesem Wesen und aus dieser Sendung ergibt sich, daß die Ehre Gottes lebendiges, der Kirche anvertrautes Gut und die Aufgabe der Kirche unter den Menschen ist.

Auf die Menschen bezieht sich der zweite Teil des Hymnus von Bethlehem. Er besieht sich auf alle Menschen in den irdischen Dimensionen ihrer Existenzweise: „Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind.“ Die Kirche faßt diese Dimensionen auch als die ihrigen auf., Nicht allein die göttliche, sondern ebenso die menschliche Dimension der Kirche wurde durch die Evidenz der Fleischwerdung vorbestimmt. Die menschliche Dimension — darin ist auch die zeitliche Dimension mit enthalten. Das Zeitliche aber nimmt immer neue Gestalt an, tritt immer wieder als neue Gegenwart auf, als „rnundus hodiemus“. Das Zeitliche, das Gegenwärtige, hegt gewissermaßen „ad extra“ der kirchlichen Mission, welche ihren Anfang mit der Sendung des Gottessohnes und des Heiligen Geistes nimmt. Ständig dringen aber diese Zeitlichkeit und diese Gegenwart nach innen, „ad intra“ dieser Mission, da der Mensch in Zeitlichkeit und Gegenwart verwickelt ist und die menschliche Dimension zum Wesen der Kirche gehört — als fortgeführte Fleischwerdung.

Wenn die Kirche 1965 nach Vollendung der Arbeiten des 2. Vatikanischen Konzils am Stall von Bethlehem steht, gibt sie gleichsam ihrem Herrn darüber Rechenschaft, wie sie sich in das Problem des Menschen und in alle menschlichen Probleme engagiert, in menschliche Zeitlichkeit und Gegenwart.

Der Mensch ist ein freies Wesen. Unabhängig davon, wie wir die Worte, des Hymnus von Bethlehem über den „guten Willen“ auslegen — von der Seite Gottes, der den Menschen Seinen guten Willen erzeigt, oder von der Seite der Menschen, welche diesen guten Willen aufweisen sollen —, in jedem Fall deuten diese Worte auf die Freiheit des Menschen hin. Das Konzil hat diese Freiheit noch einmal bestätigt, nicht; nur in der Deklaration „De libertate religiosa“. Es hat sie bestätigt als die Grundlage der persönlichen Würde des Menschen und zugleich als den Gegenstand seiner Liebe.

Die Worte von Bethlehem, worin von den „Menschen, die guten Willens sind“ gesprochen wird, fanden sich oftmals auf den Lippen der letzten Päpste und auch in jenen Kondlsdokumenten, in welchen sich die Kirche auch „ad extra“ äußert. Diese Worte enthalten gleichsam in lapidarer Kurzform die Zusammenfassung aller menschlichen Moral. Die Moral ist nun der innere Weg des Menschen und der Menschheit vom freien Willen zum guten Willen. Das ist ein schwerer Weg — denn dem Menschen droht ständig der Mißbrauch der Freiheit, im Maßstab des einzelnen wie im Maßstab ganzer Gesellschaftsordnungen.

Das Evangelium soll dem Menschen einen guten Gebrauch seiner Freiheit ermöglichen, es soll den Weg vom freien zum guten Willen zeigen. Die Kirche hat auf dem 2. Vatikanischen Konzil das Evangelium verkündet und sich dabei bemüht, mit seiner Hilfe zu jenen Fragen vorzudringen, welche für unsere Gegenwart besondere Schwierigkeiten darstellen. Die Kirche tat das nicht nur in Form einer kategorischen Forderung nach gutem Willen, sondern sie suchte auch Mittel und Wege, diesen guten Willen auszulösen. Zu diesem Zweck wurde die Kirche nicht nur zum Lehrer wie Christus selbst, sondern ebenso zum Gesprächspartner, der in weitestem Kreis die Diskussion mit der ganzen Menschheit führt.

Bei der Geburt Christi und der Kirche ist das Wort „Friede“ ausgesprochen worden. Dieses Wort verbindet sich mit Gott und mit den Menschen. Der Friede — in all seiner Vollkommenheit — kommt von Gott zu den Menschen. Der Friede muß aber gleichzeitig von den Menschen erarbeitet werden, ist ihnen aufgegeben als Frucht ihres guten Willens.

Das Evangelium des Friedens hat Johannes XXIII. der heutigen Menschheit ins Gedächtnis gerufen. Das Konzil wiederholt diesen Auftrag und beruft sich auf die Worte Johannes' XXIII. Das Problem des Friedens durchläuft alle Bereiche menschlichen Lebens und Zusammenlebens. Es ist abhängig von der Anordnung äußerer, politischer, wirtschaftlicher Verhältnisse, aber schließlich gelangt es auch an die Stelle, an welcher sein Ursprung ist — wie der Ursprung aller menschlichen Probleme: in den Bereich des Willens, der guter Wille sein muß. Und dies nicht bloß als Ergebnis irgendeiner minimalen Änderung — sonst könnte der Friede unter den Menschen leicht zerbersten.

Die Worte, die über dem Stall von Bethlehem ausgesprochen wurden, heißen uns, den guten Willen der Menschen mit dem Maß das tatsächlich existierenden Friedens messen. Dieses Maß wird auf alles menschliche Zusammenleben angewandt, auf die kleinsten Gemeinschaften wie auf die größten.

Wenn die Kirche Anno Domini 1965 an die Krippe ihres Herrn tritt, welchen der Prophet den „Friedensfürsten“ genannt hat, will sie Ihm sagen, daß sie alles tut, auf daß das Maß des Friedens der Prüfstein sei für den guten Willen der Menschen unserer Zeit.

Der Autor ist Erzbischof von Krakau und späterer Papst Johannes Paul II.

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