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Marian Heitgers Plädoyer für eine philosophisch fundierte Pädagogik.

Marian Heitger, von 1967 bis 1995 Ordinarius für Pädagogik an der Universität Wien, fügt seinem umfangreichen Schrifttum ein neues Opus bei und übertitelt es mit "Systematische Pädagogik - Wozu?"

Er antwortet damit auf einen seit den späten achtziger Jahren beobachtbaren Trend, frei werdende Lehrstühle für Systematische Pädagogik bzw. Allgemeine Pädagogik entweder nicht mehr nachzubesetzen oder umzuwandeln in zukunftsträchtig erscheinende Stellen für diverseste Spezialpädagogiken. Von der berufsorientierten Fort- und Weiterbildungspädagogik, der Rehabilitationspädagogik, der pädagogischen Evaluationsforschung bis hin zur Freizeit- und Tourismuspädagogik entfalten sich gewissermaßen neue Einzelwissenschaften von der Erziehung und Bildung, welche zumindest Folgendes gemeinsam haben: eine zumeist eher mehr als weniger enge Anbindung an das gesellschaftliche Bedürfnis- und Interessenssystem und damit den Verlust der philosophischen Dimension des Faches. Wenn die Zwecke feststehen, feiert der Effektivitätsgesichtspunkt, wird er zum alleinigen Kriterium gehaltvoller Forschung, ist auch die viel gepriesene Drittmittellukrierung kein Problem mehr, sondern logische Konsequenz.

Demgegenüber verweist Heitger auf die Notwendigkeit einer Pädagogik, welche more philosophico betrieben wird und sich dergestalt um diejenigen Probleme kümmert, welche in der spezialwissenschaftlichen, von gesellschaftlichen Interessen und Auftraggebern gesteuerten Forschung nicht behandelt werden (können).

Wenn es auch letztlich nicht wissbar ist, worin etwa menschliche Bildung besteht, ist es, so Heitger, noch lange nicht egal, wie man diesen Begriff oder auch andere fasst. Vor allem aber ist diese Situation keine Einladung an die Politik, keine Einladung an Macht- und Mehrheitsverhältnisse, sich dieser Fragen wohlwollend anzunehmen. Wir wissen aus der Geschichte, dass dies mit größter Selbstverständlichkeit immer wieder geschehen ist und auch heute ganz selbstverständlich geschieht. Ebenso, dass sich immer wieder Pädagogen und Erziehungswissenschaftler dazu bereit finden, diesbezüglich der Macht auch noch den roten Teppich auszurollen und die Ghostwriterrolle zu übernehmen.

Für Heitger sind diese Fragen solche der philosophischen Reflexion. Für die Systematische Pädagogik Heitgers bildet die Transzendentalphilosophie Kants den Anknüpfungspunkt (neben Plato und Nikolaus von Cues). Demgemäß ist es nur konsequent, dass Heitger "Lernen" als Erkennen bestimmt und nicht so sehr als Verhaltensänderung, Speichern, Merken oder ähnliches. Den Kriterienrahmen für pädagogisch verantwortbare Lernprozesse bilden nicht pädagogisch erfundene Methoden, sondern die Inhalte bzw. die Fachgebiete mit ihrer je eigenen Fragestellung.

Nach Heitger verfehlt der Erzieher seine Aufgabe, wenn er sie als Zurichtung des Nachwuchses gemäß herrschenden Attitüden, Meinungen und Moden versteht. Die Zeit, der Zeitgeist sind keine Orientierungspunkte für die Erziehung, sondern Gegenstand vernünftiger Prüfung. Wörtlich: "Erziehung hat nicht die Aufgabe, das Gewissen zu formen. Sie definiert sich vielmehr als Hilfe, auf dessen Anspruch zu hören und dessen Verbindlichkeit zu achten."

Bei Heitger ist ein Humboldtsches Motiv vernehmbar, etwa wenn es heißt, dass im Bildungsbegriff der Mensch "nicht als Mittel für gesellschaftliche Zwecke" gesehen wird, sondern als "Zweck seiner selbst". Auf den Bildungsbegriff, so könnte man resümieren, wie auch auf Systematische Pädagogik ist so lange nicht zu verzichten, als die Idee der Humanität mehr sein soll als eine Schimäre der Klassiker.

Systematische Pädagogik - Wozu?

Von Marian Heitger

Verlag Schöningh, Paderborn 2003

160 Seiten, kart., e 19,60

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